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Armin Langer zu Anschlag in Halle: Aufruf zu Solidarität unter Minderheiten
Der 1990 geborene Armin Langer ist Rabbinerstudent in Philadelphia und promoviert gerade in Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Für jetzt schreibt der Autor des Buches „Ein Jude in Neukölln“ einen Gastkommentar darüber, wie die Gesellschaft seiner Meinung nach auf rechten Terror, wie zuletzt in Halle, reagieren muss.
Am Tag des Anschlags war Jom Kippur, der heiligste Tag im jüdischen Kalender. Mehrere Dutzend Juden beteten in der Synagoge in Halle an der Saale. Unter ihnen waren Freunde von mir, die extra aus Berlin nach Halle gereist waren, um die kleine Gemeinde mit Gesängen und „Manpower“ zu unterstützen. Ein rechtsextremer Terrorist wollte sie alle vernichten. Als er daran scheiterte, erschoss er zwei Menschen in der Nähe. Dabei rief er antisemitische, rassistische und frauenfeindliche Parolen. Eine Tat, die nicht vorherzusehen war? Ein „Alarmzeichen“, wie die Verteidigungsministerin sie nennt?
„Der Umgang meiner US-amerikanischen Freunde mit dem Anschlag beeindruckte mich“
Juden und Muslime sind schon seit Jahren vermehrt rechtsextremen Angriffen ausgesetzt: nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Im Oktober 2018 wurden elf Juden beim Schabbat-Gebet im pennsylvanischen Pittsburgh erschossen. Im März 2019 tötete ein Terrorist 51 Muslime in ihrer Moschee im neuseeländischen Christchurch. Obwohl es auf den ersten Blick anders scheint, waren diese Angriffe nicht eindeutig gegen nur eine Minderheit gerichtet: Der Angriff auf die Synagoge in Pittsburgh war nicht ausschließlich antisemitisch motiviert – und Christchurch war auch nicht nur antimuslimisch-rassistischer Natur. Der Täter in Pittsburgh wählte eine Synagoge aus, die sich für Geflüchtete eingesetzt hatte. Der Täter von Christchurch hatte antisemitische Verschwörungstheorien in seinem Manifest verbreitet. Wir alle, die wir Minderheiten angehören, sind die gemeinsame Zielscheibe rechten Terrors.
Im April 2019 gab es schließlich einen Angriff auf eine Synagoge in der südkalifornischen Kleinstadt Poway, der in meiner unmittelbaren Nähe stattfand. Ich war rund zwanzig Meilen entfernt in San Diego mit jüdischen Bekannten unterwegs, als eine Jüdin dabei starb. Mir fehlten die Worte. Was mich später beeindruckte, war allerdings der Umgang meiner US-amerikanischen Freunde mit dem Anschlag: Sie drückten ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde aus – aber gleichzeitig auch mit anderen religiösen und ethnischen Minderheiten, die seit dem Einzug der Rechtspopulisten ins Weiße Haus vermehrt Opfer rechtsextremer Angriffe wurden. Mich berührte das deshalb so sehr, weil sich der Mensch naturgemäß eigentlich eher um seine eigene Gruppe kümmert, als um andere, vermeintlich fremde Menschen.
Später, als wir schon mehr über den Täter wussten, wurde dann aber erst klar, wie zutreffend die Solidarität war: Derselbe Täter hatte wenige Wochen vor seinem Angriff auf die Synagoge auch eine Moschee in der Stadt Escondido in den Brand gesetzt. Bei diesem Angriff kam, Gott sei Dank, niemand ums Leben.
„Die Terroristen sind das Ergebnis einer seltsamen Toleranz“
Ich glaube seither fest daran, dass es keine andere Antwort auf rechten Terror geben kann, als eine Allianz zwischen Minderheiten und ihren Verbündeten. Gemeinsam müssen wir es anpacken: Egal wie häufig einige Politiker und Teile der Presse von „Einzeltätern“ sprechen – dahinter stehen meist doch organisierte Neonazis oder zumindest Netzwerke und letztlich gedeihen sie auf einem gesellschaftlicher Nährboden. Auf diese Bedrohung müssen wir hinweisen.
Diese Terroristen, die unser friedliches Zusammenleben in den USA, in Neuseeland, in der Bundesrepublik und anderswo gefährden, sind das Ergebnis einer seltsamen Toleranz: der Toleranz dem Hass gegenüber.
Viele tun so, als ob der Hass eine legitime Meinung sei – das ist er aber nicht. Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut der liberalen Demokratie, es ist aber nicht unbegrenzt. Meinungsfreiheit endet dort, wo Hetze beginnt. Wo diskursive Gewalt herrscht, kommt es auch irgendwann zur physischen Gewalt.
Diese diskursive Gewalt wird inzwischen dank der AfD im deutschen Bundestag auf höchster repräsentativer Ebene betrieben. Die Jüdische Gemeinde zu Düsseldorf wies ganz klar auf diesen Zusammenhang hin, als sie in einer Pressemitteilung der AfD eine Mitschuld an dem Anschlag gegeben hat.
„Rechtsextremismus und Rechtspopulismus sind längst im Mainstream angekommen“
Ich würde aber behaupten, dass nicht nur die AfD für die Verbreitung des Hasses verantwortlich ist. Wenn die NSU-Morde als „Dönermorde“ bagatellisiert wurden, wenn die Bundeswehr und die Polizei Neonazi-Strukturen in den eigenen Reihen nicht angemessen nachspürt, wenn ein deutsches Gericht Molotow-Angriffe auf die Wuppertaler Synagoge als Protest gegen die Israel-Politik verbucht, wenn öffentlich-rechtliche Talkshows die Themen nach rechtspopulistischen Talking-Points setzen und wenn die neueste Sarrazin-Hetzschrift wieder auf der Spiegel-Bestseller-Liste landet – spätestens dann sollte uns klar werden, dass Rechtsextremismus und Rechtspopulismus längst im Mainstream angekommen sind.
Die Rechtsextremen und ihre als salonfähig wahrgenommenen rechtspopulistischen Kameraden treten in der Politik, den Behörden und in den Medien Tag für Tag entschlossener auf. Positionen, die vor Jahren nur auf versteckten rechtsextremen Blogs publiziert wurden, werden heute in der bürgerlichen Presse im Namen der „Meinungsvielfalt“ abgedruckt. Hassbotschaften, die früher nur auf NPD-Demos zu hören waren, werden heute von der stärksten Oppositionspartei im Bundestag verbreitet—und obwohl noch vor einigen Jahren als Tabu galt, mit der AfD zusammenzuarbeiten, gibt es heute mehrere CDU- und SPD-Politiker auf Lokalebene, die genau das tun. Werden bald weitere folgen?
Gleichzeitig etabliert sich eine Gegenkraft: eine liberale Allianz gegen Antisemitismus und Rassismus, die sich für eine offene Gesellschaft einsetzt. Bleibt also die Frage, ob die sogenannte „bürgerliche“ Alternative in naher Zukunft an die Macht kommen werden, oder ob wir dies verhindern.
Am Jom Kippur wird in den Synagogen den ganzen Tag gebetet. Juden singen und lesen weltweit Psalmen und Bittgebete, unter anderem für das friedliche Zusammenleben. Denn dieses friedliche Zusammenleben ist keine Selbstverständlichkeit. Es gibt keine Garantie dafür – und es gibt auch keine Garantie für den Erhalt der liberalen Demokratie. Wir müssen gemeinsam für sie einstehen. Denn sonst könnte es schon bald zu spät sein.