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26-Jähriger will Oberbürgermeister von Ludwigsburg werden
Zwölf Euro pro Quadratmeter zahlt Jakob Novotny für sein WG-Zimmer in Ludwigsburg. Der 26-Jährige studiert Politik, Sport und Englisch auf Lehramt und ist 2015 in die 90 000-Einwohner-Stadt bei Stuttgart gezogen. Damit ist Jakob nicht allein, in Ludwigsburg zu wohnen ist teuer. So teuer, dass sie es auf Platz neun der teuersten Städte Deutschland geschafft hat. Jakob will, dass Wohnen in Ludwigsburg wieder bezahlbar wird. Deshalb will der Student Oberbürgermeister werden und tritt als Kandidat zur Wahl am 30. Juni an.
„Wenn ich Bürgermeister werde, will ich die Privatisierung von Wohnraum stoppen“, erzählt Jakob bei einem Spaziergang durch das Ludwigsburger Uni-Viertel, in dem überall seine pinken Wahlplakate an den Laternenpfählen hängen. Er zeigt auf eins und sagt lachend, als könnte er es gar nicht glauben: „Guck mal, da hänge ich!“ Er sieht aus, als würde er gerade zur Vorlesung gehen, trägt Rucksack und einen Wollpulli und erzählt, wo er die Ursache der Ludwigsburger Wohnkrise sieht. „Dadurch, dass hier so ein attraktiver Industriestandort ist, treiben private Investoren die Mietpreise in die Höhe.“ Jakob will, dass die Stadt keinen Verkauf von Immobilienflächen an private Investoren mehr erlaubt. Ludwigsburg solle auf freien Flächen Sozialwohnungen bauen, anstatt sie zu verkaufen.
Die Ludwigsburger Wohnkrise ist beispielhaft für deutsche Industriestandorte. Das Umfeld von Stuttgart boomt, weil dort Industrieriesen wie Daimler, Porsche und Bosch immer größer werden. Laut dem Mietspiegelindex 2018 des Forschungsunternehmens F+B gehören neben Ludwigsburg auch noch Leinfelden-Echterdingen, Ditzingen, Fellbach und Esslingen am Neckar zu den zwanzig teuersten Städten Deutschlands. Alles Gemeinden im Stuttgarter Speckgürtel, alle teurer als Frankfurt, Düsseldorf, Heidelberg oder Nürnberg.
Der Student ist mit der Klima- und Wohnungspolitik seiner Stadt unzufrieden
Jakob schlägt vor, in ein Café zu gehen. Der Student wirkt selbstsicher, lacht viel und kann gut reden. Er weiß, wie er sich verkaufen muss, ist nett und höflich. Im Café erzählt er von einem Nestlé-Werk am Ludwigsburger Bahnhof, das 2018 geschlossen wurde. Seitdem steht das Gebäude leer. „Unser Bürgermeister will dort Werkstätten für Kreative ansiedeln oder ein Hotel bauen. Das ist doch ein Arschtritt für Leute, die in unserer Stadt auf der offiziellen Warteliste für bezahlbaren Wohnraum stehen.“ Ende Mai schrieb die Ludwigsburger Kreiszeitung, dass auf dem zentral gelegenen Grundstück ein Fahrradparkhaus entstehen soll.
Auch beim Thema Klimaschutz ist Jakob unzufrieden. Mit ihm im Rathaus soll Ludwigsburg bis 2030 klimaneutral sein. Er will günstigeren Nahverkehr und das Fahrradnetz in Ludwigsburg ausbauen. Außerdem soll die Stadt einen CO2-Beauftragten bekommen, der jede Entscheidung des Gemeinderats auf ihre CO2-Bilanz untersucht. Städtisches Vermögen soll nur noch für sozial-ökologische Projekte investiert werden. „Ab jetzt sollte bei jeder Kommunalwahl in Deutschland ein Mensch aus der jüngeren Generation antreten, damit wir das Thema Klimaschutz endlich ernst nehmen“, sagt Jakob.
Obwohl es zu seinen Themen passt, mag es Jakob nicht, wenn er als „links“ oder „antikapitalistisch“ bezeichnet wird. „Solche Schlagwörter drängen einen in eine Ecke, in der man schnell nicht mehr ernst genommen wird“, sagt er. „Ich will nicht kategorisiert werden, das steht meinen Zielen im Weg. Ich will, dass die Leute wissen, dass ich Ludwigsburg sozialer machen will. Das zählt.“ Neben der Entprivatisierung von Wohnraum möchte Jakob auch, dass Kinderbetreuung in Ludwigsburg kostenlos wird. Außerdem will er Sozialtickets einführen, sodass ärmere Menschen kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können.
Seine Kampagne hat Jakob mit einem fünfminütigen Youtube-Video gestartet
Jakob hat keine direkten politischen Vorbilder, erzählt er, aber er bewundert Alexandria Ocasio-Cortez, die in Amerika eine „Revolution von unten“ gestartet habe. Auch Kevin Kühnert finde er irgendwie gut, sagt er. „Kühnert hat interessante Ideen, aber seine Partei lähmt ihn“, sagt Jakob. „Er könnte ohne die SPD viel mehr erreichen, er ist viel zu zögerlich, weil er auf Parteilinie bleiben muss.“ Jakob ist überzeugt, dass ein sozialer und ökologischer Umbruch nicht mehr als Mitglied einer etablierten Partei erreicht werden kann. Deshalb ist er 2018 aus der Linken ausgetreten und tritt für den OB-Posten als Parteiloser an.
Junge Menschen wie Jakob politisieren sich nicht mehr durch den Eintritt in eine Partei. Sie nutzen alle ihnen zu Verfügung stehenden Kanäle und pushen ihre Themen, die von den Altparteien nicht vertreten werden. Das ist nicht erst seit dem Rezo-Video so, das die CDU mit in die Krise stürzte. Die „Fridays for Future“-Proteste beschäftigen die Regierung seit Monaten und bei der Europawahl straften junge Wähler die Regierungsparteien SPD und CDU/CSU klar ab. Für Jakob war das höchste Zeit, wie er sagt: „Unsere Themen werden nicht mehr gehört. Deshalb müssen wir es jetzt halt selber machen.“
Vor einigen Wochen hat Jakob angefangen, in Ludwigsburg Wahlkampf zu machen. Seine Website und seine Plakate sehen aus wie die Werbung eines hippen Getränke-Start-ups, er weiß, wie er seine Zielgruppe anspricht. Er erzählt, dass er seine Kampagne aus eigener Tasche bezahlt habe, 1500 Euro hätten Flyer, Plakate und Website gekostet. Die hat er sich durch seinen Nebenjob als Tennislehrer verdient. Beim Plakate aufhängen haben ihm Freunde geholfen. Seine Kampagne hat Jakob mit einem fünfminütigen Youtube-Video gestartet, in dem er seine Ziele für ein sozialeres und grüneres Ludwigsburg erklärt. „Du brauchst gar nicht so viel, um dich zu engagieren“, sagt Jakob. „Ich habe 100 Unterschriften gesammelt, bin damit zum Rathaus, habe eine Website, ein Video und Flyer gemacht und schon war ich OB-Kandidat.“
Jakob geht es um mehr als nur um das Amt als Oberbürgermeister
Jakob nutzt die geringe Kommunikationsbarriere und die enorme Reichweite, die junge Menschen durch das Internet haben. Rezos Video hat mittlerweile fast 15 Millionen Klicks – und was er damit erreicht hat, ist bekannt. Menschen wie Jakob wissen, dass man politische Ideen am besten über das Internet an die junge Generation heranträgt. Der Student ist aktiv auf Facebook, Instagram und Youtube, um die Menschen zu erreichen, die schon bei der Europawahl die etablierten Parteien abgestraft haben: die Generation unter 30.
Man merkt, dass Jakob für Politik brennt. Er redet und redet, erzählt strukturiert und überlegt von seinen Ideen und vergisst dabei komplett, im Café etwas zu bestellen. Nach über einer Stunde kommt eine Mitarbeiterin genervt an den Tisch und fragt, ob wir hier nur sitzen oder auch etwas trinken wollen. Jakob ist das peinlich, er bestellt sich eine Rarbarberschorle und erzählt weiter davon, wie er Ludwigsburg verändern will. Wie er das alles konkret umsetzen möchte, wie er sein Pläne finanzieren möchte, diese Antworten bleibt er schuldig. Aber immerhin hat er eine feste Vorstellung davon, welche Probleme dringend und mit Vehemenz angegangen werden müssen.
Es ist nicht neu, dass junge Menschen für Politik brennen und gute Ideen haben, wie man Dinge verändern kann. Neu ist, dass sie Gehör finden und dass sich ihr Einfluss zum ersten Mal in einer Wahl wiedergespiegelt hat. Das weiß Jakob, deshalb tritt er als Oberbürgermeister an. Er weiß aber auch, dass er trotz Programm und seinen Followern nach der Wahl am 30. Juni wahrscheinlich nicht im Ludwigsburger Rathaus sitzen wird. Dazu sind die etablierten Kandidaten zu stark, aber darum geht es ihm auch nicht. „Ich will, dass über die Wohnkrise und über den Klimaschutz gesprochen wird. Wir müssen aufwachen. Darum geht es mir, nicht um irgendein Amt.“