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Männerkonferenz "Mann Sein 2017" in Berlin
Es klang so verdammt einfach, "Männerkonferenz". Erste Assoziationen: Eine Versammlung weinerlicher Maskulinismus-Aktivisten, Stiernackensteak-Grillkurse, Pick-Up-Bullshit-Vorträge, belauscht von hunderten Halbglatzen-Losern, die dem Feminismus ihr kaputtes Ego anlasten wollen.
So und nicht anders hatte ich mir das vorgestellt – ein richtig schönes Idiotentreffen, über das ich mich als entspannter, feministischer Mann herrlich aufregen würde. Deswegen bin ich an einem Samstagmorgen in diese Industrie-Halle im Nirgendwo zwischen Moabit und Charlottenburg gefahren, zur "Mann Sein 2017" dem Jahrestreffen einer Männerbewegung namens "Malevolution". Sie findet bereits zum vierten Mal statt, laut der Website soll es diesmal um "persönliches Wachstum und Weiterentwicklung als Mann im 21. Jahrhundert" gehen.
Nun bin ich seit zwei Minuten hier und stehe schon zwei Typen gegenüber, die mich so herzzerreißend aufmerksam angucken wie Kinder beim Gute-Nacht-Geschichte-Vorlesen. Der eine ist barfuß und trägt ein Shirt mit der Aufschrift "Glücksmensch", der andere hat zwar einen Stiernacken, aber eine Stimme wie der Synchronsprecher von Tom Hanks. Beide haben mir gerade in mehrminütigen Monologen von ihren Ängsten erzählt. Vom Glücksmenschen habe ich so in etwa erfahren, dass er Probleme damit hat, Zuneigung zuzulassen, es fielen Wörter wie "strugglen", "triggern" und "Balance", "Bälänz" gesprochen.
Auch wenn ich nicht alles verstanden habe, bin ich heillos überfordert mit der Mitteilungsbereitschaft dieser mir bis eben unbekannten Menschen. Sie reden mit mir, als wäre ich kein fremder Reporter mit Vorurteilen über Männerkonferenzen, sondern ihr ältester, bester Freund. Dabei bin ich doch gerade erst in die Veranstaltung geplatzt. "Und, wovor hast du Angst, Quentin?" fragt der Stiernacken sanft. "Vor eurer Offenheit" antworte ich. Zum Dank für das Gespräch bieten sie mir eine Umarmung an. Ich lehne ab.
Tief seufzend nehme ich Platz in den Sitzreihen vor der Bühne. Nichts läuft wie geplant. Mein Plan von der Idiotentreff-Reportage schrumpft zusammen wie ein Steak nach zwei Stunden auf dem Grill – diese Männer sind alles andere als rückwärtsgewandte Pseudo-Alpha-Tiere, nein, sie sind sogar verdammt "unmännlich", also mal im althergebracht-dämlichen Sinne gesprochen. Ich bemerke, dass mein Sitznachbar seinen Vordermann massiert. Ein anderer hat seinen Kopf auf der Schulter des Nebensitzers abgelegt.
Frauenfeindlich oder gar homophob scheinen diese Herren nicht zu sein. Was sie stattdessen sind, muss ich noch herausfinden. Sehr nett auf jeden Fall. Und seltsam. Über das Publikum aus etwa 300 Männern jeglichen denkbaren Alters und etwa vier Frauen geht mein Blick nun zur Bühne: Zu dem freundlichen Ängste-Gesprächskreis eben haben uns Armin, Samuel, Robert, Christoph, Yannik, Akwasi und David aufgefordert, alle grob zwischen 30 und 40. Sie halten gerade den ersten Vortrag des Tages, es geht um ihre Männer-WG. Ich hoffe auf Plattitüden zu Bierkästen, Frauen und Stehpissen. Den WG-Bewohnern geht es aber viel mehr um eine Art gegenseitige 24-Stunden-Gesprächstherapie auf Basis von Facebook-Kalendersprüchen.
"Ich habe gelernt, meine Erfolge zu feiern. Dann ist mein Leben ein einziger feiernder Erfolg."
Jeder von ihnen hat den Konferenzteilnehmern, Ticketpreis 150 Euro, sein zentrales "Learning" mitgebracht, was sich in etwa mit "Binsenweisheit" übersetzen lässt. "Be the change you want to see" ist zum Beispiel Armins Learning. Nach seinem Einzug habe Robert in der WG immer mehr geputzt als die anderen, erzählt Armin. "Damit hat er eine echte Veränderung bewirkt! Wer mehr macht, hat mehr Macht!" sagt Armin. Szenenapplaus dafür!
Die Learnings der anderen Mitbewohner im Schnelldurchlauf:
Samuel: "Wenn jemand seinen Scheiß in der Küche stehen lässt, ist er wahrscheinlich schlecht drauf."
Robert: "Ich habe gelernt, meine Erfolge zu feiern. Dann ist mein Leben ein einziger feiernder Erfolg."
Christoph: "Männer, schenkt der Welt Liebe!"
Yannik: "Sich zu öffnen hilft, Probleme schneller gelöst zu bekommen."
Akwasi: „In Konflikten haben meist beide den Kopf im eigenen Arsch.“
David: "Interessiere dich mal authentisch für dein Gegenüber!"
"Wen hat das berührt?" fragt Christoph nach dem letzten Learning ins Publikum. Um mich herum gehen alle Hände gehen hoch, Jubel.
Zum Abschluss will die Männer-WG der versammelten Männerschaft noch ein "Geschenk machen". "Suche dir einen Mann aus dem Publikum. Schaue ihm in die Augen und sag‘ ihm, welchem Teil von ihm du vertraust", befiehlt einer von ihnen. Das Publikum gehorcht, wenige Sekunden später stehen sich hunderte Männerpaare gegenüber und sagen sich Dinge wie "da ist eine Menge Zuversicht in deinem Blick, das gefällt mir!" Danach umarmen sie sich lange. Sehr lange.
Bin ich hier plötzlich derjenige, der einem alten Männerbild nachhängt?
Ich kann da nicht mitmachen. Warum eigentlich? Habe ich einfach keine Lust, mich wildfremden Menschen anzuvertrauen oder ihnen minutenlang in den Armen zu liegen? Oder bin ich hier plötzlich derjenige, der einem alten Männerbild von Verschlossenheit und Gefühlskälte nachhängt? Wann habe ich zum letzten Mal einem Freund den Arm um die Schulter gelegt? Schon länger her. Oder meinen Kopf darauf ruhen lassen? Nie. Aber braucht’s das denn?
"Das ist praktischer Abbau von Homophobie", sagt mir John Aigner, Eraserhead-Frisur plus Musketierbart, gemütliche Figur, Jeanshemd und bitte unbedingt duzen. In der Mittagspause sitzen wir am Rande der Sitzreihen, um uns herum reden kleine Grüppchen über das Wetter und ihre Gefühlswelt. John ist einer der Veranstalter, will sich aber nicht als "Chef" von Malevolution verstanden wissen, schließlich handele es sich um ein Kollektiv, hervorgegangen aus einem zehntägigen Männercamp 2010 im Müritzer Nationalpark.
Unter Homophobie versteht John nicht nur die Angst vor homosexuellen Menschen, sondern auch die vor der Nähe zum gleichen Geschlecht an sich. "Die Stigmatisierung von vermeintlich homosexuellem Verhalten hat mit den Männern natürlich ganz viel gemacht. Bei Frauen gibt es diese Angst nicht, die nehmen sich ständig in den Arm, kuscheln beim Filme schauen und so weiter", sagt er. Die meisten Männer hätten keine Freunde, von denen sie sich ein wirklich offenes Ohr oder gar eine Umarmung erwarten könnten. Das führe zu einer Abschottung nach innen. "Männer beschäftigen sich viel zu wenig mit sich selbst, das führt dann dazu, dass sie ihrem Frust oder ihrer Wut den falschen Kanal geben – zum Beispiel, indem sie Hass gegen gesellschaftliche Minderheiten entwickeln. Wir bieten also sozusagen den gesunden Kanal", sagt John.
Was John da sagt, klingt ziemlich richtig. Aber wer ist der Gegner? Was sagt jemand wie John zu anti-feministischen Graurücken, laut denen der rollenbild-kastrierte Mann dank der stärkeren Frau nicht mehr weiß, wie er sich zu verhalten hat? "Wir sind Gleichberechtigungsbefürworter. Es gibt ja gerade das Phänomen, dass sich der heterosexuelle weiße Mann bedroht fühlt, weil alle so tolerant sind", sagt John und lacht. "Ich sehe aber keine ,Krise des Mannes‘. Wir sind keine Selbsthilfegruppe. Wir blicken da eher positiv drauf, sehen eine Fülle an Möglichkeiten, das Mann-Sein zu leben. Aber natürlich wirft die heutige Zeit Fragen zu unserer Rolle in der Gesellschaft auf. Und mit ‚uns‘ meine ich da alle, die sich – auf welche Art auch immer – als ,Mann‘ identifizieren."
Ein Toptyp, der im Bett "so wirklich alles" ausprobiert habe
Der nächste Vortrag beginnt mit einem schlechten Witz über einen Seemann mit tätowiertem Penis, eine attraktive, junge und eine dickliche, alte Krankenschwester. Er stammt von Anchu Kögl, der ein Buch namens "Attraktive Männlichkeit" geschrieben hat. Er soll nun über "Dating für Erwachsene" sprechen, laut John ein thematischer Publikumsliebling. Mit klassischen Pick-Up-Artist-Methoden will König nichts zu tun haben: "Pick-Up basiert darauf, dass man bei Frauen Knöpfe drücken kann und dadurch für sie attraktiver wird. Das können wir aber nicht beeinflussen", ruft er in den Saal. Er spricht zunächst lieber ausgiebig über seine Glatze, sein zu enges Hemd und seine Erektionsprobleme, seine Lieblingsphrase ist "Hosen runterlassen".
Maximales Understatement also, könnte man meinen. Dann kommt allerdings der lifecoach-typische Schwenk: Dank der Auseinandersetzung mit sich selbst sei er nun ein Toptyp, der im Bett "so wirklich alles" ausprobiert habe, seine "Ejakulation gut steuern" und so lange Sex haben könne, wie er will. Es folgen drei goldene Regeln (zum Beispiel "Sage nein zu Frauen, die nicht ja zu dir sagen"), Tipps für Komplimente ("Mit dir kann ich mich nicht nur toll unterhalten, du hast auch einen richtig sexy Hintern!") und der Rat, sich besser zu kleiden ("farblich abgestimmt!"), gefolgt vom obligatorischen "wer mehr darüber wissen will, sollte mein Buch lesen".
Trotzdem fällt es mir schwer, ihn komplett dämlich zu finden. Er spricht nämlich auch über überhöhte Ansprüche an Äußerlichkeiten, hervorgerufen durch Photoshop-Playmates. Und über die Selbstbestimmung der Frau, die über jedem Dating-Ritual stehe. Und dabei klingt er eben trotz seiner fragwürdig simplen Ratschläge immer noch tausend Mal besser als jeder Pick-Up-Horst.
Aber kommen diese Coachings an? Hilft "Fachwissen", wie das der Männer-WG oder Kögls Datingregeln, tatsächlich der Zuhörerschaft? Nach Kögls Vortrag begebe ich mich in den hinteren Teil der Halle, wo ein Café und ein "Männerspielplatz" eingerichtet wurden, bestehend aus ein paar Judomatten und Boxhandschuhen.
"Hier geht es um Bewusstsein, nicht um das Aufstellen von Manifesten"
Während dort eine Gruppe Männer zwei ringende Typen anfeuert, zuerst oben ohne, dann in Unterhosen, komme ich mit einem jungen Besucher ins Gespräch. Laut dem Namensschild, das er sich in den Kragen seines hautengen Shirts geklemmt hat, heißt er Jens. „Anchu hatte die gleichen Probleme wie ich", sagt Jens. Der 29-Jährige erzählt, dass er nach seiner ersten Beziehung immer Angst vor Frauen gehabt habe und sich beim Daten völlig haltlos gefühlt habe. Kögls Tipps und seine Bücher hätten ihn im Umgang mit Frauen geholfen. Er mache nun sein Selbstbild nicht mehr von anderen abhängig und sei insgesamt viel unverkrampfter geworden. "Ich habe mich auf der Fahrt hierher total entspannt mit einer Gruppe Lehrerinnen unterhalten", sagt Jens. Am Nachmittag freue er sich auf einen Workshop, bei dem emotionale Blockaden durch Augenbewegungen gelöst würden, "Brain-Spotting" nennt der zuständige Coach das. Funktioniert das, Jens? "Weiß ich noch nicht, aber es klingt interessant."
Ich spreche einen weiteren jungen Mann an. Er heißt Martin, hat im vergangenen Jahr selbst einen Vortrag über Männerfreundschaften gehalten und wirkt mit seinen zwei Metern und stahlblauen Augen nicht so, als hätte er Dating-Seminare nötig. Angesprochen auf die grunzenden Ringer auf dem Männerspielplatz neben uns meint er: "Das ist alles ein Angebot. Männlichkeit ist vielfältig." Auch er verwehrt sich einer politischen Agenda: "Hier geht es um Bewusstsein, nicht um das Aufstellen von Manifesten. Es geht um die Frage, wie wir zu besseren Menschen werden."
Aber wieso müssen sich Männer exklusiv mit sich selbst beschäftigen? Warum sollten sich nicht Männer, Frauen und alles dazwischen gemeinsam austauschen? Vielleicht würde eine Frau den anwesenden Männern ja mitteilen, dass das mit dem sexy-Hintern-Kompliment doch eher eine mittelgute Idee ist. "Sobald hier eine Frau steht, ist die Dynamik eine andere", meint Martin "dann geht es plötzlich um Konkurrenz, um Imponieren, die Offenheit ist weg."
Auch John hatte bei unserem Gespräch gesagt, dass die Anwesenheit des anderen Geschlechts der Sache zunächst mal nicht zuträglich wäre. Dass Frauen ja schon viel länger unter sich über die Zwänge der Gesellschaft, Rollenbilder und Weiblichkeit diskutieren – und dabei wesentlich weiter sind als die Männer. Dass genau das von den Männern noch nachgeholt werden müsse. Eine Männerbewegung zur Selbstfindung, nicht gegen die Frauen also. Klingt gut. Eine feministische Konferenz, auf der über Männer-Dating und farblich abgestimmte Kleidung geredet wird, kenne ich allerdings nicht. Und liegt der Schlüssel zur Selbstfindung nicht eher in einer geschlechterübergreifenden Auseinandersetzung?
So gut die Idee also im Prinzip ist - vielleicht fehlt es dieser Männerbewegung einfach noch an inhaltlicher Tiefe. Während ich noch eine Weile den Ringern und der darauf folgenden Aufführung eines Pseudo-Maori-Brüllrituals zusehe, frage ich mich, ob ich selbst überhaupt mit irgendeinem der Männlichkeits-Angebote hier etwas anfangen kann. Ich habe keine Lust auf Ringen und Dating-Tipps. Aber auch nicht auf Urangst-Coaching mit Gruppenumarmung. Ich gehe lieber nach Hause.