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Polarnacht-Kolumne: Home, sweet home

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Woche 5 Temperatur: -2 bis -9°C
Schneehöhe: 10 bis 30 cm
Stimmung: entnervt bis stoisch
Verhältnis zum Vermieterfreund: leicht angespannt

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Isolierung von außen: Schnee an die Hauswand schippen.
Nachdem ich mich in dieses Haus auf den ersten Blick verliebt hatte, haben sich meine Gefühle inzwischen eher zu einer Hassliebe entwickelt. Ein kleiner Einblick in meinen Alltag zu Hause:

Das Problem: Eine horrende Stromrechnung - im Winter zahlte mein Vermieterfreund monatlich mehr für Strom, als er jetzt an Miete verlangt. Das kann ich mir nicht leisten. Was dahintersteckt: Das Wasser wird elektrisch aus dem eigenen Brunnen gepumpt, das Klo verbrennt den Inhalt elektrisch zu Asche, der Herd wurde sicher noch vor der ersten Ölkrise gebaut und funktioniert auch nicht mehr richtig. Außer dem Kühlschrank gibt es noch zwei Kühltruhen voll mit Blaubeeren, diversen Eissorten mit historischem Haltbarkeitsdatum und Plastiktüten mit Körperteilen vermutlich längst ausgestorbener Tierarten. Die Wände hier sind kaum isoliert, das Kaminfeuer reicht nicht für das ganze Haus und ansonsten gibt es nur elektrische Öfen. Die Lösung: Ich verfrachte alles Gefriergut in die größte Kühltruhe und schalte den Rest ab. Der Kühlschrank steht in der Vorrats- und Rumpelkammer, in der seit Oktober sowieso unter 8°C herrschen. Dann verschiebe ich die dicke Truhe und hänge Vorhänge auf, so daß eine isolierte Ecke entsteht, die effektiver zu beheizen ist. Oft spare ich auch Energie durch Im-Bett-bleiben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mit Kaminfeuer beheizbarer Raum zwischen ausrangiertem Segel und Vorhang.

Das Problem: Der Wasserhahn im "Bad" fängt an, ohrenbetäubenden Lärm zu verursachen, der durch alle Wände dringt und noch draußen hörbar ist.

Was dahintersteckt: Mein Vermieterfreund sagt, das liege am Druck und könne dadurch behoben werden, dass man an den anderen Wasserhähnen herumdrehe. Nachdem ich eine Weile ohrenzuhaltend zwischen Waschbecken, Dusche und Küche herumgesprungen bin, gebe ich - dem Wahnsinn nahe - auf.

Die Lösung: Wenn man den Griff für das heiße Wasser fest genug in eine bestimmte Richtung drückt, ist Ruhe. Ich binde ihn mit Paketschnur an einem Haken neben dem Spiegel fest, genieße die Stille und versuche die Tatsache zu vergessen, dass ich jetzt das heiße Wasser nicht mehr benutzen kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wasserhahn vs. ich: 1 zu 0.

***
Das Problem: Tote Mäuse fallen aus dem Gerümpel des Vermieters. Im "Bad". Ich bin ja hygienisch eher hart im Nehmen, aber ich habe meine Grenzen. Verwesende Nagetiere zwischen Waschbecken und frischen Handtüchern sind eindeutig jenseits davon angesiedelt.

Was dahintersteckt: Ich frage den Vermieterfreund mit aller Höflichkeit, die ich aufbringen kann, ob es einen bestimmten Grund habe, dass er tote Mäuse im Badezimmer aufbewahre. Er erklärt, es sei normal, dass Mäuse ins Haus kämen. Dass sie ohne Falle oder Gift tot herumlägen, das sei aber schon seltsam. Mehr hat er dazu nicht zu sagen.

Die Lösung: Verständnisloses Kopfschütteln, der Gedanke an die billige Miete, Gummihandschuhe. *** Das Problem: Die Haustür geht nicht mehr auf. Was dahinter steckt: Eis im Türrahmen. Die Lösung: Rohe Gewalt! Türgriff herunterdrücken und feste treten. Zur Vorbeugung den Schnee, der zwischen Tür und Rahmen gerät, mit einem Handbesen wegfegen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Problem: Das heiße Wasser wird allmählich nur noch lauwarm. Was dahinter steckt: Der Vermieterfreund hatte schon im Juni erwähnt, dass da irgendein Teil ausgewechselt werden sollte, ging aber dann doch jedes Mal lieber segeln. Die Lösung: Das Teil ist angeblich bestellt, kommt aber nicht an. Ich erhitze mein Spülwasser im Wasserkocher und wasche, in Erinnerungen an die Abenteuer in einem grönländischen Dorf schwelgend, meine Haare in einem großen Topf.  

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Meine neue Waschgelegenheit. *** Das Problem: Die Waschmaschine rattert komisch, die Klamotten sind nach der angeblichen Wäsche noch triefend nass und riechen zweifelhaft.  Was dahinter steckt: Ein Plektrum im, äh, Stöpsel da. Und ein Dings ist kaputt. Ich habe keine Ahnung vom Innenleben einer Waschmaschine, und der Vermieterfreund gibt nur komplizierte Reparaturanleitungen und vertröstet auf seinen nächsten Besuch. Die Lösung: Mein Handy piept. Die Lieblingsfranzösin will wissen, wie es geht und ob ich Lust hätte, sie auf einen Kaffee oder ein Abendessen zu treffen. Ich schreibe, dass es nicht so toll geht. Und dass es super wäre, wenn ich vorbeikommen könnte, um zu duschen und meine Wäsche zu waschen... Ihre Antwort: Klar, jederzeit. Sie überlässt mir ihren Zweitschlüssel und freut sich darauf, dass ich sie jetzt ganz oft besuchen muss. ***

Das Problem: Ich fühle mich so unzivilisiert.

Was dahintersteckt: Wochen im Chaos ohne Waschmaschine und Warmwasser. Mein sorgloser Vermieterfreund schreibt fröhlich, ich solle es doch von der guten Seite sehen: Ich spare schließlich viel Geld für Strom... Die Lösung: Mehr Zeit beim Husky-Mann verbringen, der sein Wasser aus einem nahegelegenen Bach holt und seine Klamotten mit der Hand wäscht. Er rät mir, unbedingt auf schnelle Reparaturen zu drängen. Fließendes heißes Wasser sei schließlich sehr wichtig, erklärt er mit ernster Miene. Dann brechen wir beide in Gelächter aus. Disclaimer: Ich möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, daß solche Zustände hier normal sind. Die meisten Leute hier leben in ganz normalen Häusern in ganz normalen Wohngebieten und machen ganz normale Sachen. Aber darüber würde ja niemand lesen wollen.

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