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Warum man den Wiesn-Anstich unbedingt verpassen sollte

Illustration: FDE

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Da stand ich also. Keine 20 Jahre alt. Eingepfercht in einer wogenden Masse aus fremden Menschen. Kein Ausweg. Nicht nach vorne, nicht nach hinten, weder nach rechts, noch nach links. Meine Freunde hatte ich längst aus den Augen verloren. Die Blase drückte, die betrunkenen Jugendlichen in meinem Rücken auch. Immer in Richtung Eingang des Schottenhamelzeltes, das noch für mindestens eine Stunde geschlossen sein würde.

Freeze Frame: Du fragst dich sicher, wie ich in diese missliche Lage kam. Nun, alles begann damit, dass einer meiner besten Freunde euphorisch vorschlug, wir sollten als Gruppe doch unbedingt den Wiesn-Anstich im Schottenhamel-Zelt miterleben. „Als echter Münchner muss man das mal gemacht haben.“ Kurzer Vorgriff: Muss man nicht. Auf keinen Fall. Freibier wurde mir versprochen. Ein unfassbares Erlebnis. Eine Stimmung, wie ich sie nur einmal erleben würde. Ich war jung und naiv und bestimmt wollte ich nicht der Einzige sein, der an diesem Tag Zuhause blieb und den Rest der Oktoberfestzeit vom „legendären Wiesn-Anstich“ erzählt bekommt. Also sagte ich zu.

„Wir trafen uns um sechs Uhr bei Basti zum Weißwurst-Frühstück und Vortrinken“

So wie mir damals, vor gut zehn Jahren, wird es an diesem Samstag wieder sehr, sehr vielen unschuldigen Jugendlichen gehen. Dass sie mit so großen Erwartungen in den Tag starten und dann womöglich die schlimmsten Stunden ihres noch so jungen Lebens verbringen werden, bricht mir das Herz. Ich möchte ihnen zurufen: „Macht das nicht! Bleibt zuhause, schlaft aus! Macht nicht den Fehler, den ich begangen habe!“ Und in der Hoffnung vielleicht ein, zwei arme Seelen in letzter Sekunde zu retten, schreibe ich diesen Text.

Der Plan war der folgende: Um neun Uhr machen die Zelte auf, also müssen wir um sieben Uhr (in der Früh!!!) dort sein, um noch sicher einen akzeptablen Platz zu bekommen. Also um sechs Uhr bei Basti zum Weißwurst-Frühstück und Vortrinken treffen. Spätestens bei der Kombination Vortrinken und Wiesn hätte ich merken sollen, wie schlecht dieser Plan war. Es war eine ganz besondere Art der Übelkeit, die nur diese teuflische Kombination hervorrufen kann.

In diesem Zustand ging es dann um kurz vor sieben Uhr los in Richtung Theresienwiese. Angetrunken, müde, aber auch ein bisschen euphorisch. Doch die Vorfreude verschwand, als wir die Massen sahen, die schon vor dem Eingang der Festwiese warteten, um überhaupt auf das Gelände zu kommen. Hunderte angetrunkene Trachtenträger, kaum einer älter als 20. Die Securitys öffneten die Tore, und es begann ein Wettrennen in Richtung Schottenhamelzelt, wo jedes Jahr der Wiesnanstich stattfindet. Der Preis für die Schnellsten sollte ein Platz an der furchtbarsten Stelle sein: direkt vor der Tür. Denn schon wenig später würde die ungeduldige Masse anfangen, zu schieben, zu drücken, zu quetschen, dorthin wo es nichts gab als das Eingangstor, das sich noch zwei Stunden lang um keinen Millimeter bewegen würde.

„Bier wird erst ab zwölf Uhr ausgeschenkt, nach dem Anstich“

Die zwei Stunden waren der reinste Albtraum. So viele Menschen auf so wenig Raum kannte ich bis dahin nur von Videos aus der U-Bahn in Tokio. Ich hatte ungewollt Körperkontakt mit sieben fremden Menschen gleichzeitig. Um mich herum der Geruch von Bier, altem Leder, Fürzen und Teenie-Schweiß. Mit jeder Minute kamen mehr Menschen dazu, wurde mehr gedrängelt, wurde die Stimmung aggressiver. Nach einer Stunde musste ich wahnsinnig dringend auf’s Klo, doch ich konnte meinen Platz nicht aufgeben, sonst wäre alles umsonst gewesen.

Schließlich der erlösende Moment: neun Uhr. Die Türen öffnen sich. Ein letztes Mal drücken, stoßen, Ellbogen ausfahren, dann war es geschafft. Ich war drinnen, als einer der ersten 200 Leute. Ich sah meinen Kumpel, wie er triumphierend auf der Bierbank stand und mich zu sich und unseren anderen Freunden an den Tisch winkte. Es war geschafft. Wir hatten einen Tisch. Die Qual hatte ein Ende.

Doch mit dem Ende der einen, begann die neue. Warten. Unendlich langes Warten. Denn Bier wird erst ab zwölf Uhr ausgeschenkt, nach dem Anstich. Mir war das nicht bewusst, die anderen nickten auf mein fassungsloses Nachfragen nur genervt. Drei Stunden bis zum ersten Schluck. Wir wollten uns die Zeit mit Schafkopfen vertreiben, doch kaum hatten wir das Deck ausgeteilt, kam ein unfreundlicher Ordner, der mit: „Kein Kartenspielen!“ die Konversation begann. Dem zaghaften „Aber, wir...“ entgegnete er: „Nix da.“ Also schwiegen wir uns den Rest der Zeit übermüdet und schlecht gelaunt an.

Beim Fassanstich war die Stimmung bei uns so schlecht, dass der Bürgermeister für seine drei Schläge nur noch zynischen Applaus erntete. Freibier bekamen wir natürlich auch nicht. Die Stimmung wurde nicht besser, als wir erfuhren, dass wir unseren Platz um 16 Uhr räumen müssen, danach sei reserviert. Punkt vier Uhr wurden wir aus dem Zelt gejagt. Alle anderen Zelte waren zu dem Zeitpunkt wegen Überfüllung geschlossen und wir traten geschlagen den Heimweg an. „Nie wieder“, schwor ich mir damals: „Nie wieder werde ich diese Hölle noch einmal durchleben.“

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