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"Ich bin froh, dass die rechte Bewegung endlich ihr wahres Gesicht zeigt"

Foto: privat

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christian picciolini cover
Foto: privat

Christian Picciolini, 43, war in jungen Jahren Teil der amerikanischen Neonazi-Bewegung. Vor 23 Jahren schaffte er den Ausstieg, 2011 gründete er gemeinsam mit anderen Aussteigern „Life After Hate“, eine Non-Profit-Organisation, die Rechtsradikalen Auswege aus der Szene aufzeigt. Anfang des Jahres wurden Picciolinis Verein 400.000 Dollar von der US-Regierung – damals noch unter Präsident Obama – als Unterstützung zugesagt. Inzwischen hat das Ministerium für Heimatschutz diese Zusage wieder zurückgenommen, das Geld wird nicht fließen. Angeblich soll Katherine Gorka, die Frau von Trumps Berater Sebastian Gorka, maßgeblich an dieser Entscheidung beteiligt gewesen sein. Wir sprachen mit Picciolini am Dienstagmorgen über Charlottesville, wo ein 20-Jähriger Ultrarechter am Samstag mit seinem Auto in eine Anti-Nazi-Demo fuhr und dabei eine 32-Jährige tötete. 

jetzt: Bei den gewalttätigen Ausschreitungen in Charlottesville waren viele junge Menschen unter den Rechtsradikalen. Wie werden sie von der rechten Bewegung, egal ob KKK, Neonazis oder Alt-Right, rekrutiert?

Christian Picciolini: Es ist wichtig zu verstehen, dass junge Menschen in den USA heutzutage wenig Chancen haben. Studieren ist fast unbezahlbar. Wenn du es doch tust, lädst du dir einen horrenden Schuldenberg auf. Die Jobaussichten sind ebenfalls nicht gut und der derzeitigen Regierung fehlt es eindeutig an einer Vorbildfigur. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen suchen also verzweifelt nach einer Identität, nach einem Ziel im Leben. Kommt vielleicht noch ein Trauma, ein Schicksal, eine psychische Erkrankung hinzu, suchen sie nach einfachen Lösungen. Und es ist einfach, jemand anderem für seine Probleme die Schuld zu geben: Flüchtlinge, Migranten, Afroamerikaner, jedem, nur nicht einem selbst.

Wie radikalisieren sich die Menschen dann genau?

Im Internet findet sich in rauen Mengen die entsprechende Propaganda, ausgerichtet auf junge Leute. Häufig sind das eigentlich verlorene Kinder, die einfach nur dazu gehören wollen und diese Gruppe ist vielleicht die erste, die sie wirklich akzeptiert. Dann wird ihnen der Rassismus eingetrichtert. 

christian picciolini at dachau gate 1992 text

Das Foto zeigt Christian 1992 vor der Tür des Konzentrationslagers Dachau. Damals war der 19-Jährige überzeugter Neonazi, wenige Jahre später schaffte er den Ausstieg.

Foto: privat

Ist die rechte Bewegung in den USA in den vergangenen Wochen wieder lauter geworden? Oder täuscht das?

Ich glaube, die Bewegung war schon immer sehr präsent, doch jetzt fühlt sie sich noch mehr zu öffentlichen Aktionen ermutigt, weil sie die politische Macht hinter sich glaubt. Ob das tatsächlich auch stimmt, kann ich nicht beurteilen. Tatsache ist, die Anhänger der rechten Bewegung sehen in der Politik von „America First“, gegen Migranten und für Isolationspolitik, ihre eigene Ideologie widergespiegelt.

Du selbst hast vor 23 Jahren den Ausstieg aus dieser Szene geschafft. Inwiefern hat sich die Bewegung seitdem verändert?

Inhaltlich überhaupt nicht, die Ideale sind die gleichen. Nur die Verpackung ist anders. Was früher Skin-Heads und die KKK waren, sind jetzt gebildete Anzugträger. Das wollten die Bewegungen schon umsetzen, als ich noch Mitglied war, denn uns war klar, dass wir die Durchschnittsamerikaner mit unserem Auftreten abschrecken. Es ist schlimm, dass dies den Weg in die Gesellschaft gefunden hat. Aber ich bin auch froh, dass die rechte Bewegung endlich ihr wahres Gesicht zeigt.

 

Was ist dann der Unterschied zwischen dem Ku Klux Klan, Neonazis und den Alt-Right-Anhängern?

Es ist nur eine andere Marketing-Strategie. Die Treffen hinter verschlossenen Türen, die Worte, die sie nutzen, die Überzeugung sind die gleichen: Nationalsozialismus, das weiße Vaterland, der Antisemitismus, der Glaube, dass die kaukasische europäische Kultur von der Ausrottung bedroht sei.

 

"Ich kenne niemanden, der seinen rassistischen Überzeugungen abgeschworen hat, weil man ihm ins Gesicht geschlagen hat"

 

Nach der Gewalt in Charlottesville haben Menschen in den sozialen Medien angefangen zu versuchen, die Identitäten der Marschteilnehmer herauszufinden. Ein Mann ist infolge dessen arbeitslos geworden. Welchen Einfluss haben solche Aktionen auf rechte Bewegungen?

Sie werden weiter in die Höhle getrieben, in der sie sich eh schon befinden. Ich kenne niemanden, der seinen rassistischen Überzeugungen abgeschworen hat, weil man ihm ins Gesicht geschlagen hat oder er gefeuert wurde. Ich halte es für sehr wichtig, sich Rassismus in den Weg zu stellen und dass wir als Gesellschaft uns für das einsetzen müssen, was richtig ist. Aber Gewalt oder öffentliches Anprangern – public shaming – sind nicht der Ausweg. Wir dürfen sie nicht weiter wegstoßen, wir müssen sie in die Gesellschaft zurück zu holen.

 

Direkt nach den Ausschreitungen in Charlottesville sprach Präsident Trump von „Gewalt von beiden Seiten“, am Montag hat er dann schließlich die KKK und die Neonazis beim Namen genannt und ihre Taten verurteilt (Anm. d. Red.: Am Mittwoch hat er wiederum seine Aussagen relativiert) . Welche der beiden Aussagen kommt im rechten Kosmos an?

Am Samstag haben sie zumindest seine Rede gefeiert, als er von den vielen verschiedenen Seiten sprach. Er hat die Protestler auf eine Stufe gestellt mit den Neonazis – dabei ist das einfach nicht richtig. Es gab nur eine Gruppe, die gewalttätig war und jemanden umgebracht hat. Wir können nur raten, was in Präsident Trumps Kopf vorgeht.

 

Aber seine Berater wie Steve Bannon und Stephen Miller kokettieren ja offen mit ihrem rechten Umfeld...

…oh ja, er ist umgeben und wird beeinflusst von Menschen, die sehr wohl mit den Rechten verbunden sind. Das ist bekannt. Steve Bannon, Stephen Miller, Sebastian Gorka, sie haben alle Verbindungen zu weißen Nationalisten, Neonazis oder der Alt-Right-Bewegung. Als Trump dann schließlich diese Gruppierungen angeprangert hat, habe ich ihm das nicht so wirklich abgekauft. Auch die rechte Bewegung sieht es wahrscheinlich nicht als Attacke, sondern als etwas das er um des lieben Friedens willen gesagt hat.

 

Wie passt deine Theorie mit den verlorenen Kindern auf der Suche nach Identität mit den extrem erfolgreichen Trump-Beratern zusammen, die es immerhin bis ins Weiße Haus geschafft haben?

Natürlich kommen nicht alle Mitglieder der rechten Bewegung aus kaputten, armen Familien. Steve Bannon und Stephen Miller haben einen Uniabschluss, sind gebildet. Aber nur, weil sie eine gute Ausbildung haben oder aus einer heilen Familie kommen, heißt das nicht, dass dort drunter nicht irgendwo doch eine Zerrissenheit liegt. Scheidung, eine schlechte Beziehung zum Vater, psychische Probleme – das kann alles mögliche sein. Ich habe mich zwei Stunden lang mit Richard Spencer unterhalten, auch er ist gebildet und hat die ganze Zeit versucht, mit mir über seine Ideologie zu reden. Ich drängte das Gespräch dann wieder auf persönliche Dinge. Und schließlich gab auch Spencer zu, dass er sich Anerkennung wünsche. Jeder wird von etwas angetrieben. Aber bei den Rechten kann man es immer auf eine Lücke in deren Leben zurückführen, die sie irgendwie füllen möchten. 

 

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