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In Berlin gibt es jetzt eine liberale Moschee

Foto: Getty

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Ein gesungenes "Allahu akbar": für viele Deutsche Alltag, für viele andere Deutsche ein Grund, in Panik zu verfallen. Als an diesem Freitagnachmittag der Ruf zum Gebet erklingt, wird es zum ersten Mal wirklich ruhig im Saal. Am Eingang herrscht Einlassstop für Journalisten, im Raum selbst liegt das Verhältnis von gläubigen Muslimen und nervösen Reportern bei 50 zu 50. Gerade hat die Organisatorin noch einen von Letzteren ermahnt, er möge doch seine Ausrüstung nicht direkt an die Ostwand des Raumes legen: "Die Leute sind nicht gekommen, um Taschen anzubeten."

Dass der Gebetsruf für die anwesenden Nicht-Muslime ungewohnt sanft klingt, liegt nicht nur daran, dass er vielen von ihnen wohl erstmals nicht aus Krächzboxen im Türkeiurlaub oder aus Schreckensmeldungen im Fernsehen begegnet, sondern auch daran, dass er von einer Frau kommt. Sie ist widerum Mitstreiterin einer anderen Frau, die gleich erstmals in ihrer eigenen liberalen Moschee das Wort erheben wird: Seyran Ateş, Anwältin und Frauenrechtlerin. Und Imamin.

"Diese Muslima riskiert ihr Leben – weil sie eine Moschee gründet", hatte die Bild noch wenige Tage vorher getitelt. "Alles Quatsch", sagt Ateş am Tag vor der Eröffnung. Für eine, die gerade vermeintlich um ihr Leben fürchtet, sitzt sie ziemlich entspannt an einem Konferenztisch im Haus des Ullstein Verlags, bei dem sie heute auch ihr Buch veröffentlicht und isst Schokobons. "Ich habe tausend Mal gesagt, dass ich keine Morddrohungen gekriegt habe. Und dann schreiben die sowas", sagt sie.

Klar, für ihr Vorhaben, in den Räumlichkeiten einer evangelischen Gemeinde Deutschlands erste liberale Moschee mit weiblichen Imaminnen, Vorbeterinnen und einer offenen Tür für homosexuelle Muslime zu gründen, habe sie durchaus die ein oder andere "eklige Nachricht" bekommen. Wobei sie dabei gar nicht sicher sei, aus welchem politschen Lager diese überhaupt gekommen war, ist das Vorhaben doch für ein breites Spektrum an Menschen provokant.

Trotzdem, die riesige Mehrheit der Nachrichten sei aufbauend und dankbar, sagt sie und in den Augen unter ihrem Käßmann-Kurzhaarponyschnitt sieht man keine Angst, sondern Vorfreude. Das Schild der Moschee, Kaffee, Tee und Sesamkringel sowie die Gerichte beim abendlichen Fastenbrechen am nächsten Tag – alles Spenden von türkischen Geschäftsmännern, "Männern!" betont sie. Ihr Vorhaben komme an, nicht nur bei jungen deutschen Muslimen, die sich jahrelang gefragt hätten, wie sie ihren liberalen Lebensstil mit dem Islam in Einklang bringen könnten. Auch syrische Geflüchtete, die bei den ersten Besuchen deutscher Moscheeen erschrocken über deren altbackene Verbohrtheit gewesen seien, seien auf der Suche nach einer liberaleren Alternative auf sie gestoßen.

Eine deutsche Moschee hat Ateş zuletzt betreten, als ein Verwandter gestorben war. Weil sie an den Männern am Eingang nicht vorbei gehen durfte, habe sie einen Seiteneingang suchen müssen – und schließlich das Totengebet verpasst. "Man muss den Toten drei Mal vergeben, das konnte ich dann nicht mehr. Das hat mich sehr gekränkt", sagt Ateş.

Die liberalen Muslime, und das sei schließlich die große Mehrheit, solle endlich sichtbar werden

Solche Erlebnisse hätten sie erst recht bestärkt, eine eigene Moschee zu gründen, seit 2009 schon. Das Problem: ein Mangel an Mitstreitern. "Ich dachte immer, das machen die ganzen jungen Muslime von selbst, es gibt ja einen ganzen Ethno-Markt für diese 'Islam ist cool' oder 'Islam ist Frieden'-Mode. Aber so wirklich passiert ist nichts. Dann musste ich das eben selbst machen."

Stehen denn Muslime angesichts von Terroranschlägen tatäschlich besonders in der Pflicht, "was zu machen"? "Auf jeden Fall", sagt Ateş und bezeichnet die umstrittene Ablehnung des Islamverbands Ditib gegenüber  des kommenden Friedensmarsches der Muslime als "peinlich". Die Aussagen des Rock-am-Ring-Veranstalters Marek Lieberberg, der nach der vermeintlichen Terror-Bedrohung bei seinem Festival "zehntausende Muslime" auf der Straße sehen wollte, seien hingegen "absolut richtig". Die liberalen Muslime, und das sei schließlich die große Mehrheit, solle endlich sichtbar werden.

Eine feste Moschee, die sich dezidiert als liberal bezeichnet, gibt es in Deutschland tatsächlich noch nicht. Zwar gibt es mit dem Liberal-Islamischen Bund bereits eine Organisation, die regelmäßige Veranstaltungen mit Imaminnen durchführt und sich offen für Homosexualität zeigt, allerdings ohne feste Räumlichkeiten.

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Foto: afp

Die von Ateş und ihren Gesellschafterinnen und Gesellschaftern betriebene "Ibn-Rushd-Goethe-Moschee" befindet sich nun auf dem Gelände der St. Johannis Gemeinde in Berlin-Tiergarten. Am Tag der Eröffnung strahlen die Polizisten am Eingang demonstrative Gelassenheit aus und wünschen viel Spaß. Auf der Pressekonferenz im Gemeindesaal ist auch der letzte Quadratmeter mit einem Kamerastativ besetzt, neben den Gesellschaftern auf der Bühne und den Reportern sind auch viele Muslime aus dem Ausland angereist, die in ihren Heimatländern wie Dänemark oder den USA ähnliche Initiativen betreiben, daneben Lokalpolitiker und Verbandsvertreter. Ateş grüßt jeden einzelnen von der Bühne aus, wo sie und ihre Mitstreiter geduldig Fragen beantworten. Als sie dem ehemaligen Neuköllner Bürgermeister Heinz Buschkowsky für sein Kommen danken will, ist der allerdings schon weg.

 

Ateş will nicht als Islamkritikerin verstanden wissen, lieber als "kritischer Mensch"

 

Wie Ateş selbst vertreten auch die anderen Podiumsbeisitzer Positionen, die nicht allen im Raum gefallen dürften. "Dass der Islam nichts mit Gewalt zu tun hat - das ist passé!", findet zum Beispiel der deutsch-algerische Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi. Es sei Aufgabe der Muslime, Probleme selbst anzusprechen, anstatt sie von sich zu weisen. "Am Ende geht es darum, dass wir von Marokko bis Indonesien gegen Extremisten vorgehen", sagt Ateş.

 

Am Eingang liegen neben dem am selbigen Tag veröffentlichten "Selam, Frau Imamin" von Ateş auch Bücher des Islamkritikers Hamed Abdel-Samad und die von Vielen als reißerisch wahrgenommene Moschee-Recherche "Inside Islam" von Constantin Schreiber. Sie werde ihre Positionen nicht ändern, nur weil sie für diese manchmal von falscher Seite Zustimmung bekäme, hatte Ateş noch am Vortag im Verlagshaus gesagt. Und als Islamkritikerin will sie sich sowieso nicht verstanden wissen, lieber als "kritischer Mensch".

 

Die Fragen an das Podium sind allerdings auf andere Art kritisch, typisch deutsch, könnte man sagen. Da geht es um die Höhe der Miete, den steigenden Wasserverbrauch durch die Waschungen  und mögliche Einschränkungen des Kita-Betriebs nebenan.

 

Ateş ist nach dem Pressemarathon sichtlich geschafft, beantwortet aber noch die ganze Mittagspause hindurch Fragen im Garten, bis es dann endlich zum ersten Freitagsgebet in die neuen Räumlichkeiten geht. "1. OG Konfirmandenraum, 2. OG Jugendraum, 3. OG Ibn Rushd-Goethe-Moschee", steht auf dem Schild an der Eingangstür.

 

In der Moschee, die wirklich nicht mehr ist als dieser eine Raum, stolpern die Reporter über Gebesteppiche, fallen Stative um, wird in letzter Minute die Kameratasche von der Wand weggeräumt, die Richtung  Mekka deuten soll. Nach dem Gebetsruf spricht Ateş, zitiert die Dichter Rumi, Yunus Emre und Goethe, und endet beim Kampf gegen Extremismus. "Wir dürfen aber nicht nur gegen etwas kämpfen, sondern auch für etwas, für die Liebe", sagt Seyran Ateş. Und wenn sie kämpfen sage, meine sie Anstrengung. Anstrengung dafür, dass "Allahu akbar" vielleicht bald für weniger Deutsche ein Grund ist, in Panik zu verfallen.

 

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