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Ali Can im Interview über #MeTwo
Es ist nicht leicht derzeit, Ali Can zu erreichen. Vergangene Woche hat er den Hashtag #MeTwo ins Leben gerufen, unter dem Tausende Menschen mit Migrationshintergrund über Alltagsrassismus in Deutschland berichten. (Hier liest du mehr über den Hashtag und Ali.) Seitdem steht Alis Handy nicht still, die Postfächer laufen über vor Interviewanfragen. Allein das zeigt schon, wie sehr Ali mit #MeTwo einen wunden Punkt unserer Gesellschaft getroffen hat. Wir erreichen ihn im Taxi, nur bis zur Ankunft hat er Zeit für ein paar Fragen über die Debatte und mögliche Folgen.
jetzt: Warum hattest du gerade jetzt das Bedürfnis, über Rassismus gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen?
Ali Can: Immer mehr Menschen sind in den vergangenen Jahren einem Rechtsruck ausgesetzt, nur weil sie zwei Herzen in der Brust tragen. Den entsprechenden Impuls gab mir ein Zitat aus Özils Statement, wo er beklagt, dass er Deutscher ist, wenn er Erfolg hat und Migrant, wenn er Fehler macht. Es gibt unzählige Negativbeispiele für die strukturelle oder institutionelle Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund. Die Debatte über das Deutschsein war ein anderer Auslöser für die Hashtag-Kampagne. Einer dunkelhäutigen Frau sieht man äußerlich vielleicht an, dass sie aus einem anderen Land stammt, aber eben nicht, dass sie vielleicht für die freiheitlich-demokratische Grundordnung (FDGO) einsteht. Es ging mir also darum, sichtbar zu machen, wie viele Menschen täglich mit Rassismus zu kämpfen haben, nur weil sie einen anderen Namen haben oder aus einem anderen Land sind.
Was erhoffst du dir von der #MeTwo-Kampagne?
Der Hashtag ist zur Versöhnung gedacht. Und damit wir gemeinsam Konzepte für Politik, Schule und Institutionen entwickeln, um das Miteinander voranzutreiben. Es sollen alle mitreden können und dürfen, damit eine gute Streitkultur im Rahmen der FDGO entsteht. Eine offene und faire Debatte darüber zu führen, was Integration fördert oder schadet, darum geht es mir.
„Die Regierung muss sich von ihrem festgefahrenen Bild vom Deutschsein verabschieden“
Wie sehen diese Konzepte konkret aus? Was erwartest du nach der Debatte konkret von der Politik?
Die Debatten müssen versöhnlicher, lösungsorientierter und konstruktiver werden, indem man beispielsweise das Bundesheimatministerium um ein Referat erweitert, welches sich mit den Heimatgefühlen der hier Eingewanderten beschäftigt. Workshops zum interkulturellen Dialog an Volkshochschulen aufbauend auf der FDGO wären auch eine Möglichkeit dafür.
Warum ist dir die FDGO so wichtig?
Wer die FDGO verinnerlicht, kann sich selbst verwirklichen. Ich bin Deutscher, aber auch etwas anderes. Es ist auch völlig in Ordnung Fehler zu machen. Die Vision oder Frage, mit der sich Politiker und Journalisten in Zukunft beschäftigen, muss lauten: „Wie sieht eine Gesellschaft ohne Rassismus aus?“ Sonst wird aus der Flüchtlingskrise eine Integrationskrise. Und dann würden sich alle hier eingewanderten Menschen trotz erfolgreicher Integration einfach nicht dazugehörig fühlen und sich von der Gesellschaft abschotten.
Was kann man dagegen tun, um das zu verhindern?
Unzählige der Tweets handeln von institutionellem Rassismus in der Schule, weil Lehrer Haupt- oder Sonderschulempfehlungen vergeben. Anti-Rassismus-Trainings für Lehrer wären eine Lösung. Die Regierung muss sich von ihrem festgefahrenen Bild vom Deutschsein verabschieden, das sich über Herkunft, Geburtsort oder Aussehen definiert. Akzeptanz und das Ausleben der FDGO, also die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Unantastbarkeit der Würde des Menschen sind zielführendere Aspekte für die Zukunft.