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Pussy Riot-Begründerin schreibt Buch
Das Punksein hat Nadja Tolokonnikowa, Begründerin von Pussy Riot, nicht verlernt. Weder während der zwei Jahre Haft in einem der trostlosesten russischen Straflager. Die sie absaß, ohne vom Protestgebet ihrer Band in der Moskauer Erlöserkirche abzurücken. Ohne Schuldeingeständnis also, um früher entlassen zu werden. Und auch nicht auf den vielen Empfängen und Podien, auf denen sie nach ihrer Freilassung international hofiert und gefeiert wurde. Als Symbolfigur gesellschaftlicher Widerstandsfähigkeit, und schallender Sturmstimme im stummen Putinrussland. Aufreizend unbeteiligt und mit den Füßen auf dem Tisch sitzt die 26-Jährige am Montag auf der Bühne des ausverkauften Maxim Gorki Theater in Berlin. Sie war gekommen, um ihr Buch "Anleitung zu einer Revolution" vorzustellen. Eine Lesung eigentlich. Aber doch auch viel mehr. Tolokonnikowa gibt dem Publikum, wofür es gezahlt hat – hochprofessionellen, feministischen, shiny Nonkonformismus. In blauer Glitzerjacke mit Regenbogenkragen und schwarzweißen Hippster-Leggins spielt Tolokonnikowa an ihrem Handy herum, während eine Darstellerin des Gorki-Ensembles aus ihrem Punkprodukt liest.
Das Buch selbst ist Autobiographie und Pamphlet zugleich. Eine wilde, zwischen den Zeiten springende Collage aus eigenen Erinnerungen, Interviewauszügen, Prozessakten und Zitaten verschiedener Akteure. Auch Zitate ihrer Gegenspieler. Sei es Putin, der sich darüber amüsiert, dass das Gericht Pussy Riot läppische "zwei Jährchen" aufgebrummt hat. Oder von Geistlichen der orthodoxen Kirche, die den Feminismus als eine Erfindung des Westens dämonisieren. Die zweihundert kleinteiligen Episoden enden fast immer mit einem Imperativ: Habt keine Angst. Tut das Unmögliche. Stürzt Diktatoren. Wartet nicht, bis man euch die Haut abzieht. Werdet stärker, wenn man euch fickt.
"An wen sind die Imperative denn eigentlich genau gerichtet?", fragt Michail Ryklin, Moderator des Abends und selbst scharfer Kritiker des Putinregimes. "Vor allem an mich selbst. So wie die meisten Russen, leide auch ich an einem schlechten Kurzeitgedächtnis und vergesse ständig, was ich will." Während der Saal in Gelächter ausbricht, hofft Ryklin auf weitere, ernsthaftere Ausführungen. Aber Tolokonnikowa schweigt, lässt den grauhaarigen Professor auflaufen und grinst ihn dabei herausfordernd an. Ryklin sucht mit den Augen irgendwo im Raum nach Halt und atmet ein wenig schnappend. Dabei bestand Tolokonnikowa auf eben diesen Ryklin, den sie als Intellektuellen bewundert. Aber Profipunk, das heißt auch, die eigene Präsentation zu sabotieren. Und sabotieren, das heißt mindestens meistens auch: inszenieren. Es dauert nicht lang, bis die Menge bewundernd an ihren eloquenten, kompromisslos schwarz geschminkten Lippen hängt. Ein relativ junges Publikum im besten Aufstandsalter. Aber auch einige ältere Köpfe, die vielleicht ihrer verpassten Revolte nachtrauern. "Welcher Strömung des Feminismus fühlen Sie sich am ehesten verbunden?" "Dem von Missy Elliot. If you got a big dick, let me work it." Ryklin, 68, schaut nicht unbedingt wie ein Missy-Elliot-Experte. Versucht aber auch, Gas zu geben: "Sie schreiben, dass auch Sie als Frau einen Schwanz haben. Und dass dieser größer als Putins Schwanz sei. Wie meinen Sie das?"
"Sie möchten doch nicht etwa, dass ich ihn raushole?"
Manchmal riecht dieses Buch ebenso wie der Auftritt der Tolokonnikowa – nach Pop und Konfettidunst. Nach Selbstbeweihräucherung des Exportschlagers Pussy Riot. Und Tolokonnikowa forciert diesen siechenden Geruch bewusst. Wenn sie beispielsweise die Abschnitte mit koketten englischen Ansagen wie "Have a break, have a Pussy Riot" oder "I lost weight with Pussy Riot. It made me feel Pussy Riot again!" beschließt. Wenn sie also relativ austauschbare Sprüche aneinanderreiht.
Diese nahbar aufgeschriebenen, zum Teil traumatischen Erlebnisse, zeichnen das Bild eines düsteren, rechtlosen, an Despotismus erstickenden Russlands.
Und doch hat sie ein Buch von großer Stärke, Menschlichkeit und Relevanz geschrieben. Vor allem wegen der Schilderungen aus der Strafkolonie, dem erzählerischen und emotionalen Kern. Berichte aus einem vergessenen Unort, irgendwo in Mordwinien, wo kranken Frauen die Medikamente vorenthalten werden, während sie täglich in sechzehnstündigen Arbeitsschichten zerschunden werden. Wo eben jene Frauen zur Teilnahme an gefängnisinternen Schönheitswettbewerben gezwungen werden, gepaart mit der Drohung, sie sonst länger im Lager zu internieren. Innenansichten aus einem gesetzlosen Neugulag, der von einem bekennenden Stalinisten geleitet wird. Wo die Gelder zur Verpflegung der Gefangenen – nach alter sowjetischer Manier – in autoritären Taschen versickern. Und wo, wie es im Buch heißt, ihre Mitgefangenen "einfach langsam in den Zellen erfrieren, statt erschossen zu werden." Diese nahbar aufgeschriebenen, zum Teil traumatischen Erlebnisse, zeichnen das Bild eines düsteren, rechtlosen, an Despotismus erstickenden Russlands. Und sie sind die eigentliche Anleitung zur Revolution. Weil sie in ungebrochenem, stolzem Ton festgehalten sind. Vor allem aber, weil Tolokonnikowa auf diese Zustände mit einem Hungerstreik reagierte. Und letztlich ausgemergelt auf dem Krankenbett, von Schlieren und Eiterbeulen übersät, vom Menschenrechtsbeauftragten der Russischen Föderation angerufen wurde. Der bessere Bedingungen für die Strafkolonie zusagte. Sieg.
Auch ins Theatergespräch, das Tolokonnikowa zwischenzeitlich so virtuos an die Wand fährt, streut sie immer wieder Substanzielles. Sei es, wenn sie klarstellt, dass mit dem Verschwinden von Putin als Person natürlich nichts gelöst sei. Dass grundsätzlich die Achtung von fundamentalen Menschenrechten wieder etwas bedeuten muss, was nicht ohne systematischen Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption gelingen könne. Oder wenn sie von ihrer NGO "Sona Prawa" spricht, mit der sie sich seit ihrer Freilassung für humanere Bedingungen im russischen Strafvollzug einsetzt.
Dann geht aber doch noch ein Riss, durch ihre an diesem Abend viel umjubelte Doppelfassade. Als Ryklin sie mit der Frage konfrontiert, ob sie mit dem Begriff Revolution nicht zu naiv umspringe. Schließlich hätten bisher die meisten Revolutionen zu neuen Problemen, und besonders in der russischen Geschichte, zu großen Blutopfern in der Bevölkerung geführt. Hier wird Tolokonnikowa zum ersten Mal etwas unscharf. Und redet davon, dass sie Revolution im Popkontext gemeint habe. Irgendwas von Vogue und der Sängerin Adele.
Im Saal, der ihr eben noch zu Füßen lag, erstarrt die Bewunderung für einen Moment. Erst recht als sie kleinlaut nachschiebt: "Sie werden mich vielleicht oberflächlich nennen. Aber ich fürchte mich vor Ernsthaftigkeit. Ich fürchte mich wirklich sehr vor ihr." Die Dekonstruktion einer tatsächlich zur Ikone taugenden Anarcho-Intellektuellen, (auf die zuhause in Moskau eine siebenjährige Tochter wartet) tritt aber nicht ein. Weil Tolokonnikowa doch wieder geschickt den Bogen spannt: "Ich bin eben eine Punkerin. Jede Revolution, die ohne Lachen im Gesicht geschieht. Ist keine Revolution, sondern Scheiße."
Ob Nadja Tolokonnikowas Anleitung zur höhnisch lachenden Revolution auch dort erscheint, wo sie am ehesten benötigt wird – in Russland – ist derzeit unsicher. Sehr unsicher. Es gäbe zwar erste Gespräche mit Verlagen, erwähnte sie am Rande. Und offiziell sei das Manuskript bisher auch nicht verboten. Aber in Russland ist vieles offiziell nicht verboten.