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Tagebuch vom Bachmannpreis 2010

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Mittwoch, 23. Juni 2010 Abfahrt von München gegen halb elf. Der schwerste Kleidersack den ich je dabei hatte, mit fünf Hemden und zwei Anzügen plus Sommerkleidchen von J. Auf der Fahrt spielen wir Jury und proben die schlimmsten Verrisse, die sich denken lassen. Gleichzeitig mit einem besonders schlimmen Vorwurf erklären wir, wie er zustande kommen könnte und warum er nicht wahr ist. So ist es sehr erträglich und ich bin beinahe vergnüglich. Außerdem war ich mit der letzten Leseprobe daheim recht zufrieden. Tauernautobahn fast ganz leer, viel Tunnel, dann Kärnten, das Land, in dem die Politiker traditionell aussehen wie Skilehrer. Der Wörthersee liegt rechts und ist schön blau. Direkt vors Hotel, gelegen in sehr engen Gassen. Überraschung: Keine Parkplätze, also füttern wir mal die Parkuhr – geht aber nur maximal drei Stunden. Ratlosigkeit. Sowas macht mich jetzt wirklich nervös. Umziehen und allein zum ersten Treffen am ORF-Theater, wo schon viele sommerliche Menschen herumstehen. In den ersten zehn Minuten schüttle ich 25 Hände. Mein Juror Winkels ist da, die anderen Autoren, die ich von den Fotos alle halberkenne. Das Bier ist noch limitiert. Es ist nett, unter den Bäumen. Ich werde oft fotografiert und stehe deswegen übermäßig geziert rum. Dann endlich die offizielle Eröffnung im Theater, zeitgleich mit dem Anstoß beim Deutschlandspiel. Egal. Wenn nur die Stühle nicht so eng wären. Shitloads an Grußworten, dann eine leibhaftige und kurzweilige Rede von Sybille Lewitscharov. Komisch ist das schon: die Fernsehkameras, die beflissenen Stadträte und Intendanten, ein exotischer Rahmen für Literatur. Schließlich Auslosung. Vorher bibberten alle darum, nicht am ersten Tag, also morgen lesen zu müssen. Ich ziehe Freitagmittag. Dann alle raus, Büffetgeschiebe. Agentin Katrin und Lektor Wolfram sind da, viel vorgestellt werden und heimliches mit dem Finger deuten: Das ist der und der. Die deutschen Verlagshäuser sind leer, alle sind hier und sprechen von den letzten zehn Mal als sie hier waren. Betriebsausflug inkl. Klatsch. Nicht ganz spät ins Hotel, Parkuhr gefüttert, wir brauchen die nächsten Tage dringen ein größeres Kleingeldreservoir. Heimkehrende Vuvuzelas tröten uns in den Schlaf. Ich bin froh, dass ich nicht morgen lesen muss. Donnerstag, 24. Juni 2010 Ein Ruhetag, aber um zehn natürlich doch vor dem Bildschirm um auf 3sat die erste Lesung zu sehen. Macht mich auch gleich hibbelig. Mein Vater meldet seine Ankunft auf dem Campingplatz Klagenfurt. Wir finden einen ganz hübschen Markt, mit Speckbergen, Würstelweibern und Blumenmütterchen. Ich hole sogar nochmal die Kamera. Dreihundert Leihräder fahren durc die Stadt, auf jedem ein Agent oder eine Lektorin. Wir rennen immer noch alle zwei Stunden zur Parkuhr. Später nett am Wasser des alten Kanals, wo zwischen den Bäumen Tische stehen und jemand Cola bringt, während der Fernsehen zeigt, wie die Konkurrenz schwitzt. Sehr erträglich. Nachmittags zum Vater auf den Campingplatz und endlich auch mal an den See. Er will mir Fische im Uferwasser zeigen, stattdessen liegt eine fette tote Ratte auf der Promenade. Naja. Aperitive. Dann wieder in die Stadt, die doch recht nett ist. Viel Bonbon-Barock und Erzherzog-Johann-Plätze und so. Allerdings auch überall komisch aufgeputsche Jugendgangs - verdächtig, zumal wenige Alte auf der Straße sind. Der Bürgermeister lädt abends ins Schlösschen am See. Die Gästeliste dort ist deckungsleich mit gestern abend. Stimmung wie in der Ferrero-Rocher Werbung. Jeder Verlag hat seine eigene Entourage und die Autoren des Wettbewerbs diffundieren eher nebensächlich dazwischen herum. Wieder viele Hände und viel Schulterklopfen für morgen. Probe im Hotelzimmer lief ganz gut. Alle versichern, wie egal es ist, was die Jury sagt. Je öfter ich das höre, desto weniger glaube ich es. Nicht zu spät heim. Viel SMS und Mail noch im Hotelzimmer. Freitag, 25. Juni 2010 Lesetag. Eigentlich ganz gut geschlafen. Für Jacket ist es viel zu warm, also nur Hemd und Hose. J. aufgeregter als ich, was praktisch ist, weil ich dann sie beruhige und so abgelenkt bin. Hin zum ORF-Theater, die anderen hocken alle schon drin. Kurzes Alleinsein zwischen Treppen und auf Fluren. Eigentlich wollte ich noch mit einem Korken sprechen um die Zunge genauer zu machen, aber das geht hier schlecht, zwischen den strömenden Bildungsbürgern. Außerdem sabbert man da so. Zu früh in die Maske, wo Tonmänner und Schminkdamen überaus ungestresst herumhocken, was mich leicht irre macht. Noch zwanzig Minuten bis elf. Ich tigere über die langen ORF-Flure und denke eine ganze Viertelstunde nichts. Lese die Kronen-Zeitung. Dann endlich Hektik, ich werde ins Studio geschoben und auf den schrecklich leeren Stuhl. Vertraute Gesichter in den Zuschauern. Dann lesen. Die bekannten Sätze, das einfache Lesen, es geht schon. Kichern im Publikum an manchen Stellen, was alles immer noch netter macht. Dann viel zu schnell der Text vorbei. Trocken. Zuhören jetzt. Schwierig sich überhaupt auf die Jury zu konzentrieren. Was sagt er? Ist das gut? Ah, nein, erst gut und dann gemein. Und die. Wo will sie hin? Jetzt reden sie über das, wo sie hinwollte. Aua, das tat jetzt weh. Und der? Ach, komm. Jetzt muss doch aber noch einer...aua. Ah, das wars. Adieu. Wie immer nach Auftritten dehnen sich die ersten Minuten danach seltsam aus. Wie in Musikvideos, in denen einer ganz langsam durch ganz schnell bewegte Umwelt geht. Lektor Wolfram wartet an der Tür, ich kann noch gar nichts sagen, nicke aber zu allem. Raus, da stehen die anderen lieben Gesichter. Ein Kameramann will, dass ich rückwärts die große Treppe hinaufgehe. Einer aus Zürich steckt mir Visitenkarten zu. Fotos. Zuschauer sagen Nettes. Alle nehmen mich sanft an die Schulter und schieben mich so rum. Mein Vater kennt interessante Ausdrücke für die Jury. Puh.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Später sitzen wir wieder am Kanal mit der kalten Cola. Ich plappere so vor mich hin, nur J. erkennt darin Schockverhalten. Dann sausen wir wieder zur Parkuhr. Es ist immer noch erst halb zwei. Superschwül und ich fühle mich äußerlich und innerlich wie Tod in Venedig. Handy wieder an; viele nette SMS. Antworten ist anstrengend. Im Zimmer unruhig, wieder raus, wir kaufen irgendwas, wieder rein. Ins Internet und gleich gemerkt, dass das ein Fehler war. Abschätzige Twitterer, gemeine Blogger, die schmerzen seltsam mehr als die Jury. Wer sich in Gefahr begibt kommt darin um, denke ich immer. Später wieder mit Lektor und Agentin auf Rädern durch die Stadt, zu einer Wirtschaft. Von weitem schon der Hahnenkamm von Sascha Lobo im Wirtsgarten, die ganze ZIA ist angereist, scheint es, um ihren Aleks Scholz zu unterstützen. Backhendl, viel Bier. Immer wieder Erörtern des Gesagten, wo die Fehler waren, die eigenen und die der anderen. Je öfter wir das machen desto beschädigter fühle ich mich. Puh. Samstag, 26. Juni 2010 Day after. Am Morgen ist leider alles immer noch genauso wie gestern. Irgendwie zieht sich das hier, vier Tage sind es jetzt schon, es ist wieder so warm. Im Internet auch ein paar versöhnliche Sachen, aber auch wieder aua. Zum Markt, wo wir Himbeersirup kaufen. Dann an den See geradelt und zum Komponierhäuschen von Mahler, das ein wenig am Berg liegt. Ein Hexenhaus mit Lautsprechern, aus denen die Symphonien in den Wald hinein wehen. Irgendwie gut. Später wieder am Kanal, letzte Lesungen gehört. Wer ist eigentlich Favorit, wer kriegt eigentlich die Preise? Scholz? Die junge Schweizerin? Im Hotel umziehen fürs Autorenfußball, mit Wolfram und Katrin zum Sportplatz. Brühwarm ist es. J. erkennt mich in Fußballmontur gar nicht und ich auch nicht. Es spielen die österreichische Autorennationalmannschaft gegen die Mannschaft des Bachmannpreises, bestehend aus Autoren, Lektoren und anderen vorwiegend in sitzender Tätigkeit beschäftigten Menschen. Die anderen sehen sehr drahtig aus, wir sind eher verzagt. Ich dachte, das wäre so ein Spaßkick, wo man dem Dicken lachend in den Matsch schubst um den Ball zu kriegen. Es ist aber beinernst, die anderen haben sogar einen Trainer, der am Spielfeldrand Anweisungen gibt. Ahne Übles und werde prompt beim ersten Angriff umgewalzt. Zeh ist hin, Knie blutet, na herrlich, innen und außen verletzt. Es ist sehr anstrengend. Immer wenn ich den Ball habe, ruft der Trainer der anderen „Gehts hin, der is eh scho laar!“ (i.e.: der hat keinen Akku mehr), was leider der Wahrheit entspricht. Alles tut weh. Hinterher Bier und Wurstsemmeln. Wir haben verloren. Ich kann nicht mehr gehen. Hinkend aufs Zimmer. Klagenfurt, die Stadt, die dich kaputt macht. Jetzt wäre es dann langsam gut, denke ich, wieder allein zu sein. Sonntag, 27. Juni 2010 Peter Wawerzinek erhält den Bachmannpreis 2010.

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