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Kraftklub-Sänger Felix Brummer im Interview
Die ganze Baumhausbar in Berlin-Kreuzberg ist eingeräuchert, nach ein paar Minuten stinken die Klamotten schlimmer als früher nach einer Kneipennacht. Die Chemnitzer Band Krafklub hat sich hier versammelt, weil sie das dritte Album „Keine Nacht für Niemand“ veröffentlicht und darüber sprechen möchte. Das Album überrascht. Kraftklub bollert und scheppert nicht mehr nur, es bleibt nun auch viel Platz für Zwischentöne und sogar Balladen. Und obwohl alle fünf da sind, redet eigentlich nur Sänger Felix Brummer (27). Die anderen? Rauchen.
jetzt: Felix, euer Albumtitel „Keine Nacht für Niemand“ bezieht sich auf „Keine Macht für Niemand“ von Rio Reisers Band Ton Steine Scherben. Warum habt ihr diesen Titel gewählt?
Felix Brummer: Wir fanden es spannend, dass diese Zeile komplett ihre Bedeutung verändert, nämlich vom politischen Statement zum Raver-Motto, wenn man nur einen einzigen Buchstaben austauscht. Dadurch, dass die ganze Platte überbrodelt vor Anspielungen, Zitaten und Querverweisen, wollten wir dieses Prinzip auch in den Titel übernehmen.
War Rio Reiser wichtig für euch?
Ja, wir können uns kaum tief genug vor ihm verneigen. Er war immer ein riesengroßer Inspirationsquell. Er hat es geschafft, ernsthafte, starke Polit- und Protestsongs und gleichzeitig ergreifende Liebeslieder zu schreiben. Diese Mischung fand ich immer schon spannend. Generell mag ich es, wenn Bands sich nicht festlegen auf „Die Ironischen“, „Die Lustigen“ oder „Die Bösen“. Man sollte sich nicht einschnüren lassen.
Das gilt auch für euch?
Total. Bei den ersten beiden Alben sollte alles ballern und Krach machen. Jetzt haben sich neue Nuancen eingeschlichen. Natürlich gibt es noch Lieder, in denen es richtig abgeht, aber wir haben uns von dem Zwang gelöst, dass jede Sekunde in jedem Song immer aufs Livespielen ausgerichtet sein muss. Jetzt gibt es auch ruhige Songs, die schön sind und bei denen klar ist, dass die Leute nicht ausflippen werden.
„Lass mich dein Sklave sein/ Ich melde mich zum Dienst und lecke deine Stiefel“ singst Du in „Sklave“. Stellt ihr euch so das Berufsleben vor?
Oder noch schlimmer. (lacht) Das ist natürlich überspitzt. Aber klar, wir sind jetzt in einem Alter, in dem das private Umfeld nicht mehr nur aus Studenten besteht. Die ersten unserer Freunde haben jetzt richtige Jobs. Auch textlich haben wir uns emanzipiert, und zwar von dieser vermeintlichen Authentizität, die immer über allem schwebt. Also lag der Schritt nahe, aus anderen Sichten zu schreiben, sich in andere Figuren hineinzuversetzen.
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Und einen Pro-Drogen-Song wie „Chemie Chemie Ya“ zu schreiben?
Die Nummer spiegelt unser extrem ambivalentes Verhältnis zu Drogen wider. Auf der einen Seite sind Drogen unbestreitbar megacool, auf der anderen Seite leben wir in einer Stadt, in der man unmittelbar mitansehen kann, was Drogen anrichten. Wir wohnen in Chemnitz direkt an der Grenze zu Tschechien, und somit an einer der Haupteinflugschneisen für Crystal Meth. Schon traurig, was man da zu sehen bekommt. Allerdings sind Drogen auch in gehobenen Kreisen allgegenwärtig. Die Leute achten auf ihre nachhaltig hergestellten Schuhe, aber beim Kokain ist es ihnen scheißegal, wo das herkommt.
Was ist eure Droge?
Rauchen! Was harte Drogen angeht, sind wir relativ prüde. Das ist nicht unser Ding.
Es gab einen kleinen Aufschrei über „Du verdammte Hure, das ist dein Lied“, eine Zeile in der Single „Dein Lied“. Kannst Du nachvollziehen, dass sich einige von dem Wort brüskiert fühlen?
Nein. In dem Song geht es um die Figur eines gebrochenen Exfreunds, der das Ende einer Beziehung scheinbar mühelos wegsteckt, dabei kommt er rein gar nicht mit der Trennung zurecht. Das ist politisch nicht korrekt, aber nachfühlbar, jeder kennt doch solche verzweifelten Leute, selbst wenn er behauptet, so ein Wort wie „Hure“ würde er persönlich nie benutzen. Im Zusammenhang mit der sehr weichen Musik wirkt das harte Schimpfwort natürlich noch krasser.
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„Slut Shaming“ wurde euch vorgeworfen, also das Abwerten einer sexuell freizügigen Frau.
Ich weiß, aber wir sind hier nicht auf einer amerikanischen High School, sondern in der Kunst. Man kann nicht zu jedem Lied einen Beipackzettel dazugeben. Wahrscheinlich wird der Song auch von Arschlöchern gemocht, die sich denken „Endlich sagt es mal einer, dass Ex-Freundinnen dumme Huren sind“. Aber Reibung ist okay. Wer Musik will, die überhaupt nicht missverständlich ist, der muss andere Musik als unsere hören.
Du sagst im Lied „Leben ruinieren“ ja auch über dich, dass Du dich selbst nicht mit nach Hause nehmen möchtest.
Genau. Der Chauvinistenstammtisch, der unsere Platte kauft, der wird nicht viel Freude an uns haben. Dieser Song erzählt die Geschichte von einem Mann, der sich für viel weniger wert hält als die Frau und mit bewunderndem Blick zu ihr aufschaut.
Welche Sicht ist deine persönliche?
Sage ich nicht. Die Authentizität hat in der Popmusik nichts verloren, das wusste bereits Dirk von Lowtzow. Wer totale Ehrlichkeit will, der soll Youtubern zuschauen, die sich eine Webcam ins Zimmer stellen.
An wen ist „Venus“ mit der Zeile „Ich geb‘ keinen Fick auf dich“ adressiert?
Das ist meine persönliche Sicht auf Deutschrap. Einerseits hat der mich extrem beeinflusst, anderseits finde ich vieles, was von dort kommt, unglaublich schrecklich. Das ist also zugleich Antisong und Liebeserklärung.
Ist „Fenster“, indem es vor allem um Fake-News-Verbreiter geht, das am stärksten politische Stück?
Es ist zumindest das Stück, das sich am eindeutigsten in einen politischen Kontext einordnen lässt. Es gibt auch andere Songs, die man als politisch betrachten könnte, Politik ist ja mehr als nur links, rechts, geradeaus. Es geht auf dem Album viel um dieses ganzen Fitnessstudio-Typen, diese Selbstoptimierer und Noch-eine-Sprache-Lerner und damit um eine Gesellschaft, die Tag und Nacht dabei ist, eine Traumversion von sich zu erreichen und dem eigenen Ideal nachzujagen. Exzess und Laster werden häufig als schlimm empfunden in diesen Kreisen. Diese Haltung lehnen wir total ab.
Ist Das Konservative der größte Schrecken für dich?
Zumindest ist es keine Eigenschaft, die ich mir selbst zuschreiben würde.
Eure ersten zwei Alben waren auf Platz Eins. Hat man da auch als Indie-Band den Druck, nachlegen zu müssen?
Nein, wir sind das Album gelassen angegangen. Bei der zweiten Platte waren wir deutlich unlockerer als bei dieser. Wir haben diesmal lange Urlaub gemacht, und dann haben wir schnell wieder angefangen, Musik zu machen – so wie früher, fünf Kumpels treffen sich im Probenraum.
Die Farbe des ersten Albums war weiß, die des zweiten war schwarz, jetzt ist rot an der Reihe.
Rot lässt viel Raum für Assoziationen und bildet ein breites emotionales Spektrum ab, von Liebe bis Hass. Aber beim nächsten Album müssen wir uns etwas anderes überlegen. Es sind einfach keine coolen Farben mehr übrig.