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Aktivismus: Uigur:innen in China aus Deutschland unterstützen
Zumretay Arkin, 29, weiß noch ganz genau, wann sie begann, sich für die Rechte von Uigur:innen einzusetzen. Der Ausgangspunkt war das Massaker von Ürümqi am 5. Juli 2009. An diesem Tag gingen Tausende Uigur:innen auf die Straße und protestierten für ihre Menschenrechte. Uigur:innen– so wird die muslimische Minderheit bezeichnet, die in der autonomen Provinz Xinjiang in der Volksrepublik China lebt. In den darauffolgenden Tagen gab es Unruhen in der Stadt. Es kam zu starken Spannungen zwischen Uigur:innen und Chines:innen. Laut chinesischen Behörden starben fast 200 Menschen, darunter vor allem Chines:innen. Menschenrechtsaktivist:innen allerdings sind der Ansicht, dass die Zahlen nicht unabhängig überprüft worden seien und Übergriffe auf Uigur:innen verschleiert würden.
Zumretay engagiert sich schon lange für die Rechte der Uigur:innen.
Ürümqi ist die Hauptstadt der uigurischen Provinz Xinjiang und die Heimatstadt von Zumretay und ihrer Familie. Zumretay erzählt, dass sie drei Tage später, am 08. Juli, spätabends mit ihrer Familie in der Stadt angekommen sei. „Die chinesische Polizei und Sicherheitskräfte durchkämmten die Stadt. Sie verhafteten, töteten und ließen Hunderte von Uigur:innen verschwinden, die zuvor an Protesten für ihre Rechte teilgenommen haben sollen.“ Heute arbeitet sie als Programm-Managerin und Sprecherin für den World Uyghur Congress in München. Die Organisation setzt sich für die Menschenrechte der Uigur:innen ein und wird von Uigur:innen geführt. Zumretay steht regelmäßig vor UN- und EU-Abgeordneten.
Weltweit gibt es etwa 20 Millionen Uigur:innen. Davon leben rund 90 Prozent in der chinesischen Provinz Xinjiang, die offiziell „Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang“ heißt. Aufgrund der systematischen politischen, kulturellen und religiösen Unterdrückung in China flohen seit 2020 immer mehr von ihnen, auch nach Deutschland. Heute gilt die Provinz Xinjiang als Überwachungsstaat. Verschiedene Recherchen zeigen: Uigur:innen werden verfolgt, gefoltert, bewacht und in sogenannten Internierungslagern eingesperrt. Bis heute streitet die chinesische Regierung ab, Menschenrechte zu verletzen. Bei den Maßnahmen ginge es um die Bekämpfung von Radikalisierung und Extremismus. Viele Expert:innen sprechen inzwischen von einem Völkermord.
In Deutschland leben etwa 1500 Uigur:innen. Vor allem München hat sich zu einem Zentrum für Exil-Uigur:innen entwickelt. Von dort versuchen junge Uigur:innen, auf die Lage in China aufmerksam zu machen. Wie ist das, sich für eine Sache einzusetzen, der in Deutschland weitestgehend die Aufmerksamkeit fehlt?
Esma Memtimin weiß das genau. Die Uigurin erinnert sich noch gut an ihre erste Demonstration für Uiguren in München. Damals war sie 14 und ging ganz alleine hin. Heute ist Esma 18 Jahre alt, studiert in Darmstadt Mathematik im fünften Semester und ist Mitgründerin der „Uyghur Youth Initiative“, eine Gruppe Schüler:innen und Studierender, die sich für die Rechte der Uigur:innen einsetzen. Esmas Vater kam vor etwa 20 Jahren nach Deutschland. Nicht wegen der Arbeit, sagt sie, sondern um politisch aktiv zu werden. Denn als Uigur:in war das in China schon damals schwer. Während des Interviews sitzt sie in einem lauten Café voller Blumen in Darmstadt. Ihre schwarzen, glatten Haare trägt sie offen über den Schultern, ihre leicht geschminkten Augen wirken wach. Esma ist zierlich, lächelt oft und wirkt auf viele mit ihrer ruhigen Stimme vielleicht zurückhaltend. Doch wer ihr zuhört, merkt: Sie hat schon viel erlebt. Auf der Rückseite ihres Handys klebt ein Sticker mit dem Slogan „Stop Uyghur Genocide“, vor ihr auf dem Tisch liegt ein weiterer Stapel mit der Aufschrift: „Google Uyghur“. Der Sticker wirkt wie eine Aufforderung an die deutsche Gesellschaft. „Ich möchte nicht immer wieder erklären müssen, wo die Region liegt und was wir für Menschen sind“, sagt Esma.
Esma auf einer Demo.
Und manchmal ist sie doch kurz da, die Aufmerksamkeit: Ende 2019 wurden Dokumente geleakt, die erstmals die Existenz der Internierungslager öffentlich machten. Etwa eine Million Uigur:innen und andere muslimisch geprägte Ethnien wie Kasachen oder Kirgisen werden hier immer noch eingesperrt. An den Enthüllungen und Analysen, die auch „China Cables“ genannt wurden, war neben deutschen Medien wie der Süddeutschen Zeitung auch der Anthropologe Adrian Zenz maßgeblich beteiligt. Durch ihn wurden im Mai 2022 die sogenannten „Xinjiang Police Files“ veröffentlicht. Fotos, Dokumente und Daten aus dem Inneren des chinesischen Sicherheitsapparats wurden hier Adrian Zenz zugespielt und veröffentlicht. Momentan leitet er den Bereich China Studies der Victims of Communism Memorial Foundation in Washington D.C.. Seine Schwerpunkte liegen auf Chinas Ethnien-Politik, Masseninternierungen und Zwangsarbeit in Xinjiang. Im Interview erzählt er von der „extremen Einschränkung“ der Rechte, Kultur, Sprache und Freiheit der Uigur:innen: „Die chinesische Regierung verlangt, dass die Uiguren sich assimilieren, und zwar sowohl ideologisch, das heißt, dass sie den Lehren der Kommunistischen Partei folgen, als auch religiös.“
„Mich tröstet der Gedanke, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin in der uigurischen Diaspora“
Im September 2022 veröffentlichte die damalige UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet einen kritischen Bericht zur Lage der muslimischen Minderheit der Uigur:innen in Xinjiang. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass das Ausmaß der willkürlichen und diskriminierenden Verhaftungen von Uigur:innen und Angehörigen anderer muslimischer Gruppen internationale Verbrechen darstellen könnte – „insbesondere Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Zumretays Eltern wanderten aus Ürümqi aus, als sie noch sehr jung war, so erzählt sie es. In Kanada studierte sie Internationales Recht und Internationale Beziehungen. Sie weiß, dass ihr Engagement riskant ist: „Ich wusste, dass ich auf die sogenannte ,schwarze Liste‘ der chinesischen Regierung komme.“ Kontakt zu ihren Verwandten in China habe sie seit 2017 nicht mehr. Auch wenn sie die Möglichkeit hätte, ihre Familie zu kontaktieren, würde ich sie es nicht tun: zu riskant. Vor kurzem habe sie erfahren, dass ihre Tante von Polizisten mitgenommen und für zwei Wochen in einem Internierungslager eingesperrt worden sei: „Sie durchsuchten ihre Wohnung, kamen mit einem Foto von mir an und stellten eine Menge Fragen über meine Arbeit im Ausland.“ Bei Zumretay hinterlassen diese Erlebnisse Spuren. Sie mache sich viele Gedanken über den Nutzen ihres Engagements, sagt sie: „Gleichzeitig tröstet mich der Gedanke, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin in der uigurischen Diaspora.“ Auch Esma erzählt, dass ihr Onkel ohne Grund im Lager inhaftiert und später entlassen worden sei: „Letzter Stand war, dass jeder meiner Verwandten noch lebt, aber das ist jetzt auch schon einige Monate her.“ Die Kommunikation laufe aus Sicherheitsgründen oft über Ecken und sei sehr vorsichtig. Adrian Zenz sagt: „Nicht nur die Teilnahme an Demonstrationen ist sehr gefährlich, sondern jegliche Art der Kritik seitens der Uiguren wird von der chinesischen Regierung als Gefahr wahrgenommen.“
Esma und Zumretay lassen sich davon nicht abhalten. Im April 2022 zum Beispiel startete Esma die Kampagne „What if it happened to you“. Mit ihrer Gruppe stellte sie in Frankfurt, München und Köln mehrere Spiegel mit QR-Codes und Zitaten wie „Wer schweigt, ist Teil des Problems“ auf. Die Spiegel standen auf belebten Straßen, um möglichst viele Menschen zu erreichen. Der QR-Code führte direkt auf die Website der Initiative. Regelmäßig organisiert Esma mit ihrer Gruppe außerdem Demos in Großstädten und postet Vlogs auf Tiktok und Instagram. Was sie tut, fällt auf: Auf Demonstrationen stünden regelmäßig chinesische Männer in schwarzen Anzügen mit Aktenkoffern, die Fotos von den Demonstrierenden machen. Eine Zeit lang hätten sich deswegen viele Teilnehmende verhüllt und blaue Masken getragen. „Jetzt trauen wir uns ohne die Maske raus.“ Viele Demonstrierende wollen nun ihre Gesichter zeigen und nehmen es in Kauf, nie wieder in China einreisen zu können oder mit ihren Verwandten zu sprechen. Das letzte Mal war Esma mit sieben Jahren in der Heimat ihrer Eltern und besuchte dort ihre Verwandten
Als Außenministerin Annalena Baerbock Mitte April in Peking zu Besuch war, kritisierte sie den Umgang mit den Uigur:innen mit für deutsche Verhältnisse deutlichen Worten. Ihr chinesischer Amtskollege reagierte auf die Kritik empfindlich und gab an, es gehe der chinesischen Regierung darum, gewalttätige Aktivitäten und Separatisten zu bekämpfen. Deutschland solle sich nicht einmischen. Zenz wünscht sich, dass deutsche Politiker:innen schon viel früher Kritik geübt hätten: „Selbst diesen grundlegendsten Schritt haben viele Regierungen ganz lange überhaupt nicht ergriffen. Ich empfinde das als absolute Katastrophe.“
Zumretay und Esma wünschen sich, dass in Deutschland noch mehr über diese Ergebnisse und das, was sie für den Umgang mit China bedeuten, gesprochen wird. Auch deswegen gehen sie auf die Straße. Beide bleiben hoffnungsvoll: „Obwohl meine Arbeit eine Menge Konsequenzen für mich und meine Familie hat, entscheide ich mich trotzdem dafür. Ich weiß, dass sich die Dinge ändern werden“, sagt Zumretay. Eines wissen beide sicher: Sich zurückzuziehen, ist keine Option.
Transparenzhinweis: Unsere aktuelle Praktikantin Sila Selin Noyan ist ebenfalls bei der „Uyghur Youth Initiative“ engagiert, hatte aber keine Berührungspunkte mit der Entstehung und Veröffentlichung dieses Beitrags.