Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

„Je mehr Diversität es hinter den Kulissen gibt, desto mehr wird es überall geben“

Foto: Olof Grind

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Ein Soundtrack für unsichere Zeiten: In den Songs der in Los Angeles lebenden Phoebe Bridgers hört man durchdachte Melodien, ihre Musik ist eingängig. Die Texte haben es aber oft in sich: Die düsteren Erzählungen der Kalifornierin handeln oft von apokalyptischen Visionen, Beerdigungen, traurigen Erinnerungen. Wunderschön ist das alles aber trotzdem, da Bridgers es versteht, das Ganze mit einer Prise Hoffnung, Komik und bittersüßer Nostalgie anzureichern. Das klingt erst mal nach Gegensatz, findet aber Anklang: Ihr Debutalbum „Stranger in the Alps“ von 2017 – es war noch eine eher klassische Folk-Platte – wurde zum Überraschungs-Erfolg und machte Bridgers zum Szene-Star. Es folgten eine EP mit dem Projekt boygenius, das sie mit den Musikerinnen Julien Baker und Lucy Dacus betreibt, sowie ein gemeinsames Album mit Bright Eyes-Frontmann und Indie-Legende Conor Oberst unter dem Namen Better Oblivion Community Center.

2019 war Bridgers Teil einer Reihe von Frauen, die im Rahmen eines Textes auf der Website der New York Times dem Folk-Rock-Musiker Ryan Adams missbräuchliches Verhalten vorwarfen und damit eine #MeToo-Debatte im Musikbereich auslösten. Mit „Punisher“ erschien Mitte Juni nun das zweite Solo-Werk der 1994 geborenen Bridgers. Ihr ureigener Mix aus Emo-Folk und Indie-Rock klingt darauf ausgereifter denn je.

jetzt: Die Corona-Krise stellt die Musikbranche gewaltig auf die Probe. Wie fühlte es sich an, dein Album „Punisher“ während einer Pandemie zu veröffentlichen?

Phoebe Bridgers: Die Pandemie ist die eine Sache. Das Label und ich haben uns schon sehr früh darauf verständigt, das Album nicht zu verschieben. Besonders hart war es aber, die Bürgerunruhen rund um die Polizeigewalt in den USA zu verarbeiten. Da wollte ich mich einfach nicht selbst promoten müssen. Aber dann bemerkte ich, dass diese Bewegung sowieso noch eine längere Zeit andauern wird, was großartig ist, sind die USA bei so etwas doch oft irgendwie zerstreut – vor allem was die Medien angeht: Sie stürzen sich auf etwas, dann ist das drei Tage her und schon ist es Vergangenheit. Ich bin froh zu sehen, dass das hier nicht einfach verschwindet. Also habe ich das Album dann einfach herausgebracht und die Leute, die es hören wollen, können es hören und die, die es nicht hören wollen, hören es nicht.

Deine Songs wirken oft nostalgisch, du thematisierst häufig Erinnerungen oder beziehst dich auf Vergangenes, wie den 00er-Kultfilm „Donnie Darko“ im Video zu „Garden Song“. Ähnliche Motive gibt es auch bei Künstler*innen wie Charli XCX oder Dua Lipa immer wieder. Warum denkst du, dass gerade die Generation der Millennials sich nach der vergangenen Zeit sehnt?

Wir haben es irgendwie von George W. Bush zu Präsident Obama geschafft. Und ich vermisse dieses Gefühl so sehr, als ich in der achten Klasse war und Obama ins Weiße Haus gewählt wurde. Damals dachte ich mir für eine Minute: „Für uns geht es wirklich aufwärts.“ Und nun gibt es keine Zukunft, auf die man sich freuen könnte. Wir wissen nicht, wie sie aussehen wird. Ich vermisse die Zukunft so sehr.

Lange Zeit war Indie-Musik männerdominiert. Nun gibt es Acts wie Soccer Mommy, Mitski, Angel Olsen oder auch dich. Musikmagazine zählen immer mehr weibliche Acts zu den Alben des Jahres und auch auf Festival-Line-Ups sind sie immer häufiger vertreten. Was hat sich da verändert?

Es ist seltsam, weil Frauen ja immer da waren. Aber es stimmt, es geht hier um Sichtbarkeit. Ich weiß nicht genau, was passiert ist und wodurch das im Speziellen hervorgerufen wurde. Sprecht darüber, lasst die Leute auf Festivals als Headliner spielen! Das nächste Thema, das wir insbesondere in der Indie-Musik anpacken müssen, sind Women of Color. Ich denke, dass Women of Color und Schwarze Frauen in den USA, besonders weil Rock-Musik so sehr von weißen Männern dominiert wird, mit einem weißen, männlichen Problem konfrontiert werden. Das hat auch viel mit Privilegien zu tun.

„Selbst ich wurde schon als „industry plant“ bezeichnet“

Was müsste sich denn ändern, damit Frauen nicht mehr so abhängig sind von weißen Männern, die ihnen ja eigentlich helfen sollten, im Musikgeschäft Fuß zu fassen?

Gerade gibt es eine Art Wettbewerb im Anstellen von mehr Frauen, weil die Firmen denken, dass sie sonst Ärger bekommen könnten, wenn sie keine Frauen in ihren Büros beschäftigen. Aber es kann dann sein, dass das Label trotzdem nur von Männern geleitet wird, meist von weißen Männern. Je mehr Diversität es hinter den Kulissen gibt, desto mehr wird es überall geben.

Noch heute müssen sich Musikerinnen zahlreiche Doppelstandards gefallen lassen: Billie Eilish wird gefühlt wegen jeder Kleinigkeit kritisiert oder muss sich, wie auch einige ihrer Kolleginnen, anhören, dass die ja eine „industry plant“, also ein reines Produkt der Musikindustrie, sei. Warum gibt es noch diese Ungleichheit?

Das ist lustig, weil ich bereits in einem anderen Interview angesprochen habe, dass jeder weiß, dass die Strokes eine „industry plant“und alle ihre Eltern reich sind. Ich sage nicht, dass das schlimm ist, aber wenn es für eine Frau als schlimm ausgelegt wird, warum prangern wir die anderen dann nicht auch dafür an? Warum interessiert es uns alle so sehr, wo Leute herkommen? Ich weiß es nicht. Selbst ich wurde schon als „industry plant“ bezeichnet und empfand das sogar als schmeichelnd. Ich dachte mir: Wow, für euch bin ich dermaßen populär, dass ihr denkt, dass das nicht echt sein kann? Das ist großartig!

Ändert das deine Meinung zu den Strokes denn in irgendeiner Form?

Ich liebe die Strokes. Seit Anbeginn der Zeit werden die Stimmen von privilegierten Menschen einen Tick mehr gehört. Aber eine Unmenge an „rich kids“ macht Musik, die furchtbar schlecht ist und die niemals jemand hören wird. Man muss gut genug sein, damit die Leute es auch mögen.

Ähnlich wie Billie Eilish thematisierst du auf deinem neuen Album auch das Thema psychische Gesundheit, es geht zum Beispiel um das Hochstapler-Syndrom oder auch den Retter-Komplex: Warum ist dir das besonders wichtig?

Vieles davon ist dadurch inspiriert, dass ich „Mental Health“-Themen normalisieren möchte und ich denke, dass das wichtig ist. Es ist jetzt aber nicht so, als hätte ich großartige Ratschläge. Ich sitze auch nicht rum und denke darüber nach, was meine moralische Verpflichtung ist. Ich schreibe meine Gedanken runter und wenn ich mich wohl damit fühle, dann lasse ich das drin. Und das muss erst noch passieren, dass ich etwas aus einem Text rausnehme.

Deine Musik zeichnet sich durch große Offenheit aus und Zeilen wie „I’m a bad liar“ untermauern, dass du in den Texten stets bei der Wahrheit bleiben möchtest. Ist es für dich, seit du zu einer Art Emo-Folk-Superstar geworden bist, schwieriger geworden, ehrlich zu bleiben?

Nicht wirklich, denn ich schreibe meine ganze Musik für mich selbst und mich beunruhigt das daher auch zunächst gar nicht. Ich werde dann einfach mit Absicht ignorant und beschließe einfach zu vergessen, dass das irgendwann später jeder anhören wird.

Das Album „Punisher“ von Phoebe Bridgers ist am 18.06.2020 bei Dead Oceans erschienen. Man kann Phoebe Bridgers auch auf Twitter (unter @phoebe_bridgers) oder auf Instagram (unter @_fake_nudes_) folgen.

  • teilen
  • schließen