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Die Pärchenkolumne. Heute: Ausgehen
Michèle sagt: Was waren das noch für Zeiten als man ordentlich die Nacht durchfeiern konnte und am nächsten Tag mit Hilfe eines klassischen Konterbiers gleich noch mal fröhlich um die Häuser zog. Irgendwie geht das heute nicht mehr so locker flockig und ein Blick auf das eigene Geburtsdatum lässt einen Kopfschütteln ob der eigenen Schwächelei. Das Ausgehen müssen Dominic und ich uns vornehmen, sonst landen wir spießig das komplette Wochenende auf der Couch. Mit Studium und jeder zwei Jobs pachtet man quasi die Schlafkrankheit. Erbärmlich ist das, aber hilft ja nix. Haben wir uns trotzdem aufgerafft, den Freitagabend in einer Lokalität mit lauter Musik zu verbringen, läuft das Prozedere immer nach bestimmten festgelegten Ritualen ab. Witzigerweise scheinen die Geschlechterrollen vollkommen vertauscht. So ungefähr gegen 21 Uhr wird Dominic hibbelig. Während ich mich noch von stupidem Schwachsinn aus dem Fernseher berieseln lasse, wieselt er aufgeregt in die Küche und steht Sekunden später mit einem Bier lässig im Türrahmen. „Du, ich mach mich dann mal fertig.“ „Hmm, ja...mach mal.“ Ich nicke aus den Augenwinkeln und widme mich wieder der Flimmerkiste – ist schließlich auch noch viel zu früh zum Losziehen. Dominic verschwindet im Bad, um sich seine Indie-Frise zu striegeln. Das dauert mindestens bis zur übernächsten Werbepause. Kommt er zurück, wird der Kleiderschrank inspiziert. Das erinnert mich immer ein bisschen an diese Szene aus Clueless, als Alicia Silverstone verzweifelt nach einem Outfit für ihre Führerscheinprüfung sucht. Mindestens fünfmal werden alle Hemd-Krawatten-Kombis durchprobiert, um sich dann doch für die erste Variante zu entscheiden, weil „das coole Hemd“ gerade in der Wäsche ist. Begleitet wird die Anprobe vom zweiten Bier. Gegen kurz nach zehn passe ich dann einen günstigen Moment ab, an dem das Bad frei wird, und schmiere mir Farbe ins Gesicht. Meine Kleiderwahl geht schnell, ich hatte auch genug Zeit mir auf der Couch etwas zu überlegen. Das ist aber mein Geheimnis, zu Dominic sage ich nur: „Mann, brauchst du lange, du Mädchen. Lass mal losgehen.“ Komischerweise ist es dann doch schon wieder elf, wenn wir bewaffnet mit einem Unterwegsbier Richtung Club traben. Das Geld für die U-Bahn wird nämlich immer gespart. Sind auch nur zwei Stationen und das Bier muss ja auch noch leer werden.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Dominic sagt: Es ist ein schönes Ritual, wenn Michèle und ich uns zum gemeinsamen Weggehen aufmachen. Den Club betreten wir meistens schon leicht angeschickert, aber in diesem Fall spreche ich lieber nur von mir, denn hier trennen sich unsere Wege zum ersten Mal: Michèle entschwindet in Richtung Toiletten. Ich hole uns in aller Ruhe das erste Clubbier an der Bar, suche uns dort ein gemütliches Plätzchen und pflege unsere gastronomischen Beziehungen mit dem Barpersonal. Von diesem Moment an haben wir eigentlich immer einen Drink in der Hand und falls nicht, dauert es nicht lange: Freundlichkeit zahlt sich aus. Höchste Zeit auch, die Jacken loszuwerden und überflüssige Vokabeln wie ‚Kater’ oder ‚morgen früh’ aus dem aktiven Wortschatz zu verbannen. So lässt es sich auch viel besser mit den nach und nach aufkreuzenden Bekannten plaudern, die alle mit einem gemeinsamen Schlückchen begrüßt werden wollen. Damit haben weder Michèle noch ich ein Problem, wir begrüßen gerne und ausgiebig, solange es sich um kein 4cl-Schlückchen Klares handelt. Dessen fataler Wirkung haben wir beide freiwillig abgeschworen. Sind erst einmal genug Leute da, kann es gut vorkommen, dass Michèle und ich uns zwar nebeneinander, dafür aber über Stunden mit anderen Leuten unterhalten. Häufiger verlieren wir uns einfach aus den Augen, was oft daran liegt, dass sie auf dem Weg zur Toilette spontan neue Freunde findet oder – viel wahrscheinlicher – zufällig jemand nach Jahren wieder trifft. Da sorge ich mich manchmal um Michèles wahres Alter, aber nur kurz und nehme noch einen Schluck vom Plauderbier. Ist Michèle eine Weile verschwunden, mache ich mich unauffällig auf die Suche nach ihr und gucke mal eben auf die Tanzfläche. Ich finde sie nicht, dafür treffe ich drei andere Leute, mit denen ich heute noch nicht angestoßen habe. Zu diesem Zeitpunkt bin ich schön langsam bedient und mir hochprozentig sicher, Michèle legt währenddessen eine absichtliche Trinkpause ein. Ansonsten wäre mir unerklärlich, wie sie mich in den unmöglichsten Momenten in der Menge wieder findet und schon mal anmerkt, „Du, wollen wir demnächst gehen?“. Eigentlich ist das sehr praktisch, denn ich kann meistens ganz gut darauf warten, dass Michèle von selbst damit ankommt und erspare mir so die Buh-Nummer. Die kommt eventuell noch auf dem Heimweg. dominic-holzer
Michèle sagt: Es klingelt ordentlich in meinen Ohren, als wir aus der Clubtür stolpern. Mit Alkohol bin ich noch redseliger als normal, deshalb muss ich noch schnell mit allen Leuten vor der Tür Freundschaft schließen, bevor wir heimgehen. Meistens bekommt das dann der Türsteher ab, den ich gerade jetzt für „den besten Türsteher aller Zeiten halte“ und noch wahlweise unbedingt wissen will, was sein Lieblingslied, -essen, -eis oder –zigarettenmarke ist. Dominic steht dann schweigend und schwankend neben mir und schaut mit roten Augen ins Leere. Ich beschließe aufgedreht, dass man das Taxigeld doch auch sparen könnte und wir wieder laufen. Immerhin habe ich unter Einsatz meines Lebens ein letztes Bier in meiner Handtasche aus dem Club geschmuggelt. Das will getrunken werden. Durch das Laufen wird Dominic wieder ein bisschen wacher. Während er sich an meinem Arm festklammert, erklärt er mir Fußballregeln oder erstellt Wetterprognosen für den anbrechenden Tag. Leider muss er sich immer wieder unterbrechen, um festzustellen, wie schön das ist, dass ich mich an ihm festklammere. Wer sich hier an wem festhält, lasse ich mit einer hochgezogenen Augebraue dahingestellt. Immerhin bin ich mit meiner anderen Hand mit dem Schmuggelbier beschäftigt. Und irgendwer muss ja aufpassen, dass wir nicht dauernd über Mülltonnen oder Löwenstatuen fallen. Auf halbem Weg ist die Meteorologie meist abgegrast und Dominic braucht einen neuen Job für seine Stimmbänder. Er beginnt zu singen. Weil ihm aber dauernd Textzeilen fehlen, muss ich ihn unterstützen. Man kann ja nicht einfach den eigenen Freund hängen lassen. So auf offener Straße. Ich glaube, unsere Nachbarn hassen uns. Nein, nicht nur unsere Nachbarn, sondern all die Menschen, die dummerweise dort wohnen, wo Dominic und ich einträchtig „Up The Bracket“ singend nach Hause torkeln. Natürlich brauchen wir für die Strecke dreimal so lange als sonst und weil das so unfassbar anstrengend war, muss sich Dominic zuhause noch ein Bier aufmachen. Davon trinkt er maximal einen Schluck und stellt es dann neben das Bett. Was mit solchen Flaschen passiert, ist aus einer anderen Folge bekannt.