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Daumen runter
Was der Mensch mit Insekten gemein hat: Er wird immer ekliger, je näher man ihm kommt. Da sieht man dann plötzlich all die Unzulänglichkeiten, die man aus der Ferne nicht sieht: Härchen, Schüppchen, Äderchen, Pickelchen, und am schlimmsten eigentlich: Grint. Grint findet sich zum Beispiel gern unter Fingernägeln. Da ist er natürlich noch am harmlosesten, bedenkt man alle anderen grintpotenten Stellen des Körpers, aber appetitlich ist - unter Freunden der ansprechenden Foto-Ästhetik gesprochen - auch etwas anderes.
Nun ist es aber eine bereits viel diskutierte Begleiterscheinung des Internets, dass sich viel zu viele Menschen viel zu schnell und viel zu unreflektiert dazu bemüßigen lassen, viel zu viele Details ihres Lebens zu posten. Am liebsten in Foto-Form. Und sehr gern bringen sie dabei auch ihre eigenen Körperteile ins Spiel. Süß lackierte Füßchen. Braungebrannte Knie. Hübsch gewellte Haare. Blogger-Girls beherrschen die Kunst der katalogähnlichen Selbstinszenierung oft meisterhaft. Da aber nicht jeder ein süßes Bloggergirl sein kann, und der breiten Masse der Unterschied zwischen ansprechend und nicht ansprechend oft nicht recht geläufig ist, sieht man in den meisten Fällen Körperteile, die, nun ja, eher zweiteres sind. Nicht so ansprechend. Oft wird dann von einem Maxim Z. oder einem Ulf R. oder einem Alex W. mit der linken Hand ein cooles Plattencover, oder ein lustiger Starbucksbecher (wo mal wieder der Name falsch geschrieben wurde, haha!) oder ein Pizzakarton ins Bild gehalten (Titel: „Yummy, dinner!“).
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
TMI, Dude: Dieser Daumen gehört dem Twitterer mattyglesias.
Und dabei sieht man dann, zum Beispiel, den Daumen von Maxim Z., Ulf R. oder Alex W.. Der ist, weil, mein Gott, halt auch nur ein stinknormaler Daumen, sehr oft sehr krumm und dick und untersetzt und schief geschnitten auch noch und überhaupt nicht süß und gefeilt und gecremt und lackiert.
Gawker Autor Jordan Sargent fordert deshalb: Please stop sharing your thumbs on social media! Denn nicht nur, so schreibt er, sind Daumen meist ungepflegt und krumm, vor allem sind sie störend – man könnte die Pizzaverpackung der Pizza, die man der Netzgemeinde zu zeigen gedenkt, ja auch auf dem Boden ablegen oder auf dem Herd. Da hätten dann alle was von. Der Daumenbesitzer wäre keinem Daumenspott mehr ausgeliefert, der Pizzakarton dürfte wieder er selbst sein und müsste nicht von einem Daumen verdeckt werden und der Betrachter muss nicht den Rest des Tages daran denken, dass Ulf R. echt einen ganz schön, wie der Bayer sagt: schiachen Daumen mitbekommen hat von der Natur. Den er im Übrigen mal wieder schneiden und reinigen könnte.
In diesem Sinne: Passen wir wieder ein bisschen mehr auf unsere Körperteile auf. Denn auch wenn immer alle meckern, dass im Internet zuviel Alltagsschönfärberei betrieben wird – zuviel Grint ist auch nicht geil.
mercedes-lauenstein
Text: jetzt-Redaktion - Bild: Screenshot