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Ruhig bleiben
Am auffälligsten sind die Kippot. Bereits vor dem Eingang des Leonardo Hotels in Berlin Friedrichshain kann man junge, rauchende Leute sehen, die die jüdischen Kopfbedeckungen tragen. Dunkelblau sind sie und mit einem Davidstern und dem silbernen Schriftzug „Jugendkongress“ versehen. Drinnen, hinter der Sicherheitskontrolle am Hoteleingang, trägt sie jeder dritte männliche Teilnehmer des jüdischen Jugendkongresses, der dieses Wochenende stattfindet. Sie sind ein Statement: Der Zentralrat der Juden, einer der Hauptorganisatoren, hat kurz zuvor noch vom Tragen eben dieser Kippa abgeraten.
In der Lobby des Hotels hängt ein großes Plakat: „50 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland –Israel“ steht darauf – das Motto des Jugendkongresses. Zu diesem Thema sind Vertreter aus Politik und jüdischem Leben eingeladen worden, um mit den rund 350 Teilnehmern zwischen 18 und 35 Jahren aus diversen jüdischen Gemeinden in Deutschland zu diskutieren. Abseits des Podiums geht es aber fast immer um etwas anderes: die Angst vorm Erstarken des Antisemitismus.
Es ist Mittagszeit, überall laufen junge Menschen mit Tellern voller Kuchen und Pommes durch die Räume, viele machen Fotos mit ihren Handys und twittern. Swetlana und Liliana, beide 22, sind extra aus Süddeutschland für den Kongress angereist. Liliana hat kurz zuvor auf Instagram ein Bild von sich und ihrer Freundin gepostet. Darunter hat sie geschrieben: #jewishgirl #juko15. Für beide ist es nicht der erste Jugendkongress, viele kennen sich hier schon seit Jahren.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Liliana und Swetlana sind beide 22 - und für den Jugendkongress extra aus Süddeutschland angereist.
Trotzdem sei es dieses Jahr anders, erzählt Swetlana: „Wir sind an Security ja gewöhnt, dieses Jahr ist sie allerdings besonders präsent. Das macht mich traurig – es bedeutet ja auch, dass wir momentan besonders bedroht sind. Dabei war Deutschland für mich immer mit das sicherste Land der Welt für Juden.“ Liliana pflichtet ihr bei und zieht unter ihrem Schal eine Kette mit einem kleinen Davidstern hervor: „Den trage ich sogar, wenn ich schlafe“, sagt sie. Neulich in einer Shisha-Bar habe sie allerdings zum ersten Mal überlegt, ob ihre Kette hier vielleicht ein Problem sein könnte. „Ich habe mich dann aber entschieden, sie trotzdem zu tragen. Es hätte mich zu sehr geärgert, da zukünftig immer drüber nachdenken zu müssen“, sagt die angehende Krankenschwester. Passiert sei dann auch weiter nichts. Die meisten würden eher interessiert nach ihrer Kette und ihrer Religion fragen.
Zu Schulzeiten sei das noch anders gewesen: „Wenn man da gesagt hat, dass man Jüdin ist, wurde man schon komisch angeschaut“, sagt Liliana. Swetlana erzählt, dass ein Klassenkamerad in ihrer Süddeutschen Kleinstadt immer wieder dumme Sprüche über ihre Religion gemacht hat, bis sie sich schließlich beim Direktor beschwerte. „Natürlich hat er das nur gemacht, weil er einfach keine Ahnung hatte. Er musste sich dann bei mir entschuldigen“, erinnert sie sich. Seit sie zur Uni geht, seien ihr solche Situationen auch nicht wieder untergekommen. „Vermutlich, weil die Leute da aufgeklärter sind“, sagt Swetlana.
Swetlana und Liliana sind gute Beispiele für die Klientel auf dem Jugendkongress. Beide sind junge, selbstbewusste Frauen, die ihre jüdische Identität bisher immer als etwas Selbstverständliches gesehen haben, obwohl sie nicht besonders religiös sind. Die aktuelle Häufung antisemtischer Gewalttaten, wie in Paris oder Kopenhagen, verunsichert sie. „Meine Tante wohnt in Paris zehn Minuten von dem Supermarkt entfernt, in dem das Attentat passiert ist. Seitdem telefonieren wir öfter und versichern uns, dass alles okay ist“, sagt Liliana. Swetlana ergänzt: „Natürlich macht man sich seitdem mehr Gedanken, fragt sich, ob es auch in Deutschland Attentate geben könnte. Gleichzeitig will ich mich aber nicht wegen meiner Religion verstecken müssen. Deshalb trage ich meinen Davidstern auch weiterhin so, dass ihn jeder sehen kann.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Konstantin und Susi waren bereits häufiger beim Jugendkongress. Sie engagiert sich in einem Projekt, bei dem Juden Schulen besuchen und sich vorstellen.
Der 24-jährige Konstantin ist da weitaus stärker verunsichert. Während des Kongresses trägt er die dunkelblaue Kippa, draußen auf der Straße würde er das eher lassen: „Ich bin in Zürich dafür einmal beschimpft und bespuckt worden. In Paris haben mittlerweile ein Drittel der Juden die Stadt verlassen. Natürlich frage ich mich dann, ob diese aggressive Stimmung gegenüber Juden auch nach Deutschland rüberschwappen könnte“, erzählt der Mathematik-Student. Rufe wie „Jude, Jude, feiges Schwein“ bei einer Demonstration vergangenes Jahr in Berlin bestärken ihn in dieser Sorge: „In der Mathematik sagt man, dass Ausnahmen die Regel bestätigen. Deshalb finde ich auch, Deutschland muss sich jetzt um die Antisemiten kümmern“, sagt Konstantin. Über sein Studium hat er auch Kontakt zu Palästinensern. Er sagt, dass er sich mit diesen gut verstehen würde, sein bester Freund sei Iraner. Trotzdem ist Konstantin der Überzeugung, dass er irgendwann aus Deutschland auswandern wird. Nach Israel, das er neben Deutschland ebenfalls als „Heimat“ bezeichnet. Weil es in Deutschland eben doch ein Risiko sein könne, die Kippa zu tragen. In Israel sei das anders: „Da trage ich ständig eine Kippa, obwohl ich gar nicht so religiös bin. Einfach, weil ich dort freier bin und es kann“, sagt Konstantin.
Seine Freundin Susi, die ebenfalls zum Kongress gekommen ist, sieht das mit dem Auswandern ganz anders: „Ich bin in Deutschland geboren und fühle mich hier sicher. Und gerade jetzt dürfen wir uns nicht verstecken! Das jüdische Leben ist in den letzten Jahren in Deutschland so stark aufgeblüht, das darf man jetzt aus Angst nicht einfach unterbinden. Stattdessen müssen wir aufklären, in den Dialog treten!“, sagt sie energisch und versucht dabei, ihre roten Locken immer wieder hinter ihrem Ohr festzuklemmen. Tatsächlich engagiert sich Susi neben ihrem Lehramtsstudium in Frankfurt in einem Verein, der Juden und Schulklassen zusammenbringt. „Die Schüler sehen dann, wie so ein Jude aussieht und dass wir keine Aliens sind“, erklärt die 20-Jährige. Dass das heute, 70 Jahre nach Ende Hitler, überhaupt noch notwendig ist, findet sie allerdings auch traurig.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein junger Teilnehmer während einer Podiumsdiskussion auf dem Jugendkongress.
Die Mittagspause ist vorbei, ein Mann im Anzug bittet die Teilnehmer, zur nächsten Podiumsdiskussion den Raum zu wechseln. Eine Frau verteilt kleine Papierzettel, auf denen der korrekte Hashtag für die folgende Diskussion steht, jeder soll mitdiskutieren können. Swetlana will noch schnell ihren Kuchen aufessen und erzählt von einem Vorfall, der sie vergangene Woche beschäftigt hat: Ein Mädchen hatte in eine jüdische Facebookgruppe einen Witz gepostet. Einen Witz, der an dieser Stelle nicht wiederholt werden sollte. Auf jeden Fall kamen Juden, Harry Potter und die Kammer des Schreckens darin vor. Swetlana hat diesen Witz kommentiert und das Mädchen gefragt, was das soll. Kurz darauf habe diese einen zweiten Witz gepostet, diesmal wurden Juden mit einer Pizza verglichen. Daraufhin hätten sie und mehrere Freunde das Mädchen bei Facebook gemeldet, bis sie gelöscht wurde. „Ich verstehe nicht, warum es immer noch Menschen gibt, die so über Juden denken. Aber daraus zu schließen, dass viele so denken, finde ich auch falsch“, sagt Swetlana und schiebt die letzte Gabel voller Kuchen in ihren Mund. Ähnlich sei das auch mit den Muslimen, finden sie und Liliana: Nur, weil es Islamisten gibt, dürfe man nicht sagen, dass alle Araber Antisemiten seien und ihnen misstrauen. Dann gehen die Beiden zur nächsten Veranstaltung. Vorbei an einem großen Plakat der Juko, der Jugendkonferenz, auf dem in blauer Schrift steht: „Keep calm and join the Juko“.
Ruhig bleiben. Das fällt gerade nicht immer leicht, wenn man ein junger Jude ist.