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Metallica: Interview mit Sänger James Hetfield
In den „Milk Studios“, gelegen im trendigen Meatpacking District in Manhattan, ist viel los. Sehr viel. In einem der Räume findet ein Casting für Kinder- und Jugendliche statt, ständig huschen Teenager vorbei, um vorzutanzen oder vorzusingen. Ein Studio weiter stehen James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett und Robert Trujillo vor einer großen weißen Leinwand und machen Faxen. Und etwa zehn Fotografen machen Bilder davon. Fotosession für das neue Album „Hardwired…To Self-Destruct“, das sicherlich zu den am sehnlichsten erwarteten des Jahres gehört.
Metallica haben ja ewig kein neues Album gemacht („Lulu“, die eher befremdliche Kolaboration mit Lou Reed, mal ausgeklammert). Das letzte hieß „Death Magnetic“ und erschien 2008. Jetzt gibt es also wieder neue Songs, zwölf an der Zahl, das Album ist gut 80 Minuten lang und verteilt sich auf zwei Tonträger. Alles drauf, was der Metallica-Fan seit 35 Jahren will. Also wenig wirklich Neues. Aber man wird sehr gut unterhalten, die Vielfalt ist immens. Und inhaltlich geht es signifikant zu häufig ums Ende der Welt.
jetzt: James, alle, mit denen man so spricht über euch, sagen, wie gespannt sie auf das neue Album sind und wie sehr sie nach acht Jahren Albumpause auf neue Songs von Metallica warten. Wie empfindet man diese aufgeregte Ungeduld, wenn man selbst Teil von Metallica ist?
James Hetfield: Uns ist absolut klar, dass wir die Menschen ganz schön lange haben warten lassen. Aber auch wir selbst haben acht Jahre gewartet, das ist eine wirklich lange Zeit ohne neue Songs.
Es herrscht viel Untergangsstimmung auf dem Album. Im Refrain von „Hardwired” singst du: „We're so fucked/Shit outta luck/Hardwired to self-destruct“. Denkst du wirklich, dass wir alle, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist?
Ich denke zumindest, dass ich total gefickt bin…(lacht). Nein, das ist ein zynischer Ansatz. „Hardwired“ ist ein Punkrock-Song. Auf dem gesamten Album singe ich sehr viel über uns Menschen als solche, über die guten wie auch die wirklich schlechten Dinge, die wir tun. Und ich schaue dabei auf die Menschheit mit Blick aufs große Ganze. Uns gibt es erst sehr kurz, wir prägen die Erde seit einer winzigen, winzigen Zeitspanne. Ich glaube nicht, dass es die Erde interessiert, ob sich nun Menschen auf ihr befinden oder nicht. Allerdings glaube ich auch daran, dass wir uns kümmern müssen – umeinander, aber auch um den Planeten. Und dass wir dann viel Positives bewirken können. Ich bin also etwas hin- und hergerissen zwischen „Wir können es schaffen“ und „Wir sind alle gefickt“ (lacht).
Angenommen, es geht wirklich bald mit der Menschheit zu Ende: Würde dich das traurig machen?
Auf eine seltsame Weise würde es das nicht. Ich bin guter Hoffnung. Ich habe eine gewisse Zuversicht, was uns Menschen betrifft. Wir sind Überlebenskünstler. Es sieht ja auch so aus, als wären wir ungefähr alle zehn Jahre komplett am Ende – auch mein Vater und dessen Vater, sie alle haben irgendwann einmal im Brustton der Überzeugung verkündet: „Die Welt ist ein schrecklicher Ort für meine Kinder“. Naja, und dann war es doch nicht so schlimm. Ich fand die Welt sogar ganz schön, als Kind (lacht).
Deine Töchter sind 18 und 14, dein Sohn 16 Jahre alt. Beschweren die sich manchmal über dich, so nach dem Motto: „Dad, du behauptest, dass wir alle am Arsch sind. Wenn du Recht hast, muss ich ja nicht für die Matheklausur morgen lernen.“?
Nein, das tun die nicht. Meine Kinder denken sowieso, ich sei dumm (lacht). Das sind halt Teenager. Sie wissen alles besser.
Warum halten dich deine Kinder für dumm?
Das war irgendwie immer schon so. Sie denken halt, sie sind schlauer als ich. Und es ist doch auch wirklich so: Deine Kinder kommen zur Welt, und du denkst „So, denen bringe ich jetzt bei, worauf es im Leben ankommt.“ Aber bei uns ist es irgendwie eher umgekehrt. Ich lerne viel mehr von meinen Kindern als meine Kinder von mir.
Was denn zum Beispiel?
Der Klassiker bei uns zu Hause ist, dass sie mir vorwerfen, ich würde alles nur schwarz oder weiß sehen. Die Kids finden, ich bin zu extrem in meinen Ansichten. Dann heißt es immer: „Dad, sei doch mal kompromissfähig. Das Leben funktioniert nicht nach deinem Schema“.
Was antwortest du?
Dass ich ein Künstler bin. Und ein unsicherer Mensch. Mich fest auf eine Seite zu schlagen, gibt mir Sicherheit.
"Je besser ich meinen inneren Werwolf verstehe und kenne, desto besser habe ich ihn im Griff"
Deine Kinder haben nicht Unrecht. Nicht alles im Leben klappt wohl mit absoluter Rigorosität.
Ich weiß, ich weiß. Ich arbeite daran. Aber weißt du, was mein Problem ist? Ich finde den Mittelweg, den Kompromiss, das Einerseits-Andererseits, das Abwägen von Argumenten oft ein wenig … langweilig. Die Grauzone ist öde. Die meiste Zeit meines Lebens bin ich ein wirklich glücklicher Mann, dem es gut geht. Doch immer dann, wenn ich schlecht drauf, verzweifelt oder wütend bin, wenn ich die Extreme auslote, dann schreibe ich die Songs, die mir gefallen. So war das schon immer bei mir.
Ein besonders dunkler, harter Song, noch dazu mit einem ausgeprägten Gitarrensolo, ist „Am I Savage“. Bist das auch du, diese Bestie?
(lacht) Soll ich das Tier mal rauslassen? Dieser Song, im Grunde eine uralte Story, handelt von dem, was wir von unseren Vorfahren übernommen haben und an unsere Kinder weitergeben. Die Gewohnheiten, die Fähigkeiten, die Art, wie du dich in gewissen Situationen verhältst. Die Fehler deines Vaters, die du weder wiederholen noch an deine Nachkommen vererben willst, und manchmal tust du es halt doch. So ist das. Tief in meinem Inneren lauert ein Werwolf. Ich bin sehr nett, fürsorglich, ein guter Vater und Ehemann und Freund. Und dann, Boom, kommt das Biest, brüllt, wütet und kratzt an der Tür.
Kennt deine Familie den Werwolf?
Ja, meine Familie kennt den Werwolf.
Du wirkst jetzt hier im Gespräch entspannt und locker. Ich habe mich sowieso gefragt, wo du die Wut, die Aggression für deine Kunst, für deine Live-Auftritte hernimmst. Musst du den Werwolf erst zum Leben erwecken, bevor du auf die Bühne gehst oder einen Songtext schreibst?
Das ist eine spannende Frage. Ich denke, je besser ich meinen inneren Werwolf verstehe und kenne, desto besser habe ich ihn im Griff. Ich werde ihn nie ganz kontrollieren können, aber ich kenne die Anzeichen, wenn er sein böses Haupt erhebt. Der metaphorische Vollmond scheint einfach von Zeit zu Zeit auf mich runter, und dann weiß ich „Aha, ok, geht wieder los“.
Wie gehen deine Bandkollegen mit dem Werwolf um?
Sie mögen ihn nicht besonders (lacht). Der Werwolf kommt meistens, wenn ich mich unsicher oder zumindest nicht sehr selbstbewusst fühle. Mein Fehler ist, dass ich in der Band die Dinge schnell persönlich nehme. Wenn ich zum Beispiel eine Auseinandersetzung mit Lars habe über mein Gitarrenspiel oder eine Textzeile, dann fühle ich mich direkt angegriffen, verletzlich und leicht reizbar. Wir alle haben ein Ego, speziell Lars und ich haben ein ziemlich großes. Manchmal, je nach Stimmung, gebe ich klein bei, finde mit ihm einen Kompromiss, oder sage ihm „Pass auf, Freund, du bist hier nur der Drummer“ (lacht).
Ohne Ego geht es in der größten Metalband der Welt wohl nicht.
Absolut richtig.
Wie dringend braucht die Welt Metallica eigentlich?
Ach, die Welt, was braucht die überhaupt? Sie wird sich auch ohne Metallica weiterdrehen, auch ohne James Hetfield. Wir sind dankbar dafür, dass wir im Leben vieler Menschen einen gewissen Platz einnehmen, ihnen Unterhaltung bieten und in manchen Fällen sogar helfen können. Aber wir haben weder Lösungen für irgendwelche Probleme, noch fühlen wir uns verantwortlich für die Menschen.
Ist der Erfolg etwas, das dich anspornt?
Nein. Wenn ab morgen alle Welt Metallica scheiße finden würde, dann schreibe ich trotzdem weiter Songs.
Bist du gut darin, Freundschaften zu pflegen?
Nein, leider nicht. Ich wünschte, ich wäre es. Ich habe Freunde, aber das sind eher lockere Beziehungen. Meine Freunde fragen mich nicht mitten in der Nacht in sehr persönlichen Dingen um Rat. Und umgekehrt tue ich das auch nicht. Vielleicht bin ich immer ein wenig distanziert, was Freundschaften angeht. Ich mag das auch nicht, wenn Leute was von mir wollen. Keine Ahnung, vielleicht hängt das mit den 35 Jahren in dieser Band zusammen, aber ich gehe schnell auf Abstand. Die Fans etwa, die sind super, aber sie denken oft, sie würden mich kennen und lassen jeglichen Respekt vermissen. Nicht mal auf eine unfreundliche Art, eher so, weil sie meinen, ich sei halt ein Freund. Das mag ich nicht.
"Ich fahre Fahrrad und wandere gern"
Für jemanden, der kein Beziehungsfachmann ist, bist du erstaunlich lange mit deiner Frau zusammen, ihr seid seit 20 Jahren verheiratet.
Yeah, sehr wahr. Das muss an meiner Frau liegen (lacht).
Du bist jetzt 53. Wie alt fühlt sich das an?
Alt! Es gibt Momente, in denen fühle ich mich sogar deutlich älter als 53. Aber auch solche, in denen ich viel jünger bin. Auf der Bühne bin ich immer noch ein junger Mann. Doch nach dem Konzert, oje, mein Rücken tut weh, meine Schultern, mein Hals, der ganze Körper ächzt. Wir sind Menschen. Wir sind keine Maschinen (lacht). Noch nicht.
Wie viele Massagen bekommst du an einem Show-Tag?
Mindestens zwei. Eine vorher, eine nachher. Wir passen auf unsere Körper auf.
Wie sieht es mit Sport aus?
Ganz gut. Ich bin sehr viel draußen. Ich liebe die Natur. Ich fahre Fahrrad und wandere gern. Und verglichen mit früher ernähre ich mich um Klassen besser.
Bist du glücklich?
Die Zeiten, in denen ich am glücklichsten bin, sind dann, wenn ich mein Handy nicht dabeihabe, mein Geld nicht dabeihabe, wir irgendwo durch die Berge wandern und einfach Menschen sind und unser Zelt aufbauen. Am liebsten bin ich mit Leuten zusammen, denen es egal ist, was ich beruflich mache. Die mich mögen, weil ich ich bin.
Du brauchst also kein Stadion voller Menschen, um Glück zu empfinden.
Das Stadion macht mich schon auch glücklich. Beides. Camping im Wald oder 50.000 Leute auf einem Haufen. Da hast du es wieder. Extreme! (lacht).
Wenn wir uns die Platte insgesamt angucken: Das sind 80 Minuten Musik, „Hardwired“ ist mit Abstand der kürzeste Song.
Ja, die meisten Songs sind verdammt lang. Das ist ein ständiges Streitthema mit Lars. Er sagt immer „Das muss kürzer“, aber mir gefällt es lang, ich sage „Nein, das bleibt so.“ Kann sein, dass wir es mit den langen Songs etwas zu sehr ausgereizt haben, egal, lange Songs sind geil. Ansonsten kann ich dir wirklich nur sagen: Ich liebe dieses Album, die Riffs, meine Texte. Es ist wirklich rund.
Du hast schon mehrfach angesprochen, dass du dich mit Lars im Studio ständig in die Wolle kriegst. Vor gut zehn Jahren hattet ihr ernsthafte Probleme, ihr musstet als Band zur Gruppentherapie. Wie läuft es heute zwischen euch?
Das mit Lars und mir, das hat ja auch einen humorvollen Kern. Wir lieben einander, wir hassen einander, wir sind halt wie Brüder. Es kommt schon vor, dass wir mit den Zähnen knirschen, wenn wir einander sehen, doch im Großen und Ganzen ist es heute unendlich viel entspannter als damals. Wir verstehen uns heute viel besser.
Auf Youtube gibt es ein süßes Video, auf dem deine älteste Tochter Cali bei einer Schulaufführung singt und du sie auf der Gitarre begleitest. Wird sie die Familientradition fortführen?
Die Familientradition (lacht). Cali singt gern, aber ich denke, sie ist zu vernünftig, um das als Beruf zu machen. Sie hat jetzt gerade mit dem College begonnen. Ich bin der einzige in der Familie, der so verrückt ist und Musik macht.