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Weil man doch atmen muss

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Wann ist Popmusik eigentlich am politischsten? Wenn sie Pamphlete brüllt? Wenn sie anprangert? Wenn sie klagt, hasst und verurteilt? Oder wenn sie all das nicht tut zugunsten eines Gefühls, das alles offen lässt – und genau damit womöglich alles beantwortet?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Oder halt. Gleich noch mal alles auf Anfang. Wahrscheinlich ist die Frage die falsche. Zumindest als Einstieg. Weil ihr ja bereits eine Annahme zugrunde liegt. Und diese Annahme würde lauten: Popmusik ist immer politisch. Sie kann gar nicht anders. Weil sie ja immer Haltung zur Welt transportiert: Ablehnung zum Beispiel, Begeisterung, Rückzug, Konfrontation, Widerstand oder Gleichgültigkeit. Ja, auch Gleichgültigkeit. Wenig ist schließlich so politisch wie Gleichgültigkeit.

Wahrscheinlich müsste die Frage also eher lauten: Wann ist Popmusik eigentlich am besten? Und auch, wenn klar ist, dass diese Frage ebenfalls sehr groß ist für dieses Format, ein Versuch: Popmusik ist immer dann am besten, wenn es ihr gelingt, ein großes, unklar umherwaberndes Thema zu etwas zu verdichten, dass jeder spüren kann, hören, riechen, aufsaugen – und dann wieder, gefiltert und reflektiert, in die Welt entlassen. Das kann eine besonders erhebende Melodie sein oder ein aufwühlender Streichersatz. Es funktioniert über Sounds, verstörende Produktionen, Videos. Und natürlich über Textzeilen.

„Killing In The Name“ wäre da sicher auf mehreren Ebenen ein Beispiel. „Leider Geil“ oder „Yippie Yippie Yeah“ aber schon auch. Um dieses bemühte Superlativ-Gedresche also auf die Spitze zu treiben: Popmusik ist vielleicht dann immer am besten, wenn sie auf ein T-Shirt gedruckt funktioniert.

Langer Exkurs. Aber mit dem im Hinterkopf ist dafür schneller erklärt, warum Rihannas neuer Song „American Oxygen“ (den es gerade in keinem Format gibt, das wir hier einbinden können) so ein verdammt dickes Pop-Brett ist. Mindestens das dickste dieser Woche. Eher dieses Monats. Und warum die Welt also gerade tatsächlich diskutiert, ob die Dancefloor-Sängerin nun Patriotin ist oder Kritikerin ihrer Nation.

Da steht sie also vor wehender US-Fahne. Wind im Haar, die Arme immer wieder adlergleich ausgebreitet. Dazu gibt es Einspielungen von großen – oder vielleicht besser: prägenden – Momenten der US-Geschichte: Die Mondlandung, Martin Luther Kings „I have a dream“-Rede, die Vereidigung des ersten schwarzen Präsidenten. Und dann aber auch: Kriege, Aufmärsche des Ku Klux Klan, 9/11, Straßenkrawalle oder Luftverschmutzung durch gewaltige Industrieanlagen. Feuerwerk und Atombombenexplosionen, sklavenhafte Arbeitsbedingungen, Bootsflüchtlinge und Wirtschaftswunder.

"I can't breathe" flehte Eric Garner im Würgegriff eines Polizisten. Elf Mal. Dann war er tot.

Und da ist diese eine gewaltige Zeile: „Breathe out, breathe in – American oxygen“. Brutal gut ist die. Man atmet doch, zumal im amerikanischen Selbstverständnis, schließlich so viel mehr als nur Luft. Man atmet Freiheit, Gründergeist, ein Streben nach Größe: „Every breath I breathe/chasing this American dream/We swet for a nickle and a dime/turn it into an empire.“

Und gleichzeitig ist das Atmen in den USA mit dem Tod von Eric Garner ja auch gerade Symbol für eine rigide Exekutive geworden. Für Polizeigewalt und Rassismus. Garner war im Würgegriff eines Polizisten erstickt. „I can’t breathe“ hatte er zuvor gefleht. Elf Mal.

Viel mehr Gegenwart, viel mehr Ambivalenz, viel mehr Zeitgeist auch passt ja wohl nicht in einen Pop-Text, in einen Song, in ein Video. Viel besser, um das noch mal klar zu sagen, kann Popkultur nicht sein. Den (schon auch sehr großen) Beat haben übrigens Kanye West und Alex da Kid produziert. Klar. Noch zwei so hyperempfindliche Zeitgeist-Seismographen. „Just close your eyes and breathe“ heißt es irgendwann auch noch. Himmel, wie gut das alles ist.

jakob-biazza


Text: jetzt-redaktion - Foto: screenshot

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