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„Ich weigere mich, das Opfer zu sein“

Foto: Diana Trippe

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Früher, so um das Jahr 2010 herum, war Kesha, Nachname Sebert, die fröhliche Dance-Pop-Sängerin mit Partysongs wie "Tik Tok" und „Die Young“. Dann entbrannte 2014 der große Streit mit ihrem Entdecker und Produzenten Dr. Luke, dem Kesha sexuellen und emotionalen Missbrauch vorwarf. Luke alias Lukasz Gottwald erwiderte Keshas Klage mit einer Verleumdungsklage, auch nach Jahren ist der Rechtsstreit der beiden nicht beigelegt. Aber während man von Dr. Luke kaum noch etwas hört, ist die 32-jährige Kesha wieder obenauf. Mit ihrem sehr persönlichen Album „Rainbow“ gelang ihr 2017 ein Comeback. Auf dem neuen Album „High Road“ kehrt sie nun, zumindest teilweise, auch wieder zurück zu dem lebenslustigen Pop der Anfangstage. Wir haben Kesha in Santa Monica getroffen und mit ihr über harte, aber auch bessere Zeiten gesprochen.

jetzt: Kesha, dein neuer Song „Resentment“ ist ein Duett mit Brian Wilson, dem Frontmann der Beach Boys. Was verbindet dich mit dem alten Mann?

Kesha: Ich liebe die Beach Boys, seit ich denken kann. Als Jugendliche nahm das obsessive Züge an. Zwischen 15 und 18 verging kaum ein Tag, an dem ich nicht „Pet Sounds“ gehört habe.

Und wie hast du deinen Helden dazu bewegt, auf  „Resentment“ mitzumachen?

Nun, manchmal musst du einfach fragen. Also fragte ich ihn. Und er sagte: „Klar, ich bin dabei.“ Ich kann es immer noch nicht glauben.

Wie war das Kennenlernen?

Wir haben uns leider noch nicht persönlich getroffen. Er hat seinen Teil in den USA aufgenommen, während ich in Asien auf Tour war. Trotzdem: Allein der Gedanke, dass er weiß, wer ich bin ...

„Resentment“ bedeutet übersetzt „Groll“. Worum geht es in dem Song?

Ich habe erkannt, dass mir dieses unschöne Gefühl in jeder langfristigen Beziehung immer mal wieder begegnet. Das ist normal, und trotzdem ist es anstrengend, damit umzugehen. Groll ist die Basis von so viel Angst und Hass und Entfremdung. Ich will dieses Gefühl seit jeher attackieren, es zurückdrängen, es durch konstruktivere Gedanken ersetzen.

„Das war der größte Moment meines Lebens. Und der furchteinflößendste“

Gelingt dir das?

Ich bin besser darin geworden, langfristige Beziehungen einzugehen. Mit meinem Freund bin ich seit sechs Jahren zusammen. Ich versuche, die Dinge durchzukauen und bei Auseinandersetzungen zu Lösungen zu kommen. Ich glaube jetzt an die tiefe und ewige Liebe.

Das wird dein Partner gerne hören.

Das weiß er. Und gleichzeitig verliebe ich mich praktisch täglich neu. Wenn also jemand an die Liebe glaubt, dann ich (lacht). Ich glaube, ich leide an Liebessucht.

Du hast auch harte Jahre hinter dir, da kann man Liebe vermutlich besonders gut brauchen. Du führst einen Rechtsstreit mit deinem Ex-Produzenten Dr. Luke.

Genau. Wir dürfen darüber aber leider nicht sprechen, weil er noch nicht beendet ist.

Du konntest deshalb jahrelang keine Musik veröffentlichen, wurdest depressiv. Erst vor drei Jahren hast du ein Comeback feiern können. Mit deiner Geschichte bist du zu einem der Symbole der MeToo-Bewegung geworden – und dann vor zwei Jahren mit deiner Selbstbehauptungsballade „Praying“ bei den Grammys aufgetreten. Wie war das?

Das war der größte Moment meines Lebens. Und der furchteinflößendste. Ich hoffe, dass all die anderen Menschen, die ebenfalls Zuspruch brauchen, die Botschaft dieses Songs aufnehmen, verinnerlichen und weitertragen.

„Die Fans sind mit mir durch die Hölle und zurück gegangen“

Was hat den Auftritt so einzigartig gemacht?

Als ich umgeben von zahlreichen starken, tollen Frauen wie Cyndi Lauper oder Janelle Monae dieses Lied vortrug, wurde mir so klar wie nie zuvor, dass wir Frauen am stärksten sind, wenn wir zusammenhalten. Ich habe mich von all diesen billigen kleinen Konkurrenzkämpfen, wo die eine Frau der anderen nichts gönnt, sondern selbst die banalsten Dinge noch neidet, endgültig verabschiedet. Wir Frauen sind mit dem Gedanken aufgewachsen, gegeneinander antreten und kämpfen zu müssen - um Jobs, um Männer, um alles Mögliche. Aber so ist es in der Wirklichkeit nicht.

Auf deinem neusten Album bist du jetzt wieder die fröhliche, ausgelassene Kesha, wie man sie von deinen zehn Jahre alte Hits wie „Tik Tok“ kennt. Wie kam es zu dieser Rückbesinnung?

Im Lied „Shadow“ singe ich: „Ich liebe die Liebe, und ich liebe das Leben.“ Diese Zeile fasst meine momentane Stimmung optimal zusammen. Ich habe vorher überlegt, ob ich weiter seriöse Musik machen solle, aber die Wahrheit ist: Ich bin gerne glücklich und fröhlich. Und ich schreibe gerne glückliche, fröhliche und ein bisschen freche Songs. Ich genieße es, wenn die Leute in meinen Konzerten tanzen und ausflippen. Die Fans sind mit mir durch die Hölle und zurück gegangen. Ich wollte ihnen Songs geben, zu denen sie richtig abgehen können. Doch die Platte ist keineswegs nur oberflächlich.

„Mein ganzes Leben stürzte über mir zusammen“

In „Father Daughter Dance“ singst du darüber, wie es war, ohne Vater aufzuwachsen.

Genau. Ich weiß gar nicht, wie es ist, einen Vater zu haben, weil meiner einfach nicht Teil meines Lebens war. Auf „High Road“ gibt es beides – echte Emotionen und Leichtfüßigkeit. Ich bin überzeugt, dass wir Hedonismus und Partystimmung brauchen. Die Welt ist ernst und problematisch genug. Du weißt auch nie, welcher Tag dein letzter ist. Also koste es aus, so lange du hier bist.

Und worum geht es im Song „My Own Dance“?

Um Behauptungswillen. Ich weigere mich, das Opfer zu sein. Ich bin keine traurige, tragische Figur.

Was würde die 32-jährige Kesha der 20-jährigen Kesha aus der „Tik Tok“-Ära sagen?

Die Liste ist lang. Heute weiß ich, dass dich das Leben nicht nur auf tolle, sondern auch auf giftige Trips schickt, und dass man auf die Welt gekommen ist, um die ganze Reise zu machen. Am Ende ergibt alles irgendwie Sinn.

Wie wichtig war die Musik in deiner dunklen Phase?

Sie war immer mein Rettungsanker. Es gab eine Zeit, in der es mir vertraglich verboten war, Musik zu veröffentlichen. Das war schrecklich. Mein ganzes Leben stürzte über mir zusammen. Damals haben viele Menschen zu mir gehalten, nicht nur im Familien- und Freundeskreis, sondern auch unter Kolleginnen und Kollegen. Diese Zuneigung hat mir unfassbar viel Mut und Kraft gegeben. Ich brauche die Musik zum Überleben.

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