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Fatoni über Kunst, München, Andorra bei einem Spaziergang durch München
Alles beginnt mit diesem Synthesizersound. 45 Sekunden lang. Kein Bass, kein Rap, einfach nur Intro. Nur diese Melodie. Ein bisschen melancholisch, ein wenig Monotonie, dazwischen immer wieder ein paar versöhnliche Klänge. Im heutigen Musikbusiness sind 45 Sekunden eine Ewigkeit. Für viele Rapper wäre das schon ein halber Song. 45 Sekunden lang wartet der Zuhörer darauf, was kommt - dann geht es los: „Es fängt an. Es hört auf. Mittlerweile die Midlife-Crisis mit Mitte 30 und ein klitzekleines Burnout. Aber alles im grünen Bereich”, Fatonis Flow setzt unvermittelt ein und saugt einen regelrecht in das Album hinein. Irgendwann setzt ein wohliger Bass ein und man fühlt sich darin zuhause, im Song, im Album. Alles zieht vorbei zeigt gleich, dass Andorra, Fatonis sechstes Album, anders ist als seine bisherige Alben. Persönlicher, ernster, weniger Ironie, die Fatoni bisher häufig wie eine Maske getragen hatte, um nicht zu viel von sich Preis zu geben.
„Ich habe auch früher so persönliche, melancholische Songs gemacht. Aber ich hatte nicht den Mut, die vorne auf’s Album zu packen, sondern habe die eher versteckt”, sagt Fatoni, während er durch die Straßen Münchens läuft und ab und an beim Reden mit ausgestrecktem Zeigefinger und Daumen so gestikuliert, als würde er gerade einen Part einrappen. Viele Themen bleiben auch auf dem neuen Album die gleichen. Typische Fatoni-Themen. Die moderne Gesellschaft, Selbstzweifel, Scheitern, Kunst. Doch dieses Mal kommen sie nicht so episodisch daher, wie noch in seinem letzten Album „Yo! Picasso”.
Diesmal erzählt Fatoni von sich, also von Anton Schneider, von seiner Kindheit, seiner Jugend und vom Jetzt. „Das Intro von Alles zieht vorbei hat so was Episches. Erst nur Musik, dann kommen die Vocals, dann kommt das Schlagzeug und am Ende kommt Dirk von Lowtzow mit so nem Text, der das ganze Album einleitet…”, sagt er über das Intro, das auch als Metapher für seine gesamte Karriere gesehen werden kann.
Hip-Hop war ein schöner Traum, aus dem er aufwachen musste
Auch sie brauchte eine gefühlte Ewigkeit, um richtig zu starten. „Mit 14 war ich eigentlich nur auf dem Hip-Hop-Film. Da gab es für mich kaum was anderes”, sagt Fatoni. Damals machte er alles, was junge Hip-Hopper halt so machen: sprühen, kiffen, freestylen. Mit seinem Jugendfreund Keno Langbein, dem jetzigen Frontmann von Moop Mama, hatte er die Crew „Creme Fresh” gegründet. Sie spielten in München kleine Konzerte, fuhren durch ganz Deutschland, um sich auf Battles mit anderen Rappern zu messen und nahmen wackelige Musikvideos auf, in denen sie in der Regionalbahn saßen und über all das rappten. Immer mit einem eigenen Stil, immer mit intelligenten Zeilen. „Real” nannten es der kleine Kreis an Fans, den sie schon damals hatten, „hängengeblieben” andere, die seinen Stil zu altmodisch und die Texte nicht hart genug fanden - insofern sie sie überhaupt mitbekamen.
Irgendwann, mit Anfang 20, kam der Moment, als Fatoni entschied, dass er erwachsen werden muss. Dass das mit Hip-Hop ein schöner Traum war, aus dem er jetzt aufwachen musste. Musik machen, auf Tour gehen, Kunst erschaffen – kurz, von Rap leben – das war so wie er Hip-Hop verstand, so wie er war, Mitte der 00er-Jahre unmöglich. „Damals war Deutscher Hip-Hop mega einseitig und lag am Boden. Nur eine Sparte, der Gangsta-Rap, beziehungsweise nur Aggro Berlin war erfolgreich. Ich hatte gar keine Perspektive, dass das mein Beruf werden könnte”, sagt Fatoni heute, über den Moment als er seinen Kindheitstraum aufgab und sich an seinem nächsten versuchte: der Schauspielerei.
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In seinen Texten lässt sich beobachten, wie sich sein Verhältnis zur Schauspielerei gewandelt hat. Vom zukünftigen Tatort-Kommissar wird Fatoni zum armen Schauspieler und schließlich zum Szenekritiker. „An jedes Theater, das sich Kapitalismuskritik auf die Fahne schreibt. Und jedem kündigt, der nicht freiwillig arbeitet neben der Arbeitszeit”, rappte er 2016 auf dem Maeckes-Track Gettin’ Jiggy With It. Während er erzählt, wie er im Münchner Volkstheater an der Bar jobbte, auf die Otto-Falckenberg-Schule kam, und schließlich ans Stadttheater Augsburg; wie er auf der Bühne eine Panikattacke hatte, wie er 45 Minuten lang trotzdem weiterspielte, seinen Job machen musste und schließlich alles hinwarf, weil ihn die Szene abgefuckt, desillusioniert und fertiggemacht hatte, geht er in Richtung des Münchner Hauptbahnhofs. „Ich hab hier schon so viel erlebt. Genau hier hatte ich zum Beispiel mal ‘ne Schlägerei”, sagt Fatoni und zeigt auf den Boden vor dem Tabakshop in der Bahnhofshalle. „An jeden einzelnen Ort habe ich 1000 Erinnerungen. Aber viel vermisse ich nicht. Hauptsächlich Kleinigkeiten. Brezn, auch wenn das lächerlich klingt.” Als er 2016 beschloss, die Schauspielerei endgültig aufzugeben, alles auf den Rap zu setzen und seinen Kindheitstraum noch eine Chance zu geben, zog er nach Berlin.
Mit seinen Album „Yo! Picasso“ landete er im selben Jahr auf Platz 23 der Charts, mit der Sängerin Mine und „Alles Liebe nachträglich” hatte er wieder ein wahnsinnig gut besprochenes Kollabo-Album. Jetzt ist Fatoni 34, im Rap-Business ist das steinalt. Zumindest war es das Mal. Denn mittlerweile ist nicht nur Fatoni erwachsen geworden, sondern auch die Szene. Mit Dendemann, Absolute Beginner und Trettmann sind gerade Rapper jenseits der 40 erfolgreich wie nie zuvor. Die Branche, die viele schlicht als Deutschrap zusammenfassen, ist mittlerweile so groß und vielfältig, dass auch andere Musiker ihren Platz finden. „Ich bin zwar nicht reich, aber mit Rap kann ich mittlerweile so viel verdienen wie ein mittlerer Angestellter. Vieles an dem Beruf ist zwar stressig, aber es ist immer noch der beste Job, den ich mir vorstellen kann. Das ist doch perfekt”, sagt Fatoni. „Mein 17-jähriges Ich wäre auf jeden Fall krass stolz auf mich.”
„Eigentlich wollte ich immer Geschichten erzählen”
Auch wenn seine Alben stets gut besprochen wurden, sowohl von Kollegen, als auch von Kritikern: Den kommerziellen Durchbruch hat er nie wirklich geschafft, war nie einer der großen Stars der Szene, auch wenn viele seiner Lieder mit zu dem besten und klügsten gehören, die es im Deutschrap-Kosmos so gibt. Doch Fatonis Lieder sind keine, die man nebenbei laufen lässt. Sie fordern den Hörer, wollen, dass er nachdenkt, verlangen Aufmerksamkeit. „Geil, hier hab’ ich mal ein Kaffee und ‘nen Bagel geschenkt bekommen, weil mich der Verkäufer erkannt hat und ein Autogramm wollte”, sagt Fatoni, als er an einem Café vorbeikommt. Ist das genau die richtige Art von Fame? Ab und zu erkannt werden, Kultstatus unter treuen Hörern, Kritikerliebling? „Ich find’s cool wie’s ist. Klar will ich erfolgreich sein, klar will ich noch ‘nen Step machen. Aber ich hätte jetzt auch keinen Bock Marteria zu sein, auch wenn ich den geil finde – aber dazu müsst ich viel simpler werden. Darauf habe ich keinen Bock”, sagt er und denkt nach. „Ich will auf jeden Fall einmal in München, in meiner Heimat, die Muffathalle vollmachen.”
Er habe mittlerweile „seine Nische” gefunden - auch wenn Nische so ein verdammt negativ besetztes Wort sei. In Berlin teilt er sich mit seinen langjährigen Freunden Juse Ju und der Antilopen Gang ein Studio, die alle ebenfalls Teil dieser Hip-Hop-Nische sind. Und seine Liebe zum Schauspiel kann er regelmäßig in epischen und ungewöhnlichen Musikvideos ausleben, wie Authitenzität, Romcom oder Clint Eastwood aus dem aktuellen Album – eine Hommage an King of Queens. „Eigentlich wollte ich immer Geschichten erzählen”, sagt Fatoni während er durch die Straßen seiner alten Heimat läuft. „Meine Oma hat immer gesagt, ich solle unbedingt Kurzgeschichten schreiben – und letzten Endes ist es genau das, was ich jetzt mache. Ich erzähle den Menschen kurze Geschichten.”