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Die Geschichte eines "Gefangenen"
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Diese Geschichte beginnt wie jede gute Geschichte beginnt: mit viel Bier. Weitere Zutaten sind ein Fußballspiel, ein Junge und ein Mädchen und eine verschlossene Haustür. Tom, 24 Jahre alt, studiert Soziologie im Master in Bielefeld. Seine (längst virale) Studien-Erkenntnis: der "einzig wichtige Überlebenstipp: Halten Sie sich von Menschen fern". Hätte Tom sich selbst mal daran gehalten, hätte er heute eine gute Geschichte weniger zu erzählen. Auf Twitter erzählt er öfter aus seinem Studentenleben und dem anderer. 90 Prozent seiner Geschichten seien wahr, sagt er selbst. So wie die vom Montagmorgen.
Tom hielt sich während und nach dem EM-Spiel Frankreich gegen Island nämlich nicht von diesem einen Mädchen fern. Sie kannten einander schon flüchtig, groß unterhalten hatten sie sich nie. Bis eben das Bier kam. Am Morgen danach wacht Tom in ihrem Bett auf. "Es war noch recht früh, 10 Uhr oder so, und ich hatte frei, während sie in ein Seminar musste", erzählt er. "Da hat sie gesagt, ich könne ruhig liegen bleiben und ausschlafen."
Gesagt, getan. Als Tom dann schließlich aufwacht, duscht er noch und macht sich auf seinen Walk of shame. Doch der endet schon an der Haustür. Eingeschlossen. Gefangen in der Wohnung einer Fremden. "Ich habe geguckt, ob ich die Tür irgendwie aufkriege, aber das ging nicht", sagt Tom. Zwar hängt ein Schlüsselkasten neben dem Eingang, doch keiner der Schlüssel passt ins versperrte Schloss.
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Tom setzt sich also erst mal aufs Sofa und denkt: Scheiße! 3. Stock, Altbau, aus dem Fenster zu springen ist keine Option. Was tun? "Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich da wohl gefangen sein würde, also habe ich erstmal das Wlan-Passwort gesucht." Immerhin das findet er. Seine Suche nach Frühstück verläuft weniger erfolgreich. Toast ja, Kaffee oder Nutella nein.
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In seiner gelangweilten, hungrigen Verzweiflung kommt ihm dafür eine Idee. Es gab doch früher diese MTV-Show, in der Menschen die Zimmer ihrer künftigen Dates durchsuchen, um deren Charakter anhand der Einrichtung zu analysieren, ehe sie die echten Menschen treffen dürfen. "Room-Raiders" hieß die Show. Tom beschließt also, vom Gefangenen zum Room-Raider zu werden. "Ich habe aber nichts durchwühlt, nur Sachen angeguckt, die auch jeder Besucher auf Anhieb sehen würde", sagt er. Nach den ersten Tweets forden Freunde ihn auf, unterm Bett oder im Nachttisch nachzuschauen. "Aber das war mir zu creepy, das wäre zu weit gegangen". Und: "Ich glaube nicht, dass ich sie einfach so in meinem Zimmer alleine gelassen hätte. Das ist ja auch ein ziemlicher Vertrauensbeweis." Den will er nicht brechen. Ein bißchen auf Charakter-Analyse gehen aber schon.
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"Wegen der ganzen Fachliteratur in ihrem Bücherregal war mir ziemlich schnell klar, dass sie Pädagogik studiert", sagt Tom. Wegen der ganzen Schnulzenliteratur und der Kitschfilme im Rest des Regals wird ihm ziemlich schnell klar: "Wir passen nicht zueinander. Ich habe gedacht, was ist das denn für ein Mädchen?!"
Wie jede gute Bier-Geschichte endet auch Toms Geschichte positiv. Seine Gastgeberin erbarmt sich und kommt zwischen ihren Seminaren mit frischem Kaffee nach Hause. Eineinhalb bis zwei Stunden sei er da so gefangen gewesen, sagt Tom. "Dann kam sie und wir haben noch eine ganze Weile gequatscht." Natürlich spricht er sie auf seine Entdeckungen an. Und schnell wird ihm klar, dass die MTV-Show Room-Raiders zurecht nicht mehr ausgestrahlt wird. "Man kann einen Menschen nicht anhand seiner Einrichtung charakterisieren", sagt Tom. Die Schnulzen? Uralt und nur im Regal, damit irgendwas im Regal steht. Die Kitsch-Filme? Irgendwelche Geschenke, die man halt nicht wegschmeißt. "Sie hat darüber sehr gelacht und glaubhaft klargemacht, dass sie ganz anders ist, als ihre Wohnung impliziert."
Tom zeigt ihr auch seine Tweets. Auch darüber kann sie herzhaft lachen. Ob sie sich also wiedersehen? "Auf jeden Fall." Trotz seines Überlebenstipps.
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