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„Ich bin froh, dass Mays Abkommen gescheitert ist“

Foto: Privat, Julia Schubert

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Das britische Unterhaus hat Theresa May und ihrem Brexit-Abkommen eine Absage erteilt. Und jetzt? Jetzt gibt es verschiedene Szenarien, wie es weitergehen könnte. Ein Ausstieg ohne Deal? Nachverhandlungen mit der EU?  Ein zweites Referendum? Wir haben junge Menschen aus Großbritannien gefragt, was die Abstimmung für sie bedeutet, auf welchen Ausgang sie nun hoffen – und welchen sie fürchten. 

„Ich glaube, der Brexit könnte eine große Chance für Großbritanniens Zukunft sein“

Dehenna, 25, Regierungsangestellte der Tories in Bishop Auckland, hat für Leave gestimmt und glaubt an eine Zukunft ohne EU:

dehenna

Foto: privat

“Ich hoffe, dass das Ergebnis ein Weckruf für die EU ist. Jede Verhandlung hat zwei Seiten und ich glaube, die EU war nicht kompromissbereit. Nach der Wahl ist klar: Unsere Repräsentanten haben kein Interesse am aktuellen Deal, das britische Volk ebenfalls nicht. Es gibt jetzt zwei Optionen: Entweder, wir gehen auf die EU zu und versuchen, zu verhandeln, was, wie May bereits sagte, wegen der Einstellung der EU schwierig wird. Oder wir gehen ohne Deal.

Ich glaube, der Brexit könnte eine große Chance für Großbritanniens Zukunft sein. Momentan sind wir in unseren Handelsabkommen sehr eingeschränkt. Wir brauchen freien Handel – nicht nur mit der EU, sondern mit Afrika, Südamerika, China und den USA. Wir müssen zum globalen Großbritannien werden. Nach dem Referendum wurde versucht, uns als Insulaner darzustellen, aber wir haben das gemacht, weil wir unsere Arme zur Welt hin öffnen wollen, ohne jedoch Europa den Rücken zu kehren. Wir haben durch unsere EU-Mitgliedschaft definitiv an Soveränität verloren. Als eigenständige Nation sollten wir bei jeder Entscheidung das letzte Wort haben.

Meine Sorge ist, dass manche Brexit-Gegner die Gelegenheit nutzen, um die Ergebnisse zu ihrem Vorteil auszulegen, zum Beispiel durch die Forderung eines zweiten Referendums. Das wäre das Schlimmste. Wir leben in einer Demokratie. Wir hatten ein Referendum. Es gab eine klare Mehrheit. Neuwahlen würden das Vertrauen in die Politik massiv trüben, besonders für Menschen, die zum ersten Mal zur Wahl gegangen sind.

Ich glaube, diese Wahl war entscheidend für das Land. Sie hat gezeigt, dass wir, was den Brexit angeht, nicht herumalbern. Wir müssen diese Chance ergreifen und es entweder alleine durchziehen und stark bleiben, oder zu den Verhandlungen zurückkehren.

Das Land hat gegenüber der EU keine geeinte Front gebildet. Das gilt für die Politik genau so, wie für das Volk. Statt uns Leaver zu unterstützen, haben viele Remainer ihrem Ärger Luft gemacht. Würden wir an einem Strang ziehen, stünden wir viel besser da. Ich glaube trotzdem, dass May das Vertrauensvotum gewinnen wird und die Regierung dann weiter auf den Brexit hinarbeiten kann. Großbritannien wird so oder so eine großartige Zukunft haben. Wir sind eine starke und belastbare Nation. Auch wenn wir gerade ein bisschen angeschlagen sind, macht uns das langfristig nur stärker.“

„Wenn es keinen Deal gibt, wird es das totale Chaos. Wenn es keinen Brexit gibt, gibt es einen Volksaufstand“

Matt, 29, Osteopath aus Derby, hat für Remain gestimmt und ist enttäuscht von der britischen Regierung:

matt 1

Foto: privat

„Mein erster Gedanke nach der Wahl war: Das war’s dann mit der letzten Chance, dass das alles zivilisiert ausgeht. Jetzt gibt es entweder keinen Brexit, oder keinen Deal. Wenn es keinen Deal gibt, wird es das totale Chaos. Wenn es keinen Brexit gibt, gibt es einen Volksaufstand. All die Verrückten werden auf die Straße gehen, das wird ein Desaster.

Ich habe für Remain gestimmt. Brexit hat potentiell eine direkte Auswirkung auf mich. Ich würde gerne später in Europa leben und fühle mich kulturell damit verbunden. Viele meiner Freunde sind aus der EU und meine Freundin ist Deutsche. Der Deal wäre zwar eine Enttäuschung für mich gewesen, weil es nicht das ist, was ich mir für das Land wünsche, aber jetzt gibt es mehr Unsicherheit. Ich glaube, die gesamte westliche Welt ist gerade in einer Krise. Die EU und Großbritannien wären dafür ohne Brexit besser gewappnet. Ohne Großbritannien gibt es einen Trend in Richtung föderales Europa.

Ich war noch nie so gegen eine Regierung wie bei Cameron und May. Die letzten zweienhalb Jahre waren extrem enttäuschend. Ich schäme mich momentan ziemlich für die britische Politik. Der Brexit ist ein großer Teil der britischen Geschichte, es ist sowas wie das letzte Aufbäumen des Empires. Die Wahl für den Brexit war eine Wahl gegen Veränderung.

Ich denke nicht, dass es jetzt zu der Katastrophe kommen muss, die manche voraussagen. Trotzdem ist die Frage: Wie wollen Leavers unseren Standpunkt in der Welt ohne die EU sichern? Eine Option wäre sowas wie das Singapur Europas zu werden, niedrige Steuern und wenig Regulationen. Aber das wäre nicht fair. Ich glaube an eine kooperative und nicht individualistische Welt.

Ich bezweifle, dass es nach dieser Wahl noch mal zu einem Deal kommt. Im besten Fall gibt es keinen Brexit. Ich möchte natürlich all die Freiheit und die Rechte der EU, habe aber auch Verständnis für die Leavers aus der älteren Generation. Meine Welt ist nicht ihre Welt.“

„Ich glaube, der Brexit wird auch andere Nationen zum Gehen veranlassen“

Elena, 21, arbeitet im wissenschaftlichen Dienst im Londoner Parlament und glaubt, dass der No-Deal-Brexit die einzige Option ist:

elena

Foto: privat

„Wir werden ohne Deal gehen. Nachdem die EU so mit uns umgesprungen ist, sehe ich wirklich keine andere Option. Ich bin froh, dass Mays Abkommen gescheitert ist. Mit dem Deal hätten wir immer noch so viele EU-Einschränkungen, nur ohne den Sitz im Parlament, der es uns ermöglicht, darüber zu diskutieren. Ohne Deal zu gehen, würde bedeuten, dass wir eine Chance haben, unsere eigenen Handelsabkommen auszuarbeiten. Es bedeutet auch, den Wunsch des Volkes richtig und vollständig auszuführen.

Ich habe für den Brexit gestimmt, um unserem Land die Unabhängigkeit zurückzugeben und damit unsere Landwirtschaft wachsen kann, die in meinem Heimatbezirk West Yorkshire ein wichtiger Wirtschaftszweig ist.

Ich denke, diese Wahl war wichtig, denn sie hat gezeigt, dass die Parlamentarier ihre Haltung bewahren und sich weder von der Regierung noch von Einpeitschern dazu zwingen lassen, gegen ihre Überzeugung zu wählen. Über die bisherigen Verhandlungen bin ich trotzdem enttäuscht, ich finde, es hat an Kommunikation gemangelt und wir sind zu niedrig eingestiegen. Wenn man verhandelt, muss man hoch anfangen und sich erst dann nach unten arbeiten. In diesem Fall sind wir eingeknickt und haben nicht für unsere Unabhängigkeit gekämpft.

Ich glaube, wir sind nach der Wahl besser dran. Wir sind ein sehr starkes Land und ich denke, es wird der EU eine Lehre sein, zu merken, dass sie nicht so mächtig ist, wie sie denkt. Ich glaube, der Brexit wird auch andere Nationen zum Gehen veranlassen.“

„Wenn es eine zweite Abstimmung gibt, dann bin ich mir fast sicher, dass wir drin bleiben“

Matt, 24, Politikstudent aus Schottland ist gegen den Entwurf – aber trotzdem für den Verbleib in der EU:

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Foto: privat

„Beim Referendum für den Brexit wurde ganz Großbritannien durch die Pro-Brexit-Kampagne der Medien gelinkt. Die haben die Arbeiterklasse in England und Wales davon überzeugt, gegen ihre eigenen Interessen zu stimmen. Als eine Person der Arbeiterklasse ist es hart zu sehen, wie Arbeiter von Lügen und falschen Versprechungen beeinflusst wurden. Ich hoffe, dass das nicht wieder passiert.

Ich halte ein zweites Referendum nach der Abstimmung jetzt für sehr wahrscheinlich, trotzdem hängt das vom Oppositionsführer ab. Das beunruhigt mich, denn der Labour-Führer Jeremy Corbyn war ja schon immer gegen die EU. Aber wenn es eine zweite Abstimmung gibt, dann bin ich mir fast sicher, dass wir drin bleiben.

Als junger Mensch aus Schottland klang Mays Entwurf für mich viel mehr nach Schadensbegrenzung, als nach einem Vorteil für unser Land. Deshalb bin ich froh, dass er abgelehnt wurde. Die Gesetzesvorlage hat keinen der Vorteile beinhaltet, die uns vor dem Brexit-Votum versprochen wurden.“

„Im Moment steht alles auf dem Spiel“

Alice, 31 aus München, Fotografin, ist halbe Engländerin und lebt seit sieben Jahren in York:

alice

Foto: privat

„Das Ergebnis bedeutet jetzt erst mal gar nichts. Es war klar, dass das Parlament gegen Theresa Mays Deal ist. Denn die letzten Monate wollte sie den Brexit nur so über die Bühne bringen, wie sie und ihre Berater sich das vorgestellt haben. Volk und Parlament wurden bei den Verhandlungen ignoriert – zumindest das Parlament hat jetzt noch eine Abstimmung bekommen.

Es gibt große Kampagnen zu einem „Peoples Vote“, da so viele Leute nicht wussten, für was sie da im Juni 2016 gestimmt haben. In dem Kästchen stand nur „Should the UK remain a member of the EU or leave the EU?“ – wer wusste schon genau, was das heißt? Es war damals eine emotionale Wahl nach Gefühl, die auf Lügen aufgebaut war. Es ging wie so oft nur um Macht und nicht um das Volk.

Kein Mensch weiß, was kommen wird – ein Deal or No Deal oder ein zweites Referendum. Im Moment steht alles auf dem Spiel. In jedem Fall ist das Land gespalten und viel Zeit und Energie wurden darauf verwendet, den Deal der jetzt kein Deal ist, vorzubereiten, während alle Anderen im Land den Atem anhalten und Unternehmen, EU-Krankenpfleger, Doktoren und Wissenschaftler Großbritannien langsam den Rücken kehren. 

Und ich tue mich auch sehr schwer, an dem Debakel irgendwas Positives zu sehen. Es geht um unsere Zukunft und die unserer Kinder – und wie man das mit so einer Frage "Should the UK remain a member of the EU or leave the EU?“ auf Spiel setzten kann, ist mir bis heute unbegreiflich. Ich würde so, so gerne das Positive darin sehen, da England meine neue Heimat ist und ich das Land in vielen Dingen so sehr liebe, aber das ist im Moment nicht möglich.“

„Ich hoffe, dass die konservative Regierung jetzt endlich aufgelöst wird“

Anthony, 31, Architekt aus Liverpool, ist gegen den Brexit:

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Foto: privat

„Ich hoffe, dass die konservative Regierung jetzt endlich aufgelöst wird, da sie bisher völlig unverantwortlich gehandelt hat. David Cameron hat ein EU-Referendum durchgepeitscht und ist nach dem Ergebnis sofort zurückgetreten. Boris Johnson hat eine lächerliche Amtszeit als Außenminister abgeliefert und Theresa Mays genereller Mangel an Charisma und Ideen hat eine völlig heterogene und führungslose Regierung hervorgebracht, die ziellos umhertreibt.  

Das Beunruhigende im Hinblick auf den konservativen Vorstoß in Richtung Brexit war für mich stets das Fehlen einer schlüssigen Vision dessen, was passiert, falls wir die EU verlassen sollten. Welche Vorteile wir tatsächlich von einem Brexit hätten. Indem sie immer nur vage von diesen Vorteilen gesprochen oder alles verkompliziert hat, wollte die Regierung meiner Meinung nach die Öffentlichkeit bewusst verwirren und so zum Gehorsam zwingen. 

Ich weiß nicht, ob Corbyn die richtige Antwort auf all das ist, aber ich denke, dass Großbritannien zum Wohle des ganzen Landes in der EU bleiben sollten – koste es, was es wolle. Allerdings bin ich mir nicht sicher, wie das am besten erreicht werden kann. Ein zweites Referendum wäre meiner Meinung nach genauso problematisch wie ein EU-Austritt: Wie würde es weitergehen, wenn das Ergebnis 'In der EU bleiben' lauten würde?

Schon 2016 habe ich für den Verbleib Großbritanniens in der EU gestimmt. Die Abstimmung hat mich sehr bewegt, da ich zu der Zeit in Sevilla, im Süden Spaniens, gelebt und gearbeitet habe. Mir fiel damals auf, dass andere diese Art von Freizügigkeit in der EU und die Möglichkeit, verschiedene Kulturen kennenzulernen, im Ausland zu arbeiten – was mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet und viel Spaß gemacht hat – nach einem Brexit möglicherweise nicht mehr hätten. 

Als Architekt in Großbritannien habe ich später oft mit nicht-britischen Kollegen gearbeitet. Ich hatte mit hervorragenden Designern aus Polen, Rumänien, Portugal und vielen anderen Ländern zu tun. Diejenigen, die ich als Arbeitskollegen kennengelernt habe, nenne ich heute stolz meine Freunde.“

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