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Bologna-Prozess: Die Zeit der Alleingänge ist vorbei
Vom großen Protest des vergangenen Herbsts ist an diesem viel zu kalten Frühlingsabend an der Ludwig Maximilians-Universität wenig zu spüren. Kaum mehr als vier Monate nachdem die letzten Besetzer den Audimax räumen mussten, scheint wieder der Alltag eingekehrt zu sein. Vor dem Hauptgebäude werben Plakate für das Frühlingskonzert der Uni-Symphoniker oder die große „überfakultäre Uniparty“ zum Semesterstart. Der Branchentreff „Audit“ lädt zur großen Karrieremesse für zukünftige Steuer- und Unternehmensberater – selbstverständlich „mit kostenlosem Weißwurstfrühstück.“
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Ein Foto aus Streikzeiten.
Vielleicht liegt es an den fehlenden kulinarischen Reizen, dass sich nur etwa 70 Interessierte zur Podiumsdiskussion des Arbeitskreis Bologna in einem im linken Seitenflügel gelegenen Hörsaal verloren haben. Bologna ist zwar die Geburtsstadt der Tortellini, Thema der Diskussion ist aber die gleichnamige europaweite Studienreform. Seit ihrem Beschluss 1999 ruft die Bologna-Reform heftige Kritik nicht nur von Seiten der Studierenden hervor. Überbelastung, Verschulung und Benachteiligung sozial schwächerer Studierender heißen die Hauptvorwürfe der Bologna-Gegner, die im vergangenen November schließlich in einem bundesweiten Bildungsstreik inklusive wochenlanger Hörsaalbesetzungen gipfelten. Nicht nur die Öffentlichkeit zeigte viel Verständnis und Sympathie für die Anliegen der Protestierenden. Auch die Hochschulleitung um Rektor Bernd Huber gab sich verständnisvoll und legte ihnen Anfang Dezember das Versprechen einer ausführlichen „Reform der Reform“ in die Nikolausstiefel.
Bereits Ende Juli sollen diese Bemühungen erste Blüten tragen, verkündet Barbara Lüddeke vom Bologna-Referat des Wissenschaftsministeriums. Mit einer Verkleinerung der Module und der Möglichkeit, den Bachelor von sechs auf acht Semester zu verlängern greife „Bologna 2.0“ einige der wichtigsten Änderungsvorschläge auf. Diese Optionen boten sich zwar schon mit „Bologna 1.0“. Den LMU-Bolognabeauftragten Professor Oliver Jahraus hält Lüddekes Statusupdate aber nicht davon ab, seine Begeisterung über diese „kleine Revolution“ ins Auditorium zu zwitschern.
Marcel Schellong, Studiengangsbeauftragter der Germanistik, möchte bei soviel Lobgesang nicht hinten anstehen. Besonders die Geistes- und Sozialwisenschaften sieht er „auf einem guten Weg.“ Wen auch immer Jahraus und Schellong zu ihren Followern zählen, der Mathematik-Student Kilian Klebes vom Arbeitskreis Bologna der Studierendenvertretung gehört nicht dazu. Sachlich und bestimmt trägt er seine Kritik vor: Bei den Naturwissenschaften sei vor allem in der Anfangsphase der Umstellung auf das Bachelor- und Mastersystem viel versäumt worden, Fächer wie Physik und Germanistik einfach in einen Topf geworfen worden. Die Folge: Tiefe Verunsicherung bei Studierenden und Lehrenden, die Einheit von Forschung in fatalerer Schieflage als der Turm von Pisa.
Aber Oliver Jahraus möchte die Schuld an den Umsetzungsfehlern bei der Reform nicht allein auf den Schultern der Hochschulverantwortlichen sehen. Auch die Studierenden hätten sich lange Zeit nicht konstruktiv genug an der Debatte beteiligt. Statt sich mit einseitigen Schuldzuweisungen für eine Zweitkarriere als Volkstribun zu empfehlen, solle jede Gruppe zunächst „vor ihrer eigenen Haustür kehren.“ Statt einer Haustür handele es sich im Falle der Studierenden „wohl eher um eine Hundehütte", kommt prompt die Bemerkung aus dem Plenum.
Als die Diskussion schließlich immer mehr in universitätsbürokratische Sumpfgebiete zwischen Creditpoints, Anwesenheitspflicht und Prügungsdruck abdriftet, Begriffe wie „fast track“ (der direkte Weg vom Bachelor zur Promotion ohne Umweg über den Master) und „Akkreditierungsagenturen“ (eine Art Studiengangs-TÜV, der die korrekte Umsetzung der Bologna-Reformen überprüft) durch den Raum schwirren, setzt Jahraus wagemutig zur Quadratur des Kreises an: Seine Forderung, man müsse nun „Flexibilität institutionalisieren“, hinterlässt im Publikum aber wenig Eindruck. Für Magisterstudentin Anna bedeutet Flexibilität dagegen eher, „sich auch mal Zeit nehmen zu können, um fachfremde Veranstaltungen zu besuchen.“ Den Bachelor-Studierenden sei das gar nicht mehr möglich, sie hätten nicht einmal Zeit, sich an einer Veranstaltung wie der heutigen zu beteiligen.
Bleibt also nach der Herbsteuphorie vier Monate später nur noch Platz für eine ordentliche Frühjahrsdepression? Ganz so düster ist es sicherlich nicht. Allen Hochschulgruppen ist nun klar, dass nur über verstärkte Kommunikation untereinander zu Resultaten zu kommen ist. Die Zeit des Aussitzens wie auch der überhasteten Alleingänge ist vorbei.
Die Hoffnung vieler Studierender richtet sich jetzt auf den ehemaligen Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin. Dem Philosophie-Professor trauen viele zu, ihre Anliegen besser zu vertreten. Auf den Plätzen liegen Flyer aus. „Für JNR. Für eine bessere LMU.“ ist darauf zu lesen. Am 1. Juni tritt Nida-Rümelin zur Wahl gegen den amtierenden Rektor Bernd Huber an. Egal, welcher der beiden Kandidaten die Gunst des Hochschulrats gewinnen wird – bis es in der Bologna-Frage zu einer für alle Parteien zufriedenstellenden Lösung kommt, werden nicht nur die Vögel noch viel zwitschern müssen.
Text: julian-jochmaring - Foto: dpa