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Anschlag in Hanau: Der Kampf um die Aufklärung rechter Verbrechen muss nicht vergebens sein
„Nie wieder“ lautet das deutsche Mantra gegen Rassismus, Faschismus und Nationalismus. Und trotzdem werden in Deutschland wieder und wieder Menschen im Namen rechtsextremer Ideologien ermordet. Mehr als hundert Menschen wurden seit der Wiedervereinigung 1990 dem Bundeskriminalamt zufolge aus rassistischen und rechtsextremen Motiven ermordet, die Amadeu Antonio Stiftung zählt sogar mehr als doppelt so viele.
Um rechte Gewalt verhindern zu können, muss man sie verstehen: die Muster dahinter erkennen, die Netzwerke identifizieren, und auch den strukturellen blinden Fleck deutscher Behörden bekämpfen. Der Anschlag in Hanau vor einem Jahr und einer Woche hat das ein weiteres Mal gezeigt; zwar wurde das Verbrechen schnell als rechte Hasskriminalität klassifiziert, allerdings sind Überlebenden und Angehörigen zufolge im Laufe der Ermittlungen Fehler passiert, die hätten vermieden werden können. Beispielsweise werfen Hinterbliebene der Polizei vor, sie nach der Tat nicht hinreichend informiert zu haben. Auch die die Initiative „19. Februar Hanau“ setzt sich dafür ein, dass die Angehörigen und Opfer nicht allein gelassen werden, sobald der Medienrummel vorbei ist, sowie für eine für eine bessere Prävention: „Erinnerung – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen!“ lautet das Motto.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle, in denen es Behörden nicht gelungen ist, rechtsesxtreme Verbrechen zu benennen und aufzuklären. Gerade das Beispiel des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hat das der deutschen Gesellschaft schmerzhaft vor Augen geführt. Trotzdem: Der manchmal aussichtslos wirkende Kampf von Angehörigen, deren Anwält*innen, Journalist*innen und zivilen Initiativen, rechte Verbrechen aufzuklären oder ihrer Opfer zu gedenken, hat schon viel bewegt – und ist somit niemals umsonst. Hier sind drei Beispiele:
1. Die Jugend des DGB und der Oktoberfest-Anschlag
Das Oktoberfestattentat von 1980 nimmt in der deutschen Erinnerungskultur nicht den Platz ein, den es bräuchte: Der Anschlag war der mit Abstand verheerendste, der in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg bis heute verübt wurde: Dreizehn Menschen sind bei einem Bombenanschlag am Eingang des Oktoberfestes gestorben (darunter der Täter), mehr als 200 Personen wurden verletzt, 68 davon schwer. Viele leiden bis heute unter den physischen und psychischen Verletzungen, die ihnen damals zugefügt wurden. Der Überlebende Robert Höckmayr beschrieb 2020 etwa dem BR seine Gefühle und Erinnerung wie folgt: „Wenn man dann hier am Platz steht, dann fahren einem die Bilder in den Kopf, die Körperteile, die Menschen, die herumlagen, und auch das Trümmerfeld, das hier zu sehen war.“
Ein „Alleintäter“ sei der Neonazi Gundolf Köhler, hieß es im Abschlussbericht der Untersuchungen 1982, als Motiv wurde eine schwere persönliche Krise von den Behörden genannt. Und auch die Stadt München, damals regiert von der CSU, versuchte die Sache schnellstmöglich unter den Teppich zu kehren. Nur zwei Tage nach dem Attentat wurde das Oktoberfest fortgesetzt. Dass dem Attentat kein politisches Motiv zugeordnet wurde, hatte handfeste Folgen für die Opfer, die deswegen unter anderem höhere Hürden überwinden mussten, um Hilfsgelder bewilligt zu bekommen.
Es waren Menschen wie Werner Dietrich, ein Opferanwalt, und Ulrich Chaussy, ein BR-Journalist, die unermüdlich recherchierten und über Jahrzehnte dafür kämpften, dass die Bundesanwaltschaft noch einmal eine Untersuchung einleitet – die Nähe des Täters zur rechtsextremen Miliz „Wehrsportgruppe Hoffmann“ war von Anfang an bekannt.
Auch die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München sorgte dafür, dass das Oktoberfest-Attentat und seine Opfer in München nicht in Vergessenheit gerieten: Seit 1983 richtet sie jährlich eine Gedenkveranstaltung an der Theresienwiese aus, zu der sie Opfer und Angehörige sowie die Presse einlädt, und bei der sie an die Schwere des Anschlags und seine Bedeutsamkeit für die deutsche Gesellschaft erinnert.
Diese Bemühungen, das Attentat nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, waren am Ende auch fruchtbar: Mehr als 30 Jahre später, 2014, wurden die Ermittlungen wieder aufgenommen. Sechs Jahre später kamen diese zum Abschluss. Es konnten zwar keine der vermuteten Mittäter*innen oder Gehilf*innen rechtlich belangt werden. Einen Effekt hatte das Ganze aber doch: 2020 wurde die Tat endlich als rechtsextremes Attentat eingestuft. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) entschuldigte sich während einer Gedenkveranstaltung bei den Opfern und ihren Angehörigen für Versäumnisse der Behörden, auch dafür, „dass man die Familien der Getöteten, die Überlebenden und ihre Angehörigen jahrzehntelang in beschämender Weise allein gelassen hat mit ihren Verletzungen, ihren Schmerzen und ihren Traumata.“ Neue Hilfsgelder wurden zur Verfügung gestellt. Das wäre vermutlich nicht geschehen, hätten sich nicht Menschen jahrzehntelang dafür eingesetzt.
2. Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
Die Umstände des Todes von Oury Jalloh, der 2005 in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers in Dessau umgekommen ist, sind bis heute nicht abschließend geklärt. Aber eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Ohne die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ wären viele der schlimmen Details dieser Nacht und ihrer Folgen nicht öffentlich bekannt geworden: So gründete die Initiative 2018 beispielsweise eine private Untersuchungskommission aus Aktivist*innen, einem Rechtsanwalt und einem Arzt, die den Fall erneut beleuchteten.
Jalloh war ein in Deutschland geduldeter Sierra-Leoner, der in einer Gefängniszelle durch ein Feuer starb. Dass die zuständigen Beamt*innen darin versagt haben, den Mann zu schützen, darin sind sich alle einig: 2012 wurde der Gruppenübungsleiter der Dienststelle wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt.
Trotzdem: 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall komplett aufzuklären. Immer wieder drängte sich der Verdacht auf, dass Jalloh, der an Händen und Füßen gefesselt war, nicht in der Lage gewesen sein konnte, sich selbst anzuzünden, wie die Polizei es behauptet. Mehrere Gutachten kamen zu diesem Schluss. Auch gibt es Hinweise darauf, dass der Mann, schon bevor er in seiner Zelle starb, schwere Verletzungen zugefügt bekommen hatte. Angeklagt wurde wegen dieser Vorwürfe jedoch niemand.
Längst wäre der Fall, wie so viele andere, vergessen, hätten sich nicht die Angehörigen und die Initiative wieder und wieder für eine juristische Neubeurteilung eingesetzt. Und auch, wenn der Fall noch nicht abschließend geklärt zu sein scheint: Die Debatte darüber hat das Bewusstsein vieler Menschen hinsichtlich rassistischer Polizeigewalt schon etwas geändert. Momentan wird im Fall Oury Jalloh auf ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht gewartet. Aber die Initiative und die Angehörigen planen fest damit, den Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen.
- Wenn du dazu mehr wissen willst: Hier kannst du die WDR-Podcast-Dokumentation „Oury Jalloh“ (fünf Folgen) hören, hier gibt es die MDR-Chronologie der Ereignisse zum Nachlesen.
3. Angehörige der Opfer des OEZ-Anschlags
Als 2016 in München ein 18-jähriger Mann an und in einem Einkaufszentrum begann, Menschen zu erschießen, brach in der ganzen Stadt Panik aus. Nur wenige Tage zuvor hatte ein Attentäter in Nizza 86 Personen getötet, der IS bekannte sich später zu dem Anschlag. Die Befürchtung, dass die Tat in München ebenfalls einen islamistischen Hintergrund haben könnte, lag nahe. Als noch in der Nacht offiziell bestätigt wurde, dass es sich um einen einzelnen Täter handelte, waren viele erleichtert.
Eine Erleichterung, die aus dem heutigen Blickwinkel nicht angebracht war. Neun Menschen sind damals getötet worden, sieben davon waren muslimischen Glaubens, zwei Personen waren Sinti und Roma. Der Täter hatte es auf nicht-weiße Menschen abgesehen. Wie erst 2018 vom Bundesamt für Justiz zum ersten Mal offiziell anerkannt wurde, war es kein islamistischer Terror, aber eben auch kein unpolitischer Amoklauf, sondern rassistisch motivierte Hasskriminalität. Die Behörden berufen sich bei solchen Einordnungen auf Gutachten. In der Medienlandschaft wurde die Interpretation, dass die Tat rassistisch motiviert gewesen sein könnte, zu Beginn kaum verhandelt. Grund dafür war unter anderem, dass die Eltern des Täters, der mit seiner Volljährigkeit offiziell seinen Rufnamen von Ali auf David ändern ließ, aus Iran stammen.
David S. hatte sich zuvor in Internetforen radikalisiert, hinterließ ein rassistisches Manifest und plante die Tat auf den Tag fünf Jahre nach den grausamen Morden, die Anders Behring Breivik in Norwegen begangen hatte. Erst 2020, noch einmal drei Jahre später, wurde das Mahnmal auf Druck der Angehörigen umformuliert: Jetzt steht da „rassistisches Attentat“ und nicht „Amoklauf“. Dass dies inzwischen auch einheitlich von den Behörden so anerkannt werde, so der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) in seiner Rede zu diesem Anlass, sei auch der Beharrlichkeit der Betroffenen zu verdanken. Auch der Münchner Migrationsbeirat setzte sich immer wieder dafür ein.
- Wenn du dazu mehr wissen willst: Hier geht es zur thematischen Überblicksseite der SZ.