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"Ich will jetzt ein gutes Leben haben"

Foto: Lukas Schulze/dpa

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jetzt: Bosse, es heißt, nach deinem Erfolgsjahr 2013 (u.a. Gewinn des Bundesvision Song Contest; Anm.d.Red.) hättest du erst mal zur Ruhe kommen müssen. Wo und wie tust du das in deiner Wahl-Heimat Hamburg am liebsten?

Bosse: Ich habe zum Beispiel einen Acker in Appen, wo auch Tim Mälzer sein Zeug anpflanzt. Dort verbringe ich gerne Zeit mit etwas Arbeit. Und ich habe ein kleines Stückchen Land an der Elbe gemietet, wo ich in meinem eigenen Wohnwagen rumlungern kann. Im Sommer mache ich davor auch mal ein Feuer und schlafe im Freien.

Klingt entspannt – aber auch nicht nach einem Dauerzustand für einen Popstar. Vermisst du irgendwann die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit?

Ganz ehrlich: Die Aufmerksamkeit vermisse ich nie, ich würde auch komplett ohne klar kommen. Was mir aber tatsächlich nach spätestens anderthalb Wochen fehlt, ist das Schreiben und Musikmachen.

Am neuen Album „Engtanz“ hast du in Hamburg, aber auch im italienischen Umbrien geschrieben. Warum gerade dort?

Es war gar nicht so, dass ich zum Schreiben nach Italien wollte, weil mich das Land so wahnsinnig inspiriert. Mir war vielmehr wichtig, dass ich irgendwo die totale Ruhe finden konnte, und das konnte ich in Umbrien.

Zusammen mit deinem Produzenten Philipp Steinke hast du dort einige Wochen in einem alten Steinhaus verbracht. Wie sah euer Alltag aus?

Wir sind um acht Uhr aufgestanden, haben eine Runde Tischtennis gespielt, einen Kaffee getrunken, Zähne geputzt und angefangen, zu arbeiten - das allerdings mit offenen Fenstern und einem ziemlich guten Blick auf die weite Landschaft. Wir waren dort irgendwann wirklich total fokussiert, die Dinge wurden schnell klar beim Schreiben.

Zwei Dinge scheinen dir besonders klar geworden zu sein: „Engtanz“ ist thematisch vor allem ein Abgesang auf die Jugend und ein Hoch auf das Erwachsensein. Wobei: Ist es als Popkünstler überhaupt möglich, richtig erwachsen zu werden? Steckt man nicht in der Berufsjugendlichkeit fest?

Zumindest habe ich für mich gemerkt: Ich bin einfach keine 20 mehr. Um mir das zu vergegenwärtigen, muss ich mir nur meine bald zehnjährige Tochter anschauen und was sie schon alles kann.

Woran machst du das Erwachsensein noch fest?

Ich habe zuletzt oft gedacht: So eine Nummer wie „3 Millionen“ (Bosse-Single aus 2008; Anm.d.Red.) könnte ich gar nicht mehr schreiben. Dieses Gefühl vom Alleinsein in Berlin, immer auf der Suche, rastlos, pleite, betrunken, schnell verliebt, und dann ist doch alles falsch – das ist nicht mehr mein Leben. Diesen „Ich bin einsam und renne durch die Stadt“-Kosmos kann ich einfach auch nicht mehr textlich bedienen.

Wie würdest du deinen heutigen Kosmos beschreiben?

Als Beschäftigung mit mir selbst, mit meinen engsten Leuten und den Problemen, die vielleicht auftauchen, wenn man so alt ist wie ich.

Welche Probleme meinst du?

Zum Beispiel, dass Freunde, die zu hart gefeiert haben, einfach auch mal nicht mehr leben. Es ist schon so, dass ich immer mehr realisiere: Krass, das Leben ist vergänglich! Und deswegen will ich jetzt ein gutes Leben haben. Darum geht es viel auf diesem Album.

Und die Jugend? Vermisst du die?

Ich dachte früher, dass wenn ich mal eine Familie und ein Zuhause habe, was vielleicht nicht ganz so schrottig ist, dass sich das dann langweilig und spießig anfühlen könnte. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ich finde das Älterwerden echt ziemlich gut!

Was magst du besonders daran?

Dass ich immer mehr weiß, was ich will und was nicht, auch was ich kann und was nicht. Außerdem bin ich mit den verpassten Chancen und der Unausgeglichenheit der Vergangenheit mittlerweile cool und versöhnt.

Gibt es auch Nachteile, die du in der aktuellen Lebensphase verspürst?

Ich kann zum Beispiel nicht mehr wirklich glücklich sein kann, wenn Dinge nicht ganz fertig sind. Diese Zwischenzustände sind nicht mehr so meins. Das verbinde ich schon auch mit dem Erwachsensein.

Erwachsen klingen auf „Engtanz“ vor allem die Texte über Liebe. Einmal singst du: „Ich werd’ dich immer so lieben, als wärst du gestern gegangen.“ Vor zehn Jahren hättest du vielleicht schon so romantisch, nicht aber so reif schreiben können – oder?

Genau. Und diese Zeile ist natürlich auch eine Aufforderungen an mich selbst, kopf- und herzmäßig mal zu verstehen: Es ist nicht total normal, dass man hat, was man hat. Da ist es ein guter Gedanke, einfach mal so zu lieben, als wäre man gestern verlassen worden. Damit verpasst man einige wichtige Momente auch nicht.

Das alles könnte als Liebeserklärung an deine Frau und Tochter, aber auch an dein jetziges Zuhause verstanden werden: an Hamburg.

Auf jeden Fall. Es gibt auf diesem Album viele Geschichten, die ohne Hamburg nicht möglich gewesen wären.

Hast du noch ein Beispiel?

Ich war mal in einer Phase, in der es beim Schreiben nicht so gut lief. Das war im Hochsommer, alle waren entweder im Schwimmbad oder im Urlaub, inklusive meiner Familie. Nur ich saß bei gefühlten 45 Grad in Trainingshose auf der Gartenbank und kam einfach nicht voran. Zwei Woche hatte ich schon an einem Text gesessen, aber es wurde irgendwie nichts.

Was war am Ende die Lösung?

Ich gehe in Hamburg eigentlich nicht so oft aus, aber an dem Punkt bin ich einfach mal raus und habe mich auf St. Pauli betrunken. Ich bin richtig steil gegangen, und zum ersten Mal seit langem hatte ich wieder ein starkes Gefühl für die Stadt. Hamburg hat mich in dieser Zeit gerettet. Es ging mir wieder viel besser. 

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