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„Fragt sich wirklich jemand, ob ich das ernst meine?“

Finch Asozial.
Bild: Ben Baumgarten

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Am 15. März stieg „Dorfdisko“, das erste Album von Finch Asozial, auf Platz zwei der deutschen Albumcharts ein. Die Videosingle „Abfahrt“ wurde auf Youtube knapp zehn Millionen Mal angeklickt. Finchs erste Tour, die gerade zu Ende gegangen ist, war komplett ausverkauft. Man kann sagen: Bei dem Jogginganzug-Träger mit Vokuhila, der mit seiner ostdeutschen Herkunft kokettiert, läuft es zur Zeit ganz gut.

Wenn Nils Wehowsky (28) aus Frankfurt (Oder) aka Finch Asozial auf der Bühne steht und die Frage „Titten oder Arsch?“ grölt, dann teilt sich das Publikum, das sowohl aus Ballermann-Enthusiasten als auch Hardcore-Rapfans besteht, in der Mitte der Halle. Mit Sprechchören klären sie das Ergebnis. An diesem Abend in München gewinnt „Arsch“. Als daraufhin wieder die Musik einsetzt, rennen die zwei Lager aufeinander zu und werden zu einer homogen pogenden Masse. Wir haben Finch gefragt, wie tief seine Kunstfigur reicht, worum es ihm inhaltlich geht und wo die Grenze der künstlerischen Freiheit liegt.

jetzt: Wird der Vokuhila wieder modern?

Finch Asozial: Der Vokuhila kommt zurück. Mir wurde schon von vielen Frauen gesagt, dass sie das wirklich anziehend finden. In der Gesellschaft ist es normal geworden, dass man den Vokuhila eher als Prollfrisur sieht. Und die niederländische Fernsehserie New Kids hat das auch ins Lächerliche gezogen. Ich finde es immer blöd, dass die Frisur nur mit deren Charakteren verbunden wird.

Die sind eben zum Sinnbild für Vokuhila-Träger geworden.

Schau dir mal die Ausweise unserer Eltern an. Ich habe neulich den Führerschein des Vaters eines Kumpels gesehen. Der hatte einen Vokuhila, das war ganz normal. Damals hat dich keiner ausgelacht. Da hätte ich, so wie ich jetzt rumlaufe, auf die Straße gehen können und alle hätten gesagt: „Fescher Schnitt.“ Es gibt heute viele Frisuren, die peinlicher sind. Diese Man Buns, an den Seiten abrasiert und oben ein Zopf, in zehn Jahren lachen wir die Träger alle aus.

Gibt es einen Prototypen der Finch Asozial-Fans?

Ich würde sagen, die trinken gerne einen. So ein bisschen das Ballermann-Publikum auf jeden Fall. Es kommen aber auch Lehrer zu den Konzerten. Neulich war sogar ein Zahnarzt da. Und viele Studenten. Sogar überkrasse Mädels, wo du dich fragst, warum die auf ein Finch-Konzert gehen. Die sind so wunderschön, die dürften eigentlich nur Bausa hören. Und dann kommen auch noch so richtig versoffene Girls. Es gibt wirklich alles, querbeet.

Was möchte die Kunstfigur Finch Asozial aussagen?

Das ist eine schwierige Frage. Man sollte sich selbst nicht so ernst nehmen. Und einfach mal ein bisschen Spaß haben. Dass ich das in meiner Musik transportiere, ist mir das Wichtigste. Alle sind auf meinen Konzerten willkommen. Wir feiern zusammen, wir saufen, wir zeigen unsere Hintern, Männer küssen sich, wir pinkeln in einen Becher. Will ich damit eine richtige Botschaft transportieren? Eigentlich nicht.

Da denkt sich doch jeder, okay, das ist ziemlich krank

Gehen deine Pointen aber nicht auch auf Kosten derer, die du zu verkörpern vorgibst? Wenn Klischees ostdeutscher Männer, wie das des Autotuners oder des Herumtreibers, zu stolzen Errungenschaften hochstilisiert werden?

Mit solchen Spitzen spielt doch jeder. Jeder Rapper sagt, er hat die dicksten Eier. Es gibt viele neue Rapper mit Migrationshintergrund in Deutschland. In jedem zweiten Text heißt es da sinngemäß „Ich mache lila Scheine mit weißem Pulver“. Die spielen damit, dass sie Drogen verkaufen. Wenn das beispielsweise ein Türke rappt, fühlt sich dann ein anderer Türke auch angesprochen und sagt: „Jetzt denken alle anderen, wir Türken verkaufen nur Drogen“? Ich denke mal, das ist nicht deren Ziel. Die spielen mit den Stereotypen. Das mache ich auch.

Wie begegnest du deinen Kritikern?

Die sollen sich mal wirklich mit der Musik beschäftigen und gucken, wo Finch herkommt. Dann verstehen sie auch den Spaß an der Sache, warum ich nur übers Saufen rappe und, dass das nicht ernst gemeint ist. Andere Rapper sagen nur: „Ich fahr rum und knall dich ab.“ Bei mir ist es so: „Ich knall dich ab und lieg danach besoffen in meiner eigenen Pisse.“ Da denkt sich doch jeder, okay, das ist ziemlich krank. Fragt sich da wirklich jemand, ob ich das ernst meine?

Deine Musik und deine Figur polarisieren extrem. Beispielsweise wenn du im Song „Sex & Gewalt“ rappst „Eine Frau bleibt auf Ewigkeit ein Gegenstand“ oder bei „Richtig saufen“ sagst, „Ein echter Mann kommt aus der Kneipe und er schlägt seine Frau.“ Klappt da bei allen Fans die Transferleistung?

Da appelliere ich an den gesunden Menschenverstand. Das ist einfach totaler Humbug und Quatsch. Wenn jemand vor mir stehen und sagen würde, ich meinte das ernst, da würde ich mich bepissen vor Lachen. Man kann doch nicht so dämlich sein, so eine sinnlose Aussage, die in dem Moment offensichtlich nur provozieren soll, ernst zu nehmen und zu sagen, ich sei ein Frauenfeind.

Würdest du alles heute wieder so schreiben wie am Anfang deiner Karriere?

Nein. Die zwei Songs, die du eben angesprochen hast, könnte und würde ich heute zum Beispiel nicht mehr so machen. Man muss immer auf die aktuelle Lage eingehen.

Ich nehme die legale Droge Alkohol und verherrliche das

Du hast ja einen Battlerap-Hintergrund. Bei den Battles kann man deutlich derber zur Sache gehen als auf einem Album.

Das ist ein ganz anderer Kosmos. Wenn ich ein Battle gegen jemand habe, dann battle ich ihn aufgrund von Dingen, die er getan hat oder für die er steht. Diesen Kampf eins gegen eins, den kannst du nicht in einen Song übertragen. Als ich „Sex & Gewalt“ und „Richtig saufen“ geschrieben habe, kam ich frisch aus dem Battlerap-Kosmos. Da gab es immer nur auf die Fresse. Wenn man meine neuen Projekte anhört, dann merkt man schon, dass ich mehr aufpasse, was ich sage. Was man aber fragen muss, ist, ob ich in der Pflicht stehe, aufzupassen, oder ob das nicht eher die Eltern tun sollten? Ich bin zum Beispiel damals mit Frauenarzt und den ganzen Berlin Crime-Tapes aufgewachsen. Da wurde viel indiziert. Hast du sowas damals gehört?

Ab und an, ja.

Bist du deshalb kriminell geworden und hast jetzt ein schlechtes Leben?

Nein.

Das liegt auch immer an deinen Eltern. Wir kommen so leicht an alles dran – Drogen, Ballerspiele, Musik. Dann ist es doch nicht meine Aufgabe als Künstler, mich in meiner Kunst einzuschränken. Nur, weil andere Leute ihren Job nicht richtig machen.

Würdest du sagen, Kunst war früher freier und jetzt muss man mehr aufpassen?

Im Gegenteil. Nehmen wir doch mal das Beispiel King Orgasmus One, dessen Fans auch zu meinen Konzerten kommen. Seine Sachen wurden vor fünfzehn Jahren alle indiziert. Auch bei Aggro Berlin war es so, dass die einiges zensieren mussten, sonst wären sie nicht bei MTV oder Viva gespielt worden. Heute ist der Index total lasch und du darfst viel mehr sagen. Ich finde, das derzeitige Problem sind nicht – ich mache jetzt extra Anführungszeichen – „gewaltverherrlichende“ Texte.

Sondern?

Die Drogen. Ich nehme die legale Droge Alkohol und verherrliche das. Gut, ab und zu auch mal andere Sachen. Aber der Fokus ist Alkohol. Das, was der Staat subventioniert und wo er sagt: „Das wollen wir. Alkohol ist geil.“ Die Lobby ist riesig, also kann ich das thematisieren und damit spielen. Aber bei anderen geht es nur noch um Lean (kodeinhaltiger Hustensaft gemischt mit z.B. Limo, Anm. d. Red.) und Kiffen. Da müsste man mal aufpassen, wozu aufgerufen wird, ist meine persönliche Meinung.

Nur weil man etwas im Kopf hat, heißt das doch nicht, dass man nicht asozial sein kann

Wann hast du denn entschieden, dass das, was du machst, Kunst ist?

Als ich die Battlerap-Bühne betreten habe und das erste Mal Sachen gesagt habe, die ich so im normalen Leben nie zu jemandem sagen würde. Bevor ich auf die Bühne gegangen bin, habe ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt und wusste, wie weit ich gehen kann. Es gibt Leute, die mich nur als Hassrapper einordnen. Die gucken sich die anderen Sachen nicht mal an. Im Song „Eskalation“ beleidige ich erst die Frau, dann sie mich. Am Ende feiern wir zusammen. Für mich ist daran ersichtlich, dass es Spaß ist. Nur weil man etwas im Kopf hat, heißt das doch nicht, dass man nicht asozial sein kann.

Wo soll Finch sich hinentwickeln?

Ich werde mein Gesicht nicht verlieren und auf einmal Kuschelsongs machen. Ich werde Finch Asozial bleiben. Ich will noch viele Genres ausprobieren und habe etliche Song-Ideen. Auf jeden Fall möchte ich mal Gesangsunterricht nehmen. Ich bin totaler Schlagerfan und möchte das irgendwann auch mal selbst machen. Oder zusammen mit Scooter einen Technotrack. Mit meinen Kindheitsstars Musik machen, darauf hab ich Bock.

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