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Aussteiger Felix Benneckenstein über das rechtsextreme Festival "Rock gegen Überfremdung"
Am vergangenen Wochenende haben sich rund 6000 Neonazis in dem Dorf Themar in Thüringen getroffen. Der Grund: das Rechtsrock-Festival "Rock gegen Überfremdung". Seitdem kursieren auf den Social-Media-Plattformen Handyvideos, auf denen die rechtsextremen Besucher mit Hitlergruß vor der Bühne stehen. Das Festival war als politische Versammlung angemeldet, nicht zuletzt deshalb wird gerade diskutiert: Was fällt unter das Recht auf Meinungsfreiheit – und was nicht?
Felix Benneckenstein, 31, hat sich als Jugendlicher der Neonazi-Szene angeschlossen, trat jahrelang als rechtsextremer Liedermacher auf. Felix hat den Ausstieg geschafft und arbeitet heute für die Initiative EXIT Deutschland, die Menschen auf ihrem Weg aus dem Rechtsextremismus begleitet. Ein Gespräch über Rechtsrock, Networking unter Neonazis und ihre Verbindungen zur AfD.
jetzt: Wenn man in Deutschland über Rechte spricht, sind momentan die AfD, die „Identitäre Bewegung“ und manche Mitläufer bei „Pegida“ gemeint. Neonazis, die bei Rechtsrock-Konzerten grölen, kommen im öffentlichen Diskurs kaum mehr vor. Ein Fehler?
Felix Benneckenstein: Das ist ein riesengroßer Fehler. Natürlich ist es wichtig, vor Rechtspopulisten zu warnen – gerade jetzt, wo wir einen starken Rechtsruck spüren. Aber der Blick auf die klassische Neonazi-Szene geht dadurch ein wenig verloren. Die Klientel, die am vergangenen Wochenende bei dem Festival rumgelaufen ist, hat man nicht mehr auf dem Schirm. Und während in der Kameradschafts-Szene zum Beispiel kaum Waffen im Umlauf sind, findet man die in der Konzert- und Glatzenszene durchaus. In Sachen Gewalt und Illegalität sind die ziemlich breit aufgestellt. Seit etwa drei Jahren treten sie auch immer selbstbewusster auf. Je selbstbewusster die werden, desto wahrscheinlicher sind schwerwiegende Straftaten.
2016 waren bei „Rock gegen Überfremdung“ 500 Neonazis, am vergangenen Wochenende waren es nun um die 6000. Wächst die Szene gerade?
Insgesamt schon. Ich glaube aber nicht, dass die Nazikonzert-Szene besonders viel Zulauf hat, deshalb würde ich diese Zahlen nicht als Gradmesser lesen. Zulauf haben eher Gruppen, die auf die Straße gehen. Der Rechtsrock hierzulande hat seit Jahrzehnten das Problem, dass ihm zuverlässige Konzertveranstalter fehlen. Während zu ähnlichen Konzerten in Italien und der Schweiz Tausende Teilnehmer kamen, haben sich die verschiedenen Gruppen in Deutschland immer misstraut. Neu ist nun, dass Tommy Frenck (NPD-Politiker und Veranstalter von „Rock gegen Überfremdung; Anm. der Red.) solche Rechtsrock-Festivals mit dem aktivistischen Milieu verbindet. Es scheint ihm zu gelingen, zwischen diesen Szenen zu vermitteln. Die Gefahr ist, dass dadurch Leute mobilisiert werden, die man eigentlich nicht erreichen würde. Auch die Berichterstattung könnte eine gewisse Dynamik auslösen. Jetzt wissen auch Rechtsrock-Hörer im entlegensten Dorf, dass dort solche Festivals stattfinden.
Also besser ignorieren?
Auf gar keinen Fall. Ich glaube, als Journalist muss man in diesem Fall in Kauf nehmen, dass man mit seiner Berichterstattung zu einem Teil auch für die wirbt. Nur so kann man über diese Szenen aufklären. Außerdem: Wenn Neonazis in einer Zeitung auftauchen, bekommen viele von ihnen Probleme mit dem Arbeitgeber, mit ihrem Betrieb. Damit kann man den Druck auf die Szene erhöhen.
Du warst selbst lange als Liedermacher in der Neonazi-Szene aktiv. Wie wichtig sind solche Festivals?
In den vergangenen Jahren sind sie deutlich wichtiger geworden, weil inzwischen aktivistische Gruppen wie „Der III. Weg“ daran teilnehmen. Die organisieren Busse und erreichen damit ein Umfeld, an das sie sonst nicht rankommen. Wer im Netz gerne Rechtsrock-Lieder hört, hat ja nicht unbedingt mit dem „III. Weg“ zu tun.
Finanziert sich die Szene auch über Konzerte?
Also in der Zeit, in der ich noch aktiv war, hat das überhaupt nicht funktioniert. Als ich 2003 eingestiegen bin, ging das bereits stark zurück. Was unter anderem auch damit zu tun hat, dass CDs nichts mehr wert sind.
Also geht es mehr um Vernetzung?
Definitiv. Neue Leute aufgreifen, sie kennenlernen und an die Ansprechpartner der verschiedenen Regionen verweisen. Bei Musik und Bier sind die gesprächsbereit. Wenn ich mir die Fotos vom Wochenende anschaue, wirkt es auch so, als wären viele dort zum ersten Mal bei einem Nazi-Konzert.
Woran erkennst du das?
Im Einzelfall kann ich mich da sicher täuschen. Aber manche haben sich mit derart dummen Sprüchen auf ihren T-Shirts zurechtgemacht, dass ich davon ausgehe, dass sie lange überlegt haben, was sie anziehen können. Andere wirkten entweder total verunsichert oder derart überspielt selbstbewusst, dass man ihnen ihre Unsicherheit doch wieder ansieht. An das erste Konzert hat man hohe Erwartungen, die in aller Regel aber enttäuscht werden. In Themar dürfte das anders gewesen sein. Viele wussten überhaupt nicht, wie sie sich gegenüber fotografierenden Journalisten oder Polizisten zu verhalten haben – für mich ein Indiz dafür, dass dort noch keine Routine herrscht.
Wie werden Neonazi-Festivals denn beworben?
Früher wurde man immer per SMS darauf hingewiesen, und ich glaube nicht, dass sich daran seit meinem Ausstieg viel geändert hat. Wenn in einer Nachricht „Rock gegen Überfremdung“ steht, dazu ein Datum, ein Ort und eine Kontakt-Mailadresse, verbreitet sich das wie ein Lauffeuer. Wenn die Bands lukrativ klingen und man dem Veranstalter vertraut, leiten das alle weiter. Mund-zu-Mund-Propaganda.
Worum geht es neben der Musik noch?
Um eine Macho-Proll-Show mit vielen Nazi-Symbolen. Nachdem das ja eine teil-öffentliche Veranstaltung war, nehme ich an, dass die meisten Tätowierungen abgeklebt waren. Aber bei Untergrund-Konzerten werden die tätowierten Hakenkreuze stolz hergezeigt. Man überbietet sich auch gern mit verbotenen Liedern. Der Volksverhetzungsparagraph existiert bei solchen Veranstaltungen nicht. Dass es dann zu Straftaten wie dem Hitlergruß kommt, kann eigentlich nicht verwundern. Die Szene fährt dorthin, um die Sau rauszulassen und offen Nazi zu sein. Deshalb sind Handys zum Beispiel streng verboten.
Das Festival in Themar hat auf einem Grundstück des AfD-Politikers Bodo Dressel stattgefunden, der Bürgermeister in einer benachbarten Gemeinde ist. Wie eng sind die Verbindungen zwischen der AfD und der Neonazi-Szene?
Das kann ich nicht umfassend beurteilen. Auch Aussteiger erzählen mir dazu immer wieder unterschiedliche Dinge. Die einen sagen, dass sie ständig mit der AfD rumgehangen sind. Die anderen berichten, dass sich AfD und Neonazis in ihrer Region gegenseitig bekämpfen. Generell lässt sich sagen: Mit der Musikszene kann man leichter zusammenarbeiten, weil sie nicht auf Demos geht. Sie steht nicht so stark im Fokus der Medien wie beispielsweise Kameradschaften oder NPD-Verbände. Deshalb haben früher oft Republikaner Grundstücke eindeutig Rechtsradikalen überlassen – auch für Konzerte.
Laut Verfassungsschutz haben Neonazis in den vergangenen 15 Jahren 51 vergleichbare Veranstaltungen in Thüringen abgehalten. Warum ausgerechnet dort so viele?
Ich würde das nicht unbedingt auf die dortige Szene zurückführen. Thüringen liegt zentral, das ist für die Mobilisierung hilfreich. Die niedrigen Grundstückspreise tun ihr übriges. Aber es ist auch eine Frage, wie genau man hinschaut. Als ich zum Beispiel aktiv war und in Bayern aufgetreten bin, war bei den meisten Konzerten keine Polizei da.
Der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow hat nun angekündigt, dass er das Versammlungsrecht so anpassen will, dass Konzerte wie „Rock gegen Überfremdung“ nicht mehr unter die Meinungsfreiheit fallen. Bringt das was?
Man wird die Szene damit nicht eindämmen, aber ganz platt gesagt: Man kann einen Hitlergruß nicht mit der Meinungsfreiheit decken. Ein gewisses Maß an Meinungsäußerung muss man Neonazis zwar gestatten, um ihnen nicht das Argument zuzuspielen, dass sie nichts dürften. Aber auf keinen Fall darf das bedeuten, dass sie zu Tausenden mit Hitlergruß auftreten.
Ende Juli soll auf dem Grundstück ein weiteres Rechtsrock-Festival stattfinden. Inwiefern könnte sich die aktuelle Diskussion darauf auswirken?
Gerade die Verbotsdiskussion könnte dazu führen, dass man sich in der Szene denkt: Ey, die wollen das verbieten, jetzt fahren wir alle noch schnell hin. Ich nehme an, dass das für die Mobilisierung eher hilfreich ist. Aber das muss egal sein. Diese Szene muss man langfristig angehen. Nicht darüber zu sprechen, wäre ein absolut falsches Signal.