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Die Urlaubs-Helfer

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Annika ist 19 Jahre alt und studiert seit April Medizin an der Charité in Berlin. Ihre 20-jährige Freundin Paula jobbt seit ihrem Abi und fängt im Oktober an, in Wien zu studieren. Während ihrem diesjährigen Urlaub fuhren sie spontan auf die griechische Insel Lesbos, wo an einem Nachmittag bis zu 70 Schlauchboote und tausende Flüchtlinge ankommen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eine Bilder-Collage aus dem Instagram-Account der beiden Helferinnen. 

"Wir sind zusammen nach Athen geflogen, weil wir uns mit einer studentischen Medizinergruppe der Charité die griechischen „Clinics of solidarity“ anschauen wollten. Als zukünftige Ärztin wollte ich sehen, wie dort kostenlose ärztliche Versorgung möglich gemacht wird.
In Athen sah man überall Flüchtlinge. Egal, wo man sich befand. Aus Deutschland kannten wir die Flüchtlingsthematik eigentlich nur durch die Medien. So kam es, dass wir am letzten Tag unseres Athenaufenthalts auf dem „Victoria Square“, wo sich sehr viele Flüchtlinge befinden, drei Aktivisten aus England kennenlernten. Sie fragten, ob wir sie nicht nach Lesbos begleiten wollten, weil dort akute Hilfe gebraucht wird. Es war eine reflexartige Entscheidung, da wir überall Flüchtlinge sahen und dann Menschen trafen, die uns noch mehr dazu erzählten und erklärten. Mich packte vor allem die Abenteuerlust und so dachten wir uns: Wieso denn nicht? Mit einer Fähre fuhren wir über Nacht auf die Insel Lesbos, doch mit dem, was uns da erwartete, hatten wir einfach nicht gerechnet.

Einmal gingen wir mit den Aktivisten vor Ort an die Stelle am Strand, wo die Boote meistens ankommen. Und tatsächlich waren dort Dutzende Flüchtlinge. Frauen, Männer, Kinder. Sie waren zwar erschöpft, aber erstmal nur glücklich, es geschafft zu haben. Sie riefen auf Englisch „Danke, Danke“, als sie sahen, dass sie es heil geschafft hatten. Einige von ihnen trugen Rettungswesten, ihre Kleidung war völlig durchnässt. Das war krass. 

In Deutschland haben wir natürlich von den Flüchtlingen mitbekommen, aber hier zu sein, hat uns noch mal ganz anders getroffen. Zu sehen, wie es hier abläuft und Menschen kennenzulernen, die uns die Geschichten ihrer Flucht erzählen, nimmt uns sehr mit. Das sind hier die Menschen, die dann irgendwann in München ankommen. Mytilini, die Hafenstadt, in der wir uns befinden, ist nicht nur ein Touristenort, hier leben auch viele Studierende, es gibt viele NGOs.

"Trotz der schlimmen Lage erleben wir hier viele schöne Momente"

Wir beide helfen hier so gut, wie wir können. Gestern haben in einem der zwei Flüchtlingslager beim Putzen geholfen, dort werden die Menschen registriert. Sobald wir nützlich sein können, packen wir mit an. Aber man muss selbst gucken, wo es etwas zu tun gibt. Wir haben mit jungen und älteren Männern, aber auch mit Frauen mit sehr kleinen Kindern gesprochen. Sie sind allein deswegen schon froh, dass wir ihnen überhaupt zuhören. Sie finden es bemerkenswert, dass zwei junge Menschen und dann auch noch Frauen hierher gereist sind. Deshalb dokumentieren wir vieles mit Fotos und Interviews, damit auch andere junge Menschen sehen, was hier los ist.

Weil wir als zwei junge Blondinen auffallen, haben schon viele mit uns Selfies gemacht. Drei verwandte Syrer haben wir zufällig mehrmals getroffen, worauf wir beschlossen, E-Mail-Adressen auszutauschen. Wir hoffen, dass wir uns in Deutschland wieder sehen. Dafür müssen sie es aber erstmal nach Ungarn schaffen.

Doch trotz der schlimmen Lage erleben wir so viele schöne Momente. Wir sehen sehr viele lächelnde Gesichter. Es kommen viele junge Männer in unserem Alter. Mit einigen haben wir Freundschaft geschlossen, denn sie interessieren sich genauso für unsere Geschichte. Ich war am Anfang sehr überwältigt und hab mich gefragt, was ich hier eigentlich mache. Aber ich hab schnell gemerkt, dass die Menschen sich freuen, auf Solidarität zu stoßen. Das hat mich aufgemuntert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

                                                      Annika Welte. 

Die Erstversorgung hier vor Ort wird komplett von ein paar einzelnen Menschen gestellt. Eigentlich dachte ich immer, in solchen Situationen könne man sich auf die UNHCR verlassen, doch wir wurden hier bitter enttäuscht. Die meisten Flüchtlinge kommen im Norden von Lesbos an, von wo sie dann weiter in den Süden müssen, um danach weiter auf das Festland zu kommen. Doch die Fernbusse fahren so selten, dass die Leute die 65 bis 80 km in den Süden sogar laufen. Bei glühender Hitze. Ein paar Aktivisten sammeln erschöpfte Menschen vom Straßenrand auf, obwohl sie das nicht dürfen. Aber das ist ihnen dann egal. Ich finde es unglaublich, dass es wirklich nur auf die kleinen NGOs und Privatpersonen ankommt, die aus Eigeninitiative heraus, den Menschen Wasser zur Verfügung stellen. Hier im Süden, wo wir uns befinden, ist nichts für einen längeren Aufenthalt organisiert. Die Flüchtlinge sollen so schnell wie möglich aufs Festland weiter. Es gibt viel zu wenige Dolmetscher oder übersetzte Info-Schilder. Alle Geräte hier sind alt und am Wochenende arbeitet „Ärzte ohne Grenzen“ überhaupt nicht.

Für die Syrer geht es schnell weiter, weil sie bessere Chancen haben, anerkannt zu werden. Alle anderen müssen tagelang auf einen Termin in einem ehemaligen Gefängnis warten.
Mittlerweile hat es sich herumgesprochen, was sie in Ungarn erwartet, wenn sie dort ankommen. Die Flüchtlinge werden trotzdem die gewöhnliche Route nehmen, um nach Österreich zu kommen. Das bekommen wir in den Gesprächen hier mit. Eine Woche sind wir noch hier. In Deutschland werden wir dann versuchen den Flüchtlingen zu helfen, die es bis zu uns schaffen."

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