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"Bis ich nicht mehr kann"
Eigentlich ist die Demonstration vorbei, diesmal ist alles ruhig geblieben. Die Teilnehmer, meist Schüler und Studenten, haben ihre Banner zur Seite gelegt und freuen sich über die gelungene Aktion. Die Polizisten wollen die Kundgebung gerade auflösen, als sich ihnen diese zierliche alte Dame in den Weg stellt. Sie kocht vor Wut und hätte sie ihre Gehhilfe dabei, sie würde damit drohen. „Dieser junge Mann hat meinem Enkel ‘Scheiß Zecke’ zugeraunt“, ruft sie voller Empörung und zeigt auf einen der Kollegen. Plötzlich ist es mit der Ruhe dahin. Wie viele Omis begleiten ihre Enkel auf Demonstrationen gegen Rechts? Wie viele Großeltern wissen, dass „Zecke“ kein gewöhnliches, sondern ein rechtsextremes Schimpfwort ist? Elsa Dietrich weiß es, sie kennt sich mit der Problematik aus. Ihren richtigen Namen will sie zum Schutz aller Beteiligten deshalb auch nicht im Internet lesen.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Als stummer Zeuge ist Elsa Dietrichs Fotoapparat auf jeder Demonstration mit dabei. Elsa Dietrich ist 60 Jahre alt. Während andere in ihrem Alter lieber zu Hause bleiben oder über „die Jugend von Heute“ schimpfen, geht Elsa auf die Straße. Trotz des künstlichen Hüftgelenks und halbseitiger Lähmung. „Das erste Mal war ich auf einer Demonstration, bei der an einen ermordeten Jungen gedacht wurde“, erinnert sich Elsa. „Der war 15, genau wie unser Großer damals, und wurde von drei Nazis erschlagen.“ Seitdem begleitet sie ihre beiden Enkelsöhne so oft es geht, weil sie richtig findet, was ihre Jungs machen. Und weil sie Sorge um sie hat. Der Ältere ist mittlerweile 19 und studiert Physik. Der Jüngere ist 13, auch er will sein Abitur machen. Beide sind Punks, beide haben die menschenverachtende Gewalt der Rechtsextremisten bereits zu spüren bekommen. „Der Große wurde vor einem halben Jahr von einem Rechten krankenhausreif geprügelt. Seitdem hält eine Metallplatte seine Wangenknochen zusammen.“ Dass auch sie eine Gefahr eingeht, ist Elsa Dietrich bewusst. „Vor wenigen Wochen waren wir auf einer Gedenk-Demo hier in der Nähe. Das Opfer war eine Frau in meinem Alter.“ Dietrich besitzt einen alten Fotoapparat, mit dem sie während der Demonstrationen oft knipst. Als sie von dem Gedenkstein ein Bild machen wollte, fragte ein Passant, ob sie sich nicht lieber ein anderes Hobby suchen wolle. „Warum sollte ich? Ich habe keine Angst.“ Elsa ist Mutter von drei Kindern und Großmutter von fünf Enkeln. Ihr Mann starb als sie 34 war, seitdem hält sie die Familie zusammen. Als die Menschen 1989 begannen, sich gegen die DDR zu wehren, war sie dabei. „Meine Kinder waren auf den Montagsdemos, während ich die Kleinen versorgte.“ Es war eine gefährliche Zeit, im Haus wohnten Stasi-Spitzel, „aber uns war das egal. Über unsere Wohnungstür hängten wir ein großes Schild: ‘Wir sind das Volk’.“ Mit der Wende kam die Ernüchterung - Elsa ist seitdem arbeitslos. Was sie hat, teilt sie mit ihrer 39-jährigen Tochter und deren „bunten Jungs“, wie sie die Punker liebevoll nennt. Die ältere Tochter ist alkoholabhängig, Elsas Sohn seit langem tot. Drei Jahre hatte die Familie gegen seine Krebserkrankung gekämpft und dafür sämtliche sozialen Kontakte aufgegeben. „Im Dorf habe ich deshalb kaum Freunde. Man redet auch nicht - da herrscht Stillschweigen.“ Still war man auch, als während eines Dorffestes das Tagebuch der Anne Frank verbrannt wurde. Still ist man, wenn es um die Liebesaffäre von Elsas Tochter geht. „Seit kurzem hat sie einen neuen Freund - einen richtigen Nazi, mit Glatze und allem drum und dran.“ Jetzt fürchtet Elsa, dass sie in die rechte Szene abrutschen könnte. Das will sie nicht zulassen. Sie kämpft auch im eigenen Umfeld gegen die rechtsextreme Ideologie. „Ich mache weiter bis ich nicht mehr kann.“ Wenn sie von den Rechtsextremisten in ihrem Dorf spricht, kneift Elsa Dietrich ihre Augen fest zusammen. Glaubt man ihren Worten, sind die Neonazis überall: Im Sportverein, auf der Kegelbahn. Wie eine Seuche, die sich ausbreitet. „Der Mann betreibt mit meiner Tochter Gehirnwäsche“, sagt sie und ballt die Hand zur Faust. Neulich habe er ein Lied über Hitler angestimmt und Elsa zum Hohn Eva Braun genannt. Sie ist zornig und so verzweifelt, dass ihr immer wieder Tränen in die Augen steigen. „Ich kann mich nicht mit meiner Tochter zerstreiten - Ich habe sonst doch niemanden mehr.“ Die größten Sorgen macht sie sich aber um ihre zwei Enkel. Bisher verheimlicht Elsas Tochter dem neuen Freund, dass ihre beiden Kinder in der alternativen Szene aktiv sind. „Was, wenn der Kleine mit seinem Irokesenschnitt nach Hause kommt und dieser Nazi sitzt am Küchentisch?“ Elsa will hartnäckig bleiben. „Letzte Woche sollte meine Tochter für ein Nazi-Grillfest Kartoffelsalat machen.“ Die Tochter bat Elsa, für sie den Salat vorzubereiten. „Aber ich stelle mich doch keine drei Stunden hin und schnipple Kartoffeln für diese dummen Nazis!“ Am Ende tat sie es doch. Das Salz fehlte, aber die alte Dame verlor kein Wort darüber. „Ich wusste, dass der Nazi sauer wird. Die Rechten behandeln ihre Frauen ja sehr herablassend. Aber das muss sie allein merken, da bin ich provokant!"
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Mehr über das Störungsmelder-Projekt, das auch von jetzt.de unterstützt wird, gibt es online unter Stoerungsmelder.org.
Zum Start des Aktionsbündnisses vor zwei Jahren erzählte uns Störungsmelder-Pate Markus Kavka in einem Interview von seinen politischen Überzeugungen und der Nacht, in der er an einer Tankstelle auf eine Gruppe Skinheads traf.
Text: steffi-hentschke - Bild: F. Pawlitzky