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Nachtwache im Hostel 2: "Du siehst aus wie Hemd"

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Die erste Schicht in meinem neuen Nebenjob hatte ich mehr oder weniger erfolgreich hinter mich gebracht. War ja auch kein Problem, das ganze Nachtwächterding in einem Youth-Hostel: Rumhängen, rauchen, Kaffee und Bier trinken und hin und wieder ein paar freundliche Worte an übermütige Gäste. Zudem war mein damaliger Mitbewohner Basti ebenfalls eingestellt worden. Und im Prinzip hatten wir in unserer ersten Nachtschicht nicht viel anderes gemacht, als das was wir auch ansonsten bevorzugt in unserer Wohnung taten: Rumhängen, rauchen, Kaffee und Bier trinken und die großen und wichtigen Themen der Welt diskutieren. Die nächste Nachtschicht konnte also ohne Probleme kommen. Doch als ich einen Blick auf den Dienstplan warf, musste ich feststellen, dass inzwischen wohl noch mehr Leute eingestellt wurden. Neben meinen Namen stand noch ein anderer: Ö.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das erfreute mich natürlich nicht unbedingt, denn Basti und ich hatten die gleiche Vorstellung von einer „erfolgreichen“ Nachtschicht. Und ob dieser Ö. ähnlich ticken würde, wusste ich ja nicht. Meine zweite Schicht ließ sich erstmal ähnlich an, wie die erste: Der Kaffee schmeckte ein bisschen nach alten Schuhen und der junge Mann hinter der Rezeption, Flo, kicherte noch immer leicht irre und erfreute sich an Euro-Dance. Aber wo war eigentlich mein Kollege? „Wer bist du?“ raunzte mir plötzlich jemand entgegen. „Ich hab Sicherheitsschein. Kann Waffen benutzen. Schlagring zum Beispiel. Hast du das?“ Natürlich hatte ich so etwas nicht. Ö. war einen gefühlten halben Meter kleiner als ich und einen tatsächlichen halben Meter breiter. Die Koteletten waren stromlinienförmig rasiert und betonten die harten Wangenknochen. Ich wusste ab diesem Zeitpunkt schon, dass diese Nachtschicht anders verlaufen würde. Ö. holte einen zerknüllten Zettel aus seiner Hosentasche, entfaltete ihn und deutete auf irgendein Wort. Bevor ich irgendetwas entziffern konnte, war der Zettel wieder in seiner Hosentasche verschwunden. Dafür leuchtete mir das grelle Licht einer riesigen Taschenlampe ins Gesicht. „Hast du Maclight?“. Natürlich hatte ich keine Maclight. „Kauf sie dir! Und jetzt komm Ralph. Mach 'ma Runde“. Ö.s Definition einer Runde sah folgendermaßen aus: „Weißt du wie Runde geht? Also. Du drückst im Lift fünfter Stock und fährst hoch. Du gehst Gang durch den Gang. Du horchst an jeder Tür, ob irgendeiner labert. Ok? Ich bin der Chef der Nacht und wenn gelabert wird, ist mein Beruf weg. Deswegen halten hier alle das Maul.“ Ö. hielt sein Wort. An jede einzelne Tür presste er konzentriert seine Ohren und observierte dabei mit bebenden Wangenknochen die Gänge des Hostels. Durch eine der Türen hörten wir ein leises Gemurmel. „Hast du Mastercard?“ Ich hatte keine. Ö. schon. Und so fanden wir uns (freilich ohne vorher ein Klopfzeichen zu geben) plötzlich inmitten eines Zimmers. Englischsprachige Gäste schrien entsetzt auf. „You! Halt's Maul, sonst out hier! My Hotel! Checkst du das?“ Natürlich verstanden sie kein Wort. Ö. wollte, dass ich das übersetze. Ich erlaubte mir dabei die eine oder andere Freiheit. Aber irgendwann war das Problem geklärt und die Amis wiesen mich noch darauf hin, am nächsten Tag Beschwerde gegen meinen Kollegen einzureichen. „Was hat er gesagt?“, fragte Ö. „Sie haben Dir noch eine gute Nacht gewünscht.“ Damit war die „Runde“ erst mal beendet. Ich wagte einen kurzen Blick auf die Uhr in der Lobby. Es war gerade mal gegen Mitternacht. Ich wollte erst mal nichts weiter, als einen Kaffee trinken. Ö. nicht, aber er ließ sich immerhin auf ein Red Bull ein. „Du bist kein Security“, sagte er und sah mich an. „Du siehst aus wie Hemd.“ sagte er dann noch. „Du bist zu nett. Zu weich für diesen Beruf“.

Text: ralph-glander - Foto: dpa

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