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Tic Tac Toe war eine der progressivsten und coolsten Bands

Tic Tac Toe sollte auch heute noch Menschen ansprechen, findet unser Autor.
Foto: dpa

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Die 90er Girlband Tic Tac Toe ist auch heute noch ein Begriff. Viele kennen mindestens das Video im Netz, in dem die Rapperin Lee mit Tränen in den Augen ihre Bandkollegin Ricky anbrüllt: „Wenn wir Freunde wären, dann würdest du so einen Scheiß überhaupt nicht machen. Du machst uns alles kaputt.“ Diese Pressekonferenz im November 1997 in München ging als eine der bekanntesten in die deutsche Musikgeschichte ein. Leider war dieser Tag auch das Ende der Band. Zumindest das Ende ihrer goldenen Erfolgszeiten.

Das sollte jedoch nicht alles gewesen sein, woran wir uns heute erinnern. Denn wenn man sich eben in der Zeit davor, zwischen 1995 und -97 - der Hochphase von Tic Tac Toe, mit deutscher Popkultur beschäftigt hat, ist man an Lee, Ricky und Jazzy nicht vorbeigekommen. Selten sprechen wir heute darüber, wie weit voraus Tic Tac Toe ihrer Zeit waren, wie sie die deutsche Popkultur geprägt haben, wie sie Themen behandelt haben, die zum einen noch heute aktuell sind und zum anderen erst jetzt wirklich von Mainstram und in feministischen Debatten gewertschätzt werden. Wie zum Beispiel sexuelle Selbstbestimmung oder Diskriminierung aufgrund der Herkunft. 

Noch weniger sprechen wir darüber, wie wichtig die Band für junge Frauen und Teenager und besonders für viele junge Schwarze Menschen und People of Color war. Tic Tac Toe war eine Band, die es so bis dato in Deutschland nicht geben hat.

Erinnern wir uns zum Beispiel an Songs mit plakativen Titeln wie „Verpiss dich“, „Leck mich am AB Zeh“, an den Song „Warum“ oder ihre Debütsingle „Ich find dich scheiße“, die sich 1995 ganze 22 Wochen in den Charts hielt und wohl mit Abstand ihr bekanntester Hit ist. Schimpfwörter in dieser Form gab es bis dato in der deutschen Mainstream-Musik noch nicht. Schon gar nicht von Frauen. Die Plattenfirma BMG wurde sich vor dem ersten Release unsicher und auch der Aufschrei aus der Mitte der Gesellschaft war groß: Manche wollten "Ich find dich scheiße" verbieten und Radiostationen wollten ihn nicht spielen.  Eltern sorgten sich um ihre Kinder und einige pubertierende Heterojungs fühlten sich angesichts der drei selbstbewussten Frauen, die offen ihre Meinung sagten und ihnen den Mittelfinger zeigten, in ihrer Männlichkeit angegriffen.

Mehr als nur Schimpfwörter – Tic Tac Toe singen gegen rassistische Stereotype an

Laut ihrer Plattenfirma wurden Tic Tac Toe 1995 im Ruhrgebiet bei einem Hip-Hop-Contest von ihrer späteren Managerin entdeckt. Unumstritten war Claudia Wohlfromm die Drahtzieherin und Visionärin hinter der Band. Sie und das fünfte Teammitglied Torsten Börger produzierten die Musik und schrieben den drei Frauen die Texte auf den Leib. Und schon das Debütalbum „Tic Tac Toe“ war vollgepackt mit mit aussagekräftigen Geschichten. Dabei war es nicht nur frech und direkt, es war auch sehr selbstironisch und wollte Deutschland mit der Überspitzung von Klischees und rassistischen Stereotypen den Spiegel vorhalten. Zum Beispiel im Intro „Ugu Ugu“, in dem die Girls als eine seltsame Spezies aus dem Großstadtdschungel angekündigt wurden:

„Wer hat Angst vor schwarzen Frauen? Keiner, Keiner. Dann mach dich doch nicht selbst zum Clown Kleiner, Kleiner. Wer hat Angst vor N***küssen? Keiner, keiner. Denn das sind die besonders Süßen“

Ihr zweiter großer Hit „Verpiss dich“ erzählt die Geschichte einer Frau, die von ihrem Partner betrogen wurde und ihm – auch wenn sie ihn noch immer liebt – dafür einen Korb gibt. Eigentlich eine wichtige Message für junge Frauen und Mädchen, von der Presse wurde aber auch dieser Song nur auf die Fäkalsprache reduziert. „Wenn die Band Die Ärzte schon vor zehn Jahren solche Wörter benutzen durfte, dann können wir ja heute wohl auch diese kleinen süßen Worte ‚Scheiße’ oder ‚Verpiss dich’ benutzen. Das ist die Sprache, die die Jugend spricht.", meinte Lee dazu mal in einem Interview in einer Band Dokumentation von BMG.

Selbst ein Großteil der Presse hatte gerade zu Beginn nicht viel Gutes zu berichten. Schade eigentlich, wo die Band doch so viel mehr war als nur Skandal und Provokation. Schauen wir nochmal auf das Jahr 1995, das Gründungsjahr von Tic Tac Toe. Einem Jahr, in dem Eurodance angesagt war und besonders Boybands große Erfolge feierten. Im Sprechgesangwaren es weiße, vorbildlich sozialisierte Männer wie Die Fantatischen Vier oder Fettes Brot, die im Mainstream Anerkennung fanden und von den Radiostationen gespielt wurden. Viele andere Acts waren Mitte der 90er One-Hit-Wonder und von Plattenfirmen oft für schnelles Geld konzipiert worden. Es gab wenig Popmusik mit einer Message. Und das schon gar nicht von Schwarzen Frauen. Auch von den Spice Girls, die den Begriff „Girl Power“ etablierten, gab es noch keine Spur.

Genau das war wohl auch der Grund, warum Tic Tac Toe so erfolgreich waren – weil sie die Sprache der Jugend sprachen und weil die älteren Fans doch mehr in ihren Texten lesen konnten als nur Schimpfwörter.

„Leck mich am A, B, Zeh“ fordert zum Benutzen von Kondomen zum Schutz vor HIV und AIDS auf. Zu dieser Zeit ein hoch brisantes Thema. Und im Track „Funky“ besingen Tic Tac Toe ihre Lust auf Sex. Auch das war im deutschen Pop neu für eine Girlband. Oder auch überhaupt war es neu, dass Frauen ihre sexuellen Bedürfnisse zum Ausdruck brachten. Eine Sache, die bei heutigen Musikerinnen wie Juju, Shirin David oder Katja Krasavice als Fortschritt und positive Entwicklung auf dem Weg zur  Gleichberechtigung der Geschlechter gesehen wird.

Tic Tac Toe wollten weder Männern noch dem weißen Deutschland gefallen

Immer wieder kritisierten Tic Tac Toe auch den Kapitalismus und verstanden sich dabei klar als Sprachrohr für die weniger Privilegierten und sozial Benachteiligten unser Gesellschaft, wie zum Beispiel im Song „Haste was biste was“, wie auch der Titel schon vermuten lässt.

Zur Veröffentlichung ihres zweiten Albums „Klappe die 2.“, waren Tic Tac Toe bereits Superstars. Und wie das mit Superstars so ist, sucht die Boulevardpresse oft nach Schmutz, den sie in Lee’s Vergangenheit glaubten gefunden zu haben. Und da die drei selbstbewussten Schwarzen Frauen, die erfolgreicher waren, als alles, was zu der Zeit auf dem Markt war, ohnehin vielen ein Dorn im Auge waren, begann eine Hetzjagd auf Lee, bei der ihre Vergangenheit komplett auseinander genommen wurde. Auch hier können wir froh sein, dass viele Debattenheute weniger verklemmt und sexistisch geführt werden.

Zurück aber zu dem, wofür Tic Tac Toe bekannt sein wollten – ihrer Musik und ihren Themen: „Warum?“ thematisiert den Absturz einer Drogengebrauchenden aus der Perspektive einer Freundin, und „Bitte küss mich nicht“ thematisiert Kindesmissbrauch.

Sie dissten Machos in „Mr. Wichtig“ und reduzierten einen Mann mit „Du hast den Schönsten“ auf sein Geschlechtsteil – auch eine Sache, die wir bis dahin im deutschsprachigen Raum nur von Männern in Bezug auf Frauen kannten. Der damaligen Zeit und den bis dahin geführten Debatten weit voraus war auch die Auseinandersetzung mit kritischer Männlichkeit und hegemonialen Strukturen. So heißt es ironisch in einem Song: „Große Jungs weinen nicht." Tic Tac Toe haben Themen angesprochen, die in unserer patriarchalen Welt bei vielen nicht gut angekommen sind. Irgendwie also nicht verwunderlich, dass sie auf das Minimum reduziert wurden: auf Schimpfwörter und „unanständiges Benehmen“. 

Heute würden wir das „Tone Policing“ nennen – eine Ablenkungstaktik, in der jemand den Ton, die Wortwahl und die Emotionen des Gegenübers angreift, statt auf die Inhalte einzugehen. Etwas, was ganz besonders Schwarzen Menschen und People of Color passiert, wenn sie mit berechtigter Wut Rassismus und Ungerechtigkeiten ansprechen.

Schwarze Menschen waren zwar in der deutschen Musik auch in den Neunzigern präsent, jedoch wurde ihre Identität oder ihr Schwarzsein selten thematisiert und eher ignoriert.

Tic Tac Toe waren stolz, nicht weiß zu sein. Sie haben nicht versteckt, aus welchem Umfeld sie kamen und wie sie sozialisiert wurden. Sie haben sich nicht angepasst, um dem weißen Deutschland besser zu gefallen, und sie haben nicht versteckt, dass sie sauer waren und sich auch von Männern nichts gefallen ließen. Das hat unbewusst eine ganze Generation geprägt und ist bis zum Aufkommen der Band SXTN im Jahr 2017 in dieser Form einzigartig geblieben.

Es sind solche Aspekte, an die wir uns erinnern sollten, wenn wir an Tic Tac Toe zurückdenken. Lee, Jazzy und Ricky, haben nicht nur völlig zu Recht zu ihrer Zeit mehr als eine Millionen Platten verkauft, sondern waren auch, ohne es vielleicht zu wissen, Schwarze feministische Vorreiterinnen in der deutschen Musikszene und ein Sprachrohr für nicht-weiße Jugendliche und junge Frauen. Tic Tac Toe sollte gefeiert werden, als einzigartige Band, die die Popwelt auf den Kopf gestellt hat und auf unvergleichbare Art Afrodeutsche Musikgeschichte geschrieben hat.

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