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Wenn der Klick-Köder nicht mehr schmeckt
Seit wenigen Monaten erst werden unsere Newsfeeds von rührseligen Heftig-Geschichten geflutet. Anfangs war der Klick-Reflex groß, ließ dann jedoch stark nach – weil die eigene Erwartung mehrfach nicht erfüllt wurde. Das Heftig-Konzept geht so: Im Teasertext stehen Sätze wie "Diese Geschichte hat mein Leben verändert", "Was dieser Typ angestellt hat, ist erstaunlich" oder "Das hat mich sehr nachdenklich gemacht". Mit Vorliebe werden Tier- und Kindergeschichten gepostet. Hauptsache tränendrüsig.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nicht klicken!
Die Intention hinter den spektakulären Anreißern ist klar – und wird von unzähligen Medien kopiert: Sie sollen Klicks, Likes und Shares generieren. Clickbait nennt man sie, also Klick-Köder. Mittlerweile hat sich aber auch der Begriff "Heftigstyle" durchgesetzt. Nach nur wenigen Monaten war Heftig mit diesem Konzept in aller Munde. Im April sogar auf Platz eins der Like-Medien-Charts von 10.000 Flies. Diese Rangliste zeigt, welche Medienseite die meisten Likes, Shares, Tweets und Klicks erreicht. Bei Heftig waren es im April etwa 2,3 Millionen. Beim Zweitplatzierten Spiegel Online etwa eine Million weniger.
Laut eigener Facebook-Seite sammelt Heftig "unwiderstehlich interessante Geschichten zum Lesen und Weitersagen". Diese Beschreibung trifft es gut – denn den Machern der Seite liegt nicht an eigenen redaktionellen Inhalten. Stattdessen wird ihnen vorgeworfen, ihre Texte fast ausschließlich von der amerikanischen Seite viralnova.com zu kopieren. Die wiederum bedient sich selbst in der gesamten Medienlandschaft – unabhängig von der Aktualität einer Geschichte. Die Verwertungskette also ist lang, ebenso das Reichweitenwachstum von Heftig.
Gegen all die unnützen Klicks, die aufgrund der marktschreierischen Teaser getätigt werden, tritt nun der amüsant-entlarvende Twitteraccount "Erspart dir den Klick" an. Er sammelt nicht nur Beiträge von Heftig, sondern aus der gesamten Medienlandschaft. So sind unter anderem Bild, Focus, Huffington Post oder die Hamburger Morgenpost mit von der Partie. Zu Beginn des Tweets wird die simple Nachricht der Geschichte genannt, dann erst der Teasertext. So offenbart der Account, der sich an den amerikanischen Twitter-Kanal "Saved You A Klick" anlehnt, die Banalität des Heftigstyles. Ein paar Beispiele: "Die Cola sieht danach aus wie flüssiger Teer" heißt es in Bezug auf den Huffington Post-Teaser "Abartig: Sie glauben nie, was passiert, wenn Sie eine Flasche Cola kochen." Oder zum Bild-Anreißer "Warum die Kanzlerin Anfang Mai die Handy-Nummer wechselte...": "Sie wollte, dass weniger Menschen die Nummer besitzen." Klingt gar nicht mal so heftig.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Der Account zeigt jedoch nicht nur die Banalität vieler Klickköder, sondern gleichzeitig, wie weit verbreitet die Technik ist. Denn nicht nur Onlineportale mit skurrilen Kuriositäten ködern ihre Leser mit dem Heftigstyle, sondern auch mehr oder weniger seriöse Medien. So werden in dem Account ebenso Spiegel Online, Die Welt oder das Heute Journal geführt.
Der Widerstand gegen den Heftigstyle wächst. Immer mehr Nutzer und Journalisten kritisieren die Ködertechnik, sprechen von Klicknutten-Prostitution und twittern sie unter dem Hashtag #heftigstyle. Seit seinem Launch am Dienstag hat "Erspart dir den Klick" etwa 600 Follower. Bald schon werden es aber sicher mehr sein. Und was dann geschieht, ist unglaublich!