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Belarus: Warum Claudia Müller eine Patenschaft für einen politischen Gefangenen übernommen hat
Seit Anfang August gehen die Menschen in Belarus jedes Wochenende zu Hunderttausenden auf die Straße. Sie demonstrieren gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko, der das Land seit 26 Jahren regiert. Die Opposition wirft ihm Wahlfälschung vor. Bei den Protesten kam es zu zahlreichen Festnahmen und massiver Gewalt von Seiten der Sicherheitskräfte. Die Demonstrierenden fordern Neuwahlen, die strafrechtliche Verfolgung von Polizeigewalt – und die Freilassung der politischen Gefangenen.
Mitte August soll die Regierung 1000 Gefangene freigelassen haben, die am Rande der Proteste grundlos festgenommen worden waren. Zu dem Zeitpunkt waren insgesamt 7000 in Haft. Außerdem soll es zu Misshandlungen in den Gefängnissen gekommen sein. Das Europaparlament sprach sich kürzlich für Sanktionen gegen die belarussische Regierung aus, bislang noch ohne konkreten Beschluss. Zypern blockiert die EU-Sanktionen, weil es nicht ähnliche Schritte gegen die Türkei gibt. Die Strafmaßnahmen sollen sich gegen Verantwortliche der Wahlfälschung und der Unterdrückung friedlicher Proteste richten.
Claudia Müller ist Bundestagsabgeordnete (Bündnis 90/Die Grünen) und Mitglied im Bundestagsausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union. Im Rahmen der Solidaritätskampagne #WeStandbyyou der Organisation „Libereco“ hat sie die Patenschaft für den politischen Gefangenen Akikhiro Hayeuski-Hanada übernommen, der der anarchistischen Bewegung angehört. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
jetzt: Eine „Patenschaft“ assoziiert man erst mal mit Fürsorgepflicht gegenüber schutzbedürftigen Menschen. Ist diese Gefangenen-Patenschaft eher symbolisch oder sind damit auch konkrete Verpflichtungen verbunden?
Claudia Müller: In erster Linie geht es darum, Aufmerksamkeit auf die Situation der politischen Gefangenen in Belarus zu lenken. Weitergehende Verpflichtungen gibt es zunächst nicht. Allerdings: Wir kennen solche Aktionen auch im Bezug auf die Regime in Iran oder der Türkei, wo Abgeordnete aus Deutschland Briefe an die Regierung geschrieben und immer wieder auf das Schicksal einzelner oppositioneller Gefangener hingewiesen haben. Es geht darum, Öffentlichkeit für diese Personen herzustellen – und ihnen damit Schutz zu bieten. Was wir mit Blick auf Regime wie in Iran erlebt haben, ist: Gefangene, die unter diesem Schutz stehen, erfahren deutlich weniger heftige Verletzungen der Menschenrechte.
„Der Schutz entsteht durch die Personalisierung“
Warum greift die Aktion einzelne Gefangene heraus? Es sind ja noch viel mehr Menschen betroffen.
Das ist besonders wichtig. Denn: Wenn es anonym oder allgemeiner stattfindet, dann fehlt die Bindung und das Gesicht dazu. Und: Der Schutz entsteht durch die Personalisierung. Damit zeigen wir: Es gibt mindestens eine Person aus dem Ausland, die ganz genau auf diesen einen Gefangenen schaut.
Was wissen Sie über Akikhiro Hayeuski-Hanadas Rolle bei den Demonstrationen?
Er gilt als einer der Organisatoren der ersten Demonstrationen. Am 13. August wurde er während eines friedlichen Protestes verhaftet. Später wurde er wegen der „Organisation von Unruhen“ angeklagt. Im Gefängnis ist er wohl stark misshandelt worden. Das berichtete einer seiner Mitstreiter. Gerade sitzt er weiterhin ein – bislang noch ohne Verfahren.
Haben Sie Informationen dazu, wie es ihm gerade geht?
Aktuell ist es leider schwierig, an Informationen zu gelangen. Schließlich wurden gerade erst viele Journalisten des Landes verwiesen. Ich habe auch nicht das Recht, besondere Auskünfte anzufordern, weil ich keine anwaltliche Vertretung für ihn habe.
Es gab viele Festnahmen bei den Protesten. Allein am vergangenen Sonntag waren es wieder hunderte Menschen. Hayeuski-Hanada ist gehört zur anarchistischen Bewegung, die sich an den pro-demokratischen Protesten gegen die Wahlfälschungen von Anfang an beteiligte. Warum haben Sie sich für ihn entschieden?
Bei der Patenschaft wollten wir deutlich machen: Es geht uns nicht nur um politische Gefangene aus dem bürgerlichen Lager, sondern um die gesamte Breite der Bewegung. Auch diese sollten wir den Blick nehmen und ihnen Schutz bieten. Damit machen wir auch deutlich, wie breit diese Protestbewegung ist. Sie geht durch alle Generationen, Bevölkerungsschichten und politischen Lager.
„Wir müssen deutlich machen, dass wir sehen, was dort passiert“
Aktuell werden EU-Sanktionen gegen Lukaschenko und sein politisches Umfeld verhandelt. Was könnte und sollte die deutsche Politik Ihrer Ansicht nach für politische Gefangene in Belarus tun?
Wünschenswert wäre es natürlich, wenn wir eine Beobachtermission hinschicken würden. Das ist aufgrund der momentanen Situation aber schwierig. Ich halte es aber weiterhin für möglich und nötig, eine europäische Antwort zu finden. Und zwar in Form von Sanktionen, vor allem gegen Einzelpersonen – eben auch gegen Lukaschenko. Es muss die Machthaber direkt treffen. Ich finde es richtig, dass die EU die Wahl nicht anerkannt haben. Das Wichtigste ist, Belarus und die politischen Gefangenen im Blick zu behalten. Wir müssen deutlich machen, dass wir sehen, was dort passiert. Denn wenn der weltweit öffentliche Blick wieder verschwindet, schlagen autoritäre Regime häufig zurück. Und wir sollten nicht davon abkommen, dass das Ziel der gleichen und demokratischen Wahlen erreicht wird. Das ist es ja, was die Leute vor Ort wollen.
Sie fordern neben der Freilassung von Hanada auch den Rücktritt Lukaschenkos. Was sollte nach einem möglichen Rücktritt passieren?
Man braucht erst einmal freie und geheime Wahlen – mit einem international anerkannten Wahlergebnis. Dann wäre es wichtig, Belarus ohne Vorbedingungen Unterstützung zu bieten, um demokratische Strukturen nach der Lukaschenko-Zeit aufzubauen. Aber: Auch Belarus hat das Recht, über das eigene Schicksal selbst zu entscheiden.
„Die Patenschaft endet, wenn er freigelassen wird“
Teilen die EU-Staaten und andere Länder diese Haltung gegenüber der Unabhängigkeit Belarus?
In der EU ist das ja im Grunde Teil unseres Wertekanons. Wir erleben aber Putin als jemanden, der da einen anderen Weg nimmt. Das haben wir im Bezug auf Georgien und die Ukraine gesehen – und durchaus auch jetzt im Bezug auf Belarus. Ich habe momentan nicht den Eindruck, dass Russland Belarus in Zukunft für sich alleine entscheiden lässt. Die gemeinsamen Auftritte von Lukaschenko und Putin machen das Machtverhältnis zwischen den beiden sehr deutlich, das Putin dominiert. Vonseiten Russlands scheint das Interesse zu bestehen, die eigene Macht und Einflusssphäre zu vergrößern. Mit Sicherheit gibt es solche Interessen auch auf westlicher Seite, aber es ist wichtig, keine Vorbedingungen zu stellen. Und Belarus keine Richtungsentscheidung vorwegzunehmen, sondern zu vermitteln: Es geht darum, dass ihr euren Weg gehen könnt.
An welchem Punkt würde Ihre Patenschaft für Hayeuski-Hanada enden?
Die Patenschaft endet, wenn er freigelassen wird. Natürlich bestünde danach noch die Möglichkeit, Kontakt aufzunehmen. Ich würde prüfen, welche Möglichkeiten es von hier aus gibt, Unterstützung zu bieten – auch, um gegebenenfalls das Land zu verlassen. Wir haben außerdem gefordert, dass die Menschen aus Belarus, die derzeit bedroht, aber noch nicht in Gefangenschaft sind, ausreisen können, um sich in Sicherheit zu bringen.