- • Startseite
- • Musik
-
•
Interview mit Klaus Farin über Jugendkultur
Wenn sich einer mit Jugendkultur auskennt, dann er: 1998 gründete Klaus Farin mit Gleichgesinnten in Berlin das Archiv der Jugendkulturen: eine riesige Sammlung aller möglichen Objekte, die etwas über Jugendkulturen erzählen. 13 Jahre lang war er ehrenamtlicher Leiter und Vorsitzender des Vereins. Der 1958 geborene Schriftsteller und Aktivist war früher in der Punkszene aktiv. Diese Woche bekam er für seine Verdienste um die Jugendkultur das Bundesverdienstkreuz verliehen. Im Interview erzählt er unter anderem, welche Rolle das Internet für die heutigen Jugendkulturen spielt.
jetzt: Was finden wir denn so in einem Archiv der Jugendkulturen? Klaus Farin: Alles, was Jugendkultur ausmacht: Mehrere 100.000 Flyer aus mehreren Jahrzehnten, Magazine, Tonträger aller Art, T-Shirts. Wir haben auch ein Spezialarchiv zu Nazimusik. Und so gut wie alle Hefte der Bravo seit der Gründung des Magazins.
Haben Sie ein Lieblingsstück?
Ich finde ja immer: Je älter desto besser. Die allerersten Punkhefte, die in den 70er Jahren in Deutschland erschienen sind, liebe ich. Wir haben aus der Zeit auch Hefte aus England, Australien oder Indonesien. Die sind natürlich extrem selten.
Bekommen Sie irgendwann ein Platzproblem?
Das haben wir schon. Wir kriegen keine Strukturförderung von der Stadt oder vom Bund, deswegen müssen wir uns unsere Miete aus Projektmitteln zusammenstöpseln. Früher hatten wir 700 Quadratmeter zur Verfügung, jetzt sind es noch 200. Andere Räume wären dringend nötig.
Vielleicht erledigt sich das ja bald von selbst, wenn sich Magazine ins Internet verlegen, Musik nur noch online gestreamt wird?
Das glaube ich nicht, obwohl wir das natürlich spüren. Aber es gibt immer noch wahnsinnig viele Magazine. Viele von ihnen werden online verlängert. Und: Wir bekommen auch immer wieder viel Material von älteren Menschen, die jahrzehntelang gesammelt haben. Das sind oft richtige Schätze.
Zu einer Jugendkultur gehören nur etwa 20 Prozent der Jugendlichen – die kreativsten ihrer Generation
Kann man denn definieren, was Jugendkultur ausmacht?
Schwierig. Als eine Jugendkultur würde ich eine freiwillige, informelle Szene bezeichnen, die überwiegend von Jugendlichen bevölkert wird, und die zur Freizeitgestaltung dient. Musik und Mode spielen in dieser Szene eine wichtige Rolle.
Mein Eindruck ist, dass Jugendkulturen früher exzentrischer waren, strenger. Heute hören Leute Techno genauso wie Punk und HipHop und folgen keinen strengen Dresscodes.
Das ist wahrscheinlich so, weil Sie kein Teil einer richtigen Jugendkultur sind – und eigentlich sind Sie auch schon zu alt dafür. Dazu gehören nämlich immer nur etwa 20 Prozent der Jugendlichen. Das war schon immer ein Minderheitenprojekt. Das sind dann oft die kreativsten einer Generation. Und: Wir haben uns heute an vieles gewöhnt. Früher waren Piercings oder gefärbte Haare eine Provokation – heute haben auch Omas rote Haare. Aber es ist schon so: Die Szenen werden heute kleinteiliger. Es ist schwierig, etwas völlig Neues zu schaffen.
Drücken sich Jugendliche heute eher über ihren Instagram-Account aus als in der realen Welt über Bandshirts und bestimmte Platten im Regal?
Ich würde sagen, das läuft parallel. Natürlich präsentieren Jugendliche sich auch in der Onlinewelt. Aber nicht nur. Vor allem erleichtert es das Internet auch, an bestimmten Kulturen teilzunehmen. Zum Beispiel, wenn du der einzige Punk in deinem Dorf bist. Oder als einziger in deinem Freundeskreis total auf Cosplay stehst. Durch das Internet kriegt man alles mit, wenn man möchte, und es gibt auch Jugendkulturen, die ohne das Internet nicht so präsent wären: Cosplay zum Beispiel.
Also wäre es überspitzt zu sagen, dass Jugendkultur heute vor allem online stattfinden.
Auf jeden Fall. Vertreter einer bestimmten Kultur haben immer das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und sie wirklich zu treffen. Jugendkultur wird nie nur online stattfinden.
Bedeutet es Ihnen denn etwas, dass Sie für Ihre Arbeit jetzt das Bundesverdienstkreuz bekommen haben?
Staatliche Anerkennung zu bekommen, war jetzt nicht mein äußerstes Ziel im Leben. Aber es kann nicht schaden, sage ich mal.