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Tom Schilling macht jetzt Musik
Ein prominenter Schauspieler erfindet sich als Musiker neu – das geht selten gut. Tom Schilling gehört zu den positiven Ausnahmen. Beim Dreh von „Oh Boy“ lernte der gebürtige Ost-Berliner die Filmmusiker Chris Colaço und Phillip Schaeper kennen, mit denen er „Tom Schilling & The Jazz Kids“ gründete. Inzwischen zählt die Band fünf Mitglieder. Am 21. April kommt ihr Debütalbum heraus, das in einer Mischung aus Rock, Indie und Chanson ziemlich schwermütige Töne anschlägt. Anfang Mai tourt die Band durch Deutschland, am 12. Mai gibt es ein Abschlusskonzert in Berlin. Wir trafen Schilling in seiner Heimatstadt zu einem Interview, vor dem er nach eigener Aussage ziemlich aufgeregt war. Natürlich hofft er, dass das ihm persönlich sehr wichtige Album gut ankommt.
jetzt: Anthony Hopkins malt, das Model Cara Delevingne schauspielert und du machst jetzt Musik. Beschäftigt dich, ob deine Musik wegen deines Erfolges als Schauspieler unfair bewertet werden könnte?
Tom Schilling: Total.
Inwiefern?
Na ja, mir ist diese Platte sehr, sehr heilig und sie ist sehr persönlich. Das ist schon irgendwie eine Floskel. Aber es ist einfach so. Und ich würde damit nicht an die Öffentlichkeit gehen, wenn ich nicht möchte, dass sie gehört und besprochen wird. Natürlich sind die Medien Meinungsmacher und man möchte – wenn man sich so persönlich offenbart – das natürlich auch richtig eingeordnet und verstanden wissen.
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Euer Album heißt „Vilnius“, wie die Hauptstadt Litauens. Wie kam es dazu?
Ich wollte, dass die Platte rätselhaft bleibt. Und so verhält es sich mit den Texten, dem Cover und auch mit dem Albumtitel. Vilnius ist für mich eine wichtige Stadt, aber ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, weil ich gerade diesen Assoziationsspielraum will, wenn man das Cover anguckt und dieses „Seestück“ von Gerhard Richter sieht und liest „Vilnius“. Ich will, dass sich der Zuhörer damit beschäftigt.
Könnte „Vilnius“ mit deiner Verlobten, Annie Mosebach, zu tun haben?
Es hat auf jeden Fall mit Liebe zu tun und mit Verlust und auch mit einer Sehnsucht, die mit dem Ostblock zu tun hat und mit Russland und mit einer gewissen Schwermut.
Wieso habt ihr euch für den Namen „Tom Schilling & The Jazz Kids“ entschieden, wenn ihr keinen Jazz spielt und keine Kinder dabei sind?
Weil ich es mag, die Leute auf eine falsche Fährte zu locken und weil ich diesen Gegensatz mag zwischen „Jazz“, was es ja gar nicht ist, und „Kids“, was sehr harmlos und lieblich klingt. Und das ist ja die Platte gar nicht.
Du hast fast alle Melodien und Texte selbst geschrieben und singst auch. Und da ist wie gesagt viel Schwermut. Hat dieser Hang zum Traurigen auch damit zu tun, dass du Ost-Berliner bist?
Wieso?
Ost-Berlin hat ja eine gewisse Tristesse, besonders im Winter: Blocks, grau, Regen.
Nein, überhaupt nicht. Ich kenne viele Berliner, die nicht im Geringsten diesen Hang zur Schwermut haben wie ich. Etwas sehr Melancholisches steckt in mir drin. Ich bilde mir ein, dass ich schon als Kind eher verschlossen und sehr vergeistigt war.
Deine Songtexte sind sehr lyrisch. Gedichte sind für viele Menschen ein Weg, um ein bisschen aus dem Hier und Jetzt abzuhauen. Ist das bei dir auch so?
Ne, die Sprache, die ich benutze, ist die, die sich für mich am richtigsten anhört. Ich hab mir das nicht ausgesucht, sondern die Sachen kommen so aus mir heraus. Offenbar habe ich so einen Hang zur deutschen Romantik, wobei ich jetzt nicht privat Gedichtbände lese. Trotzdem mag ich den Klang der Worte. Die Zeile von Matthias Claudius: „Der Mond ist aufgegangen“ – das spricht zu mir.
Du hast mal gesagt, dass du Satanist warst und das Tragische und Dramatische dich interessiert. Hast du manchmal Angst, dass du dich selbst zu sehr herunterziehst?
Nö, ich empfinde Melancholie als ein sehr, sehr angenehmes Gefühl und nicht als etwas Bedrückendes, Belastendes.
Und was gibt dir Melancholie?
Einen wohligen Schauer.
Wann hast du das letzte Mal geweint?
Ist schon ein bisschen her.
Findest du die Frage, ob du gut singen kannst, für deine Musik relevant?
Überhaupt nicht. Das ist auch der Vorwurf – wenn er denn kommt–, der mich am wenigsten treffen wird.
Welcher Vorwurf würde dich treffen?
Dass das Album belanglos und pathetisch ist.
In „Oh Boy“ lässt sich die Hauptfigur durch’s Leben treiben. Wäre es dir vielleicht ähnlich ergangen, hätten deine Eltern dich nicht recht früh gefördert?
Schwer für mich zu beantworten, weil ich bin, wie ich bin. Ich weiß aber nicht, warum. Tief in mir drin ist was sehr, sehr Rastloses, was dagegen spricht, dass ich so ein Leben führen könnte wie die Hauptfigur in „Oh Boy“. Der Film hat auch weniger mit mir zu tun als mit dem Regisseur. Ich glaube, das ist ein sehr autobiografisch aufgeladener Film. Ich bin eher das Gegenteil. Ich muss immer irgendwohin vordrängen, wo es mir wehtut, wovor ich Angst habe. Ich muss immer wieder einen Berg besteigen.
Hast du denn Schaffenskrisen?
Ständig.
Wann hattest du die letzte?
Jeder Versuch, einen Song zu schreiben, ist für mich eine Schaffenskrise. Es ist nicht so, dass die Songs aus mir herauspurzeln. Das passiert recht selten. Da sind zehn Stücke auf dem Album und neun davon habe ich geschrieben. Und es gibt viele, die ich auch nicht zwingend genug finde, um sie auf der Platte zu haben. Das Schreiben an sich ist eine einzige Schaffenskrise
Wann bist du nervöser: vor einer Sexszene oder vor einem Gig?
Kommt auf die Filmpartnerin an. Mit manchen ist das ein totaler Selbstläufer und manchmal fällt es sehr schwer und dann bin ich sehr nervös.
Was gibt dir die Musik, das dir die Schauspielerei nicht geben kann?
Die Möglichkeit, komplette Kontrolle und Eigenverantwortung zu haben. Das ist ein großer Unterschied, ob man tatsächlich Urheber ist oder Interpret. Als Schauspieler fühle ich mich eher wie ein erster Geiger im Orchester. Ich interpretiere ein Stück, das jemand anderes geschrieben hat und mache es zu etwas sehr Persönlichem. Aber als Autor und Urheber geschieht das alles aus mir heraus. Ich habe totale Hochachtung vor Leuten, die schaffen. Es gibt nichts Schwereres, als vor einem weißen Blatt Papier zu sitzen und eine Idee zu haben, die verfolgt werden kann. Deswegen habe ich Hochachtung vor dem Maler, dem Autor und dem Regisseur, der seine Drehbücher selber schreibt.
Ist das besonders schwierig, wenn man sich immer wieder bewusst macht, wie viele verschiedene Wege das Leben für jeden von uns bereithält?
Wenn man so streng ist wie ich, dann fällt es manchmal schwer, Sachen zu akzeptieren oder überhaupt zu verfolgen. Es muss natürlich immer meinen Ansprüchen genügen. Auf der anderen Seite gibt es so viel tolle Musik und tolle Filme, da müsste ich gar nicht antreten, wenn ich mich immer mit jemandem vergleiche. Keine Rockband dürfte auftreten, wenn sie sagt, das muss auf dem Niveau der Beatles passieren. Der kreative Prozess ist immer sehr intuitiv, fast schon esoterisch, wo die Sachen zu einem kommen und sich von allein entwickeln, wo man nur offen dafür ist und seinen Körper auf Empfang gestellt hat. Das mit dem „Seestück“ oder wie die Band zusammengekommen ist oder, dass Moses Schneider die Platte produziert, das sind nicht unbedingt Entscheidungen, die ich an einem Nachmittag getroffen habe. Das kam so peu à peu und wie von ganz allein.
"Vilnius" von Tom Schilling & The Jazz Kids ist bei Embassy of Music erschienen.