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Thomas Brussig in Kairo (1)

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Stadtschreiber in Kairo: Thomas Brussig - hier noch über deutschen Dächern (Foto: thomasbrussig.de) Kairo scheint eine Stadt zu sein, in der die Tugend des Reparierens allenfalls mäßig entwickelt ist. Die Autos (insbesondere die Taxis) sind Schrott auf Rädern, die Karosserien haben nicht einfach bloß Schrammen und Beulen, sie bestehen aus Schrammen und Beulen. Habe letztens eine Rolltreppe gesehen, die bestimmt seit 25 Jahren außer Betrieb ist. Zwei Stufen waren komplett herausgebrochen; dafür wurden stählerne Platten als Auftritte einmontiert (die Rolltreppe war der einzige Zugang zu einem Wohnhaus). Mit Schrecken stellte ich vor zwei Tagen fest, daß einer der beiden Aufzüge in unserem Haus nicht mehr funktionierte. Ich malte mir aus, daß man, wenn er in zwanzig Jahren endlich geöffnet wird, nur noch drei Gerippe finden wird... Doch heute – Oh Wunder! – lief er wieder. Viel Dezibel bei 0:0 Habe es mir nicht nehmen lassen, ein Spiel des Afrika-Cups zu besuchen: Ägypten gegen Marokko. Das Spiel fand heute abend im Nationalstadion statt und endete mit dem Ergebnis, das sich besonders gern immer dann einstellt, wenn ich mal ins Stadion gehe – 0:0. War aber trotzdem richtig schön. Vor allem deshalb, weil die gesamte Atmosphäre von den Zuschauern selbstgemacht war. Anders als in Deutschland, wo über die Lautsprecheranlage bei jeder Gelegenheit reichlich Lärm ausgekippt wird, waren hier die ca. 70.000 Zuschauer (und nicht die Stadiontechnik) für den Lärm verantwortlich. In meinem Nokia-Handy 5140 ist ein eingebauter Schallpegelmesser, der kam immerhin auf 112 dB. (Wie gesagt, wir reden hier von einem 0:0.) Es waren auch überraschend viele Frauen im Publikum, bestimmt mehr als ein Viertel. Das gesamte Sicherheitsregime war ein Witz, kein Vergleich zu Deutschland. Ein Glück. Denn bei der WM wirds außer La Olas nicht viel zu sehen geben – Fahnen dürfen nicht mit ins Stadion. Schön blöd. Denn so ein Stadion, das voll ist von fahnenschwenkenden, fußballverrückten Leuten – das ist ein Anblick, da kannste nicht meckern. Die Italiener Afrikas Mit uns (d.h. Kirstin und mir) war Ibrahim Farghali im Stadion, der vor eineinhalb Jahren dank MIDAD in Stuttgart Stadtschreiber war. Er lud uns nach dem Spiel zu sich nach Hause ein, wo uns seine Frau mit einem herrlichen ägyptischen Mahl beköstigte. Da kannste echt nicht meckern! Vorgestern abend habe ich bei einem Gartenfest ca. 200 Kairener (so heißen die Einwohner Kairos) stundenlang zu einer deutschen und einer ägyptischen Band tanzen und singen sehen. Habe einen Verdacht: Die Ägypter können ausgelassen feiern, hervorragend kochen, und sie sind fußballverrückt – sind sie etwa die Italiener Afrikas? Dies ist ein Auszug des Tagebuchs von Thomas Brussig, der zur Zeit als Stadtschreiber in Kairo gastiert. Anlass ist die Ägyptische Buchmesse, auf der dieses Jahr Deutschland als Gastland repräsentieren darf. Die kompletten Tagebücher von Thomas Brussig kann man auf der Webseite des Goethe-Instituts lesen, über das er uns die Auszüge freundlicherweise zur Verfügung stellt.

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