- • Startseite
- • Parkbank
-
•
Trachtenfasching und tätowierte Rautenmuster
Die Wiesn steht vor der Tür und schon seit Wochen sieht man in der Stadt wieder viele Menschen in mehr oder weniger traditioneller Tracht. In Dirndl oder Lederhose zum Oktoberfest zu gehen ist seit einigen Jahren für viele junge Münchner ein Muss. Das Revival der Tracht ist aber nur eine von verschiedenen Entwicklungen der vergangenen Jahre, in denen sich eine neue Heimatverbundenheit und die Rückbesinnung auf hiesige Traditionen spiegelt. Dass junge Menschen die guten alten Dinge beschwören, dass bayerischen Blasmusik den Pop infiltriert und junge Münchner Partyveranstalter sich stolz das Label „So not Berlin“ verpassen: Das alles sind Phänomene, die so vor zehn Jahren wahrscheinlich kaum jemand vorhergesagt hätte.
In der jetzt.de-Redaktion haben wir uns gefragt: Wie sehr prägen diese Entwicklungen unsere Identität als junge Münchner? Und wie viel Tradition und Heimatverbundenheit wollen und brauchen wir eigentlich? Deshalb haben wir am Sonntag bei unserem ersten Parkbankgespräch über diese Fragen diskutiert. Auf unserer jetzt.de-Bank im Englischen Garten haben Platz genommen: Der gebürtige Münchner und im Umland heimische Markus Peters von der Zeitschrift „MUH“, dem Magazin für bayerische Aspekte; der Trachtendesigner Jörg Hittenkofer vom Label „Gottseidank“, geboren in Garmisch-Patenkirchen und seit zehn Jahren in München; und der gebürtige Bremer Lars Weisbrod, ein „Zugroaster“, der zuletzt in Köln und bereits ein knappes Dreivierteljahr hier in der Stadt gelebt hat und gerade für seine Promotion an der LMU erneut nach München zieht.
jetzt.de München: Wenn wir heute über Tradition und die Heimatverbundenheit junger Münchner sprechen, dann können wir kaum ignorieren, dass in ein paar Tagen das Oktoberfest beginnt. Wer von euch freut sich schon auf die Wiesn? Oder geht ihr gar nicht hin?
Markus: Wenn ich nicht muss, dann kann ich auf die normale Wiesn ganz gut verzichten. Ich war in den letzten Jahren aber sehr gerne auf der traditionellen „Oiden Wiesn“.
Jörg: Ich geh’ schon hin, aber eher, weil ich mich verpflichtet fühle. Ehrlich gesagt gehe ich lieber in den Biergarten.
Lars: Ich war noch nie auf der Wiesn, möchte aber auch nicht hingehen. Witzigerweise kann ich mit Karneval ganz viel anfangen, mit der Wiesn aber nicht, obwohl beides oft als ziemlich ähnlich gilt. Ich verstehe wohl einfach nicht, warum es auf der Wiesn nur eine Möglichkeit gibt, sich zu verkleiden. Auch wenn eine Tracht natürlich eigentlich keine Verkleidung ist.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Auf der Parbkbank diskutierten: Trachtendesigner Jörg, Juliane aus der jetzt-Redaktion, Markus vom MUH-Magazin und Neumünchner Lars (von links nach rechts)
Karneval ist ein gutes Stichwort. Wir haben vorab auch schon mit den jetzt.de-Usern über das Thema diskutiert. Dabei ging es auch um die Wiesn und mehrere User haben den „Trachtenfasching“ auf dem Oktoberfest kritisiert. Stört euch eigentlich dieser Umgang mit der traditionellen Tracht?
Markus: Stören nicht, nee. Mein Verständnis von Tracht ist aber ein anderes. Ich gehe nicht in einen Laden rein und kaufe mir für 99 Euro ein Set aus Lederhosen, Hemd und Haferlschuhen.
Jörg: Prinzipiell finde ich es schön, wenn Leute sich für ein besonderes Fest entsprechend schmücken. Ich denke, ein volkstümliches Kleid darf es auch in den unterschiedlichen Preiskategorien geben, das ist okay. Den Versuch finde ich daher löblich. Das Resultat ist aber oft dürftig.
Markus: Auch wenn dieser „Trachtenfasching“ eben nur scheinbar München ausmacht, muss man in diesem Zusammenhang aber auch mal den großen Vorteil der Wiesn hervorheben: Wenn es Bayern und München Zugeroasten wirklich so schwer machen, sich hier zugehörig zu fühlen, wie es manchmal heißt, dann ist es zumindest jetzt unfassbar einfach, sich als Müncher zu fühlen, wenn man in Tracht auf die Wiesn geht und dort alle gemeinsam feiern.
Lars: Was das Dazugehören betrifft: In Köln gibt es so eine inoffizielle Regel, dass man nach elf Jahren in Köln ein Kölner ist. Gibt es eigentlich auch hier so eine Art Regel, wie lange man schon in der Stadt leben oder was man gemacht muss, bis man von den Münchnern auch als echter Münchner akzeptiert wird?
Jörg: Also ich kenne es so, dass man dafür seit zwei Generationen in München sein muss...
Lars: Zwei Generationen!
Markus: Du hast noch einen langen Weg vor dir! Ich seh’ das ein bisschen entspannter. Man sagt ja oft, München sei das größte Dorf Bayerns. Tatsächlich war München ja lange wirklich nur ein Dorf und ist erst dadurch groß geworden, dass Menschen aus allen Teilen Bayerns hergekommen sind: Weil sie hier beruflich etwas reißen wollten oder weil die große Stadt gerufen hat. Von daher tue ich mir schwer, über einen Menschen, der hier lebt zu sagen: Das ist ein echter Münchner und das ist kein echter Münchner.
Für manche junge Münchner geht die Heimatliebe buchstäblich unter die Haut. Neulich habe ich jemanden gesehen, der sich das Münchner Kindl auf den Rücken hatte tätowiert lassen, vor einiger Zeit auch schon ein Rautenmuster-Tattoo. Markus und Jörg, wie weit geht euch denn eure Verbindung zu München oder Bayern unter die Haut?
Markus: Ach, für mich macht das keinen wahnsinnigen Unterschied, ob das in meinem Pass steht, dass ich aus München bin, oder ob das aus einer Tätowierung sichtbar wird.
Jörg: Würdest du dir denn so eine Tätowierung stechen lassen?
Markus: Nö, aus dem ganz praktischen Grund heraus, dass ich Angst vor Spritzen habe. Aus meinem jetzigen Lebensgefühl heraus finde ich die Idee gar nicht schlecht, aber ich weiß ja nicht, ob ich auch im hohen Alter das so sichtbar nach außen tragen wollen würde, dass ich aus München komme.
Jörg: Ich fänd das schon ganz witzig, so ein kleines Rautenmuster... Ich würd’s jetzt nicht für mich ausschließen. Vielleicht ist es mit so einem tätowierten Münchner Kindl oder einer Raute wie mit der Deutschlandflagge, die man inzwischen nicht mehr automatisch mit einem überzogenen Patriotismus verbindet. Im Gegensatz zu früher, als es sogar verpönt war, bayerischen Dialekt zu sprechen, schämen wir uns nicht mehr für unsere Herkunft.
Seid ihr denn eigentlich stolz darauf, aus Bayern zu kommen?
Jörg: Also ich bin nicht stolz darauf, weil vielleicht irgendwelche Vorfahren dafür gesorgt haben, dass es uns hier heute so gut geht.
Markus: Ich bin eigentlich auch nur froh darüber, hier zur Welt gekommen zu sein.
Jörg: Ja, das trifft es: Ich bin froh darüber.
Lars, erlebst du als Zugezogener die bayerische Heimatverbundenheit als ausgrenzend?
Lars: Nee, gar nicht. Ich finde es eher einladend, wenn Menschen ihre Heimat mögen, weil es ja auch meistens beinhaltet, dass sie anderen zeigen, was ihnen dort gefällt. Was ich allerdings manchmal unangenehm finde, ist die Angewohnheit von Bayern, mir als jemandem, der ganz offensichtlich nicht des Bayerischen mächtig ist, nicht zu versuchen, annäherungsweise auf Hochdeutsch zu antworten. Bei tiefstem Dialekt kann das schließlich bedeuten, dass ich es nicht verstehe.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Was glaubst ihr, woher kommt diese neue Heimatverbundenheit und das Interesse für bayerische Traditionen?
Jörg: Man sagt ja immer so phrasenhaft, dass wir heute immer mehr den Halt verlieren. Vielleicht hat es damit etwas zu tun, dass man sich darüber versucht, ihn sich wieder zu verschaffen. Dass viele einfach an dem festhalten wollen, was gut ist. Denn es geht uns ja gut in Bayern!
Markus: Zumindest in den letzten 50 Jahren.
Jörg: Ja, aber ich denke schon, dass die Angst davor, dass es schlechter werden könnte, als es im Augenblick ist, eine Rolle spielt. Oder davor, dass es irgendwann nicht mehr so beschaulich und so übersichtlich sein könnte. Vielleicht geht es also auch um den Wunsch nach einer gewissen Entschleunigung.
Was aber doch schon zumindest ungewöhnlich ist, ist, dass sich nicht wenige von uns jungen Menschen am traditionell Bayerischen orientieren. Klassischerweise identifiziert man sich als junger Mensch doch eher über die Abgrenzung vom Althergebrachten.
Markus: Trotzdem ist es ja kein Mainstream.
Jörg: Quasi die Konterrevolution ist das!
Markus: In gewisser Weise ist es ja auch eine Art Abgrenzung: Wenn sich alle mit globalen Themen beschäftigen, dann ist es ein Ausscheren aus der allgemeinen Tendenz, das nicht zu tun, sondern dass man auch schaut, was passiert vor meiner Haustür? Was macht Bayern aus?
Lars: Aber deine Eltern freuen sich doch bestimmt darüber, dass du das machst? Also, du bist zwar jetzt auch schon eine Weile aus dem Alter raus, in dem man sich von seinen Eltern zwingend abgrenzen muss, aber die finden das doch bestimmt super, dass du dich mit bayerischer Kultur auseinandersetzt, oder?
Markus: Ich glaube, sie haben grundsätzlich schon ein anderes Verhältnis dazu, sind an bayerischer Tradition weniger interessiert als ich. Die gehen höchstens mal zum Volkstanz, weil ich da hingehe, nicht aus Eigeninitiative.
Ein User hat in der Vorabdiskussion auf jetzt.de kommentiert: „Tradition ist mir wurscht, aber die Stadt find’ ich schön.“ Wie seht ihr das? Können wir nicht auch einfach als Münchner glücklich und zufrieden sein, hier zu leben und die Tradition einfach Tradition sein lassen?
Markus: Ich möchte die Position nicht angreifen, aber ich finde sie etwas oberflächlich. In dem Moment, in dem ich eine Antwort dazu finde, warum ich es hier mag, da habe ich ja auch einen Mehrwert.
Jörg: Wenn er sagt, er mag’s hier, nimmt er ja indirekt auch das Traditionelle an, aus dem das alles gewachsen ist. Fraglich also, ob ihm das alles wirklich wurscht ist.
Text: juliane-frisse - Fotos: Juri Gottschall