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„Ich hätte gern noch viel mehr für die Jungs getan“

Sascha Richter war in Afghanistan stationiert, und ist jetzt Teil der Minusma-Mission in Mali.
Foto: privat

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Sascha Richter ist Hauptmann der Reserve der Bundeswehr. 2019 bis 2020 war der 30-Jährige in Afghanistan als „Führer der Ortskräfte“ im Einsatz. Stationiert war er damals im Camp Marmal in der Nähe der Stadt Masar-e-Scharif am Hindukusch. Sascha ist einer der ehemaligen Zeitsoldaten, die sich im Patenschaftsnetzwerk für afghanische Ortskräfte einsetzen – dafür, dass sie nach Deutschland kommen können und dafür, dass sie hier auch einen Platz in der Gesellschaft haben. Ende vergangener Woche flog er als Reservist direkt an einen neuen Einsatzort: Mali. Die Lage dort erinnert viele Beobachter*innen an den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan – und Sascha kommt dort auch wieder mit Ortskräften in Kontakt. Im Interview mit jetzt erzählt er, wie es ist, einen neuen Einsatz zu beginnen, wenn man mit dem Kopf noch beim alten ist, an welche Menschen er jetzt besonders denkt und welche Bindung er über die Jahre zu den Ortskräften aufgebaut hat. 

jetzt: Du warst in Afghanistan „Führer der Ortskräfte“. Was waren da deine Aufgaben?

Sascha: Ich war für Wachpersonal und einen Teil der Übersetzer im Camp Marmal verantwortlich. Das heißt, ich habe sie angeleitet, aber auch alles drum herum organisiert: Material, Ausbildung, Verwaltung. Unter den Begriff „Ortskräfte“ fallen natürlich viel mehr Menschen: ganz normale Arbeiter im Bauberuf oder in der Küche oder Reinigungskräfte – einfach Personal aus dem Land, das angestellt wird, um die Bundeswehr zu unterstützen. Aber auch das Auswärtige Amt oder NGOs haben Ortskräfte beschäftigt, also Einheimische angestellt.

 

Was hattest du damals für eine Beziehung zu den Ortskräften?

Gerade zu den Übersetzern habe ich einen sehr engen Kontakt aufgebaut. Mit denen kann und muss man sich viel austauschen, denn viele der Ortskräfte sprechen ja nur Dari. Deswegen sind die Übersetzer immer dabei, man hockt ein bisschen aufeinander und dann erzählt die Ortskraft natürlich auch von ihrer Familie und ihrem Leben. Viele Soldaten bauen eine tiefere Beziehung zu den Ortskräften auf, die über das Arbeitsverhältnis hinausgeht. 

„Ich hätte am liebsten noch viel mehr für die Jungs getan“

Der Abzug aus Afghanistan war ja lange schon angekündigt, und wurde dann immer wieder verschoben. War das Thema zwischen Soldat*innen und Ortskräften?

Die Lage war ja 2019 und 2020 auch schon brisant. Es gab aber einen Stimmungsumschwung im Januar 2020, als der damalige US-Präsident Trump verkündet hat, man müsse die Amerikaner aus Afghanistan rausholen. Das hat man den Ortskräften sofort angesehen: Die freundlichen Gesichter, die einen am Tag zuvor noch angelacht haben, wurden auf einmal sehr betrübt und besorgt. Die Menschen haben auch immer wieder nachgefragt, was passiert, falls wir auch rausgehen.

Wie war das für dich dann, als du zurück nach Deutschland musstest?

Man geht nach einem Einsatz immer mit einem lachenden und einem weinenden Auge nach Hause. Zum einen habe ich mich natürlich gefreut, wieder meine eigene Familie zu sehen. Auf der anderen Seite war ich auch ein bisschen traurig und bedrückt, weil man die Leute einfach so zurücklässt. Ich hätte am liebsten noch viel mehr für die Jungs getan. Man hätte da noch viel mehr bewegen wollen.

Nach der schnellen Machtübernahme der Taliban waren viele schockiert davon, dass die Evakuierungsaktion der Bundesregierung so schlecht vorbereitet schien. Seitdem ist eine Woche vergangen. Würdest du sagen, es läuft jetzt besser? 

Nein, nicht wirklich. Wir vom Patenschaftsnetzwerk sagen seit Juni, dass die gefährdeten Ortskräfte aus Afghanistan raus müssen. Jetzt wird versucht nachzuziehen, aber die Situation ist derart brisant – gerade am Flughafen von Kabul –, dass es immer schwieriger wird, die Ortskräfte zu erreichen und sie überhaupt an oder in den Flughafen zu bekommen. Das ist momentan fast ein Ding der Unmöglichkeit. 

„Ich versuche seit Wochen, drei minderjährige Kinder von Ortskräften aus dem Land zu bekommen“

An wen denkst du da gerade besonders?

Ich selbst versuche seit Wochen, drei minderjährige Kinder von Ortskräften aus dem Land zu bekommen. Das ist aber sehr schwierig, weil sie sich am Airport kaum durchsetzen können, und sich dort gleichzeitig einer riesigen Gefahr aussetzen. Gerade die zwei Töchter, die 16 und 17 Jahre alt sind. Hätte man die ganze Bürokratie hier früher abgebaut und die Hürden nicht so hoch gesetzt, hätte man sie schon längst aus dem Land und in Sicherheit bekommen. Momentan sitzen sie immer noch angsterfüllt in Kabul und wissen nicht, wie es weitergeht.

Die Eltern sind schon in Deutschland? 

Ja, schon seit Juni. Sie hatten Papiere, die Kinder noch nicht. Die Eltern wurden bereits bedroht und haben gehofft, dass man von hier aus den Prozess beschleunigen kann.  Ohne gültige Papiere wurde ihnen ein Visum trotz Berechtigung monatelang verwehrt.

Schaffen die Mädchen das noch?

Ich hoffe es – Hoffnung ist das Einzige, das uns noch bleibt.

Weißt du, ob dir bekannte Ortskräfte schon in die Hände der Taliban gefallen sind?

Ich kenne und kannte zwischen 250 und 300 Ortskräfte. Zu vielen habe ich keinen Kontakt mehr. Bei denen weiß ich natürlich nicht, wie es ihnen ergeht und ergangen ist. 

Das muss psychisch eine ganz schön starke Belastung sein.

Natürlich, man ist verärgert und sprachlos darüber, wie die Bundesregierung da reagiert. Und wir versuchen das Bestmögliche, um den Menschen zu helfen, nutzen alle Kontakte, die wir haben. Aber so schlimm man sich selbst fühlt – man hat auch immer im Hinterkopf, dass man nur erahnen kann, wie es jetzt zum Beispiel den Eltern der drei Kinder hier in Deutschland geht.

Und dann sind da ja noch die ganzen Menschen, die keine Ortskräfte sind – aber auch in großer Gefahr sind. Musst du auch an die manchmal denken?

Jeder Mensch hat es verdient, in Sicherheit zu leben. Man denkt selbstverständlich vor allem an die Frauen und Kinder in Afghanistan, die nun unter einem Taliban-Regime stark leiden werden.

„Die Zusammenarbeit war sehr schön und bewegt mich noch immer“

Hättest du vor deinem Einsatz in Afghanistan gedacht, dass du dich so für die Menschen dort verantwortlich fühlen wirst?

Nein. Ich war in meinem Einsatz unfassbar überrascht von der Gastfreundschaft der Afghanen, aber auch von der Loyalität und dem Respekt, den die Menschen uns gegenüber hatten. Die Zusammenarbeit war sehr schön und bewegt mich noch immer.

Hast du Schuldgefühle?

Ich selbst nicht. Ich tue aber auch zusammen mit anderen Menschen im Patenschaftsnetzwerk alles in meiner Macht stehende, um die Menschen zu unterstützen.

Seit Donnerstag bist du im nächsten Einsatz in Mali – und kommst da wieder mit Ortskräften in Kontakt. Ist das nicht heftig, mit dem Kopf noch bei den Afghan*innen zu sein, und dich jetzt hier auf ein neues Land und neue Menschen einzulassen?

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen abgedroschen, aber irgendwo muss man ja auch professionell genug arbeiten und handeln, dass man sagt: Man hat eine neue Aufgabe bekommen und die nimmt man jetzt auch so wahr, dass sie erfolgreich wird. Also mit bestem Wissen und Gewissen.

Du bist da jetzt Teil des Minusma-Einsatzes in der Sahelzone. Der gilt als gefährlichster Einsatz der UN gerade. Machst du dir Sorgen?

Es schwebt natürlich immer ein bisschen mit. Aber dafür sind wir ja Soldaten. Ich hab mir ja den Job ausgesucht. 

Der Einsatz in Mali erinnert viele an den Einsatz in Afghanistan. Auch die Bundeskanzlerin wurde schon gefragt, ob sie in Mali ähnliche Entwicklungen fürchte. Was wünscht du dir denn für deinen neuen Einsatz?

Ich sehe das anders, für mich ist es ein ganz anderer Einsatz. In Mali sind wir ja unter einer ganz anderen Flagge – als Teil der UN, während Afghanistan ein Nato-Einsatz war. Ich erhoffe mir aber eine ungeschönte Bilanzierung des Afghanistan-Einsatzes: dass man sagt, was geklappt hat, aber auch ganz klar, was nicht geklappt hat – und dann daraus lernt.

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