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Eminem veröffentlicht "Campaign Speech"
Räumen wir geschwind den seltsamen Irrtum aus dem Weg, Eminem sei jetzt politisch. Eine Schwalbe, um mal ein ganz altes Sprichwort rauszukramen, macht schließlich noch keinen Sommer. Und zehn Zeilen über Donald Trump, so wuchtig sie auch daherkommen mögen, machen eben nicht das politische Manifest, das alle gerade in Eminems „Campaign Speech“ hineinlesen wollen. Also gerne einmal schnell durchpflügen – aber dann vergessen:
„Run the faucet, I'ma dunk
A bunch of Trump supporters underwater
Snuck up on 'em in Ray Bans in a gray van with a spray tan
It's a wrap, like an Ace bandage“
Und etwas später:
„Consider me a dangerous man
But you should be afraid of this dang candidate
You say Trump don't kiss ass like a puppet
'Cause he runs his campaign with his own cash for the fundin'
And that's what you wanted
A fuckin' loose cannon who's blunt with his hand on the button
Who doesn't have to answer to no one – great idea!“
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Heißt, grob zusammengefasst, man solle den Wasserhahn aufdrehen, damit er, Eminem, bei Gelegenheit ein paar Trump-Unterstützer waterboarden könne. Gefolgt von der Feststellung, dass man ihn, noch mal Eminem, für einen gefährlichen Mann halte, während man doch besser Angst vor „diesem verdammten Kandidaten“ haben solle, der bei Wählern damit punkte, dank finanzieller Unabhängigkeit niemandem etwas schuldig zu sein. Was im Falle eines Wahlerfolges ja hieße, einen unberechenbaren Irren zu bekommen, der ohne weitere Instanzen über sich die Hände am Knopf habe – „Spitzen Idee!“
Das kommt nun weder inhaltlich noch sprachlich weit über das Niveau eines mittelengagierten Facebook-Posts von – zum Beispiel – Dieter Nuhr hinaus. Deshalb schnell weiter zu dem, was den Song (oder den Rap – Musik im engeren Sinne läuft ja kaum) wirklich ausmacht: Spaß. Oder genauer: Spaß, der jede noch so grässliche Wut adelt.
Was nämlich gerade tatsächlich dafür sorgen dürfte, dass innerhalb von nur einem Tag etwa 3,3 Millionen Menschen das Stück angehört haben (mit dem Eminem übrigens ein neues Album ankündigt), steckt sehr geballt in diesen zwei Zeile:
„Better warn 'em, what I lack in tact and a set of morals
I make up for in metaphors like a cosmetic store“
Was ihm an Taktgefühl und moralischer Trittsicherheit fehle, entschädige er mit dick aufgetragenen Metaphern (das recht manierliche Wortspiel aus der Doppeldeutigkeit von „to make up“ und „make-up“ funktioniert im Deutschen nicht sehr gut …).
Man könnte auch das als launige Randnotiz lesen. Tatsächlich fassen die Zeilen aber doch alles zusammen, was die Faszination des Rappers einst ausgemacht hatte: Eminem war immer das gallig-giftige Es, die vom Über-Ich befreite Keller-Fratze, die so viele von uns (glücklicherweise) mit guter Erziehung und sozialer Verträglichkeit überdecken. Aber seine ganzen Widerwärtigkeiten, die fiktiven Morde an (Ex-)Frauen, die Beleidigungen, die Gewaltphantasien, waren immer in derart witzige, kluge und – noch so ein altes Bild – doppelbödige Überhöhungen verpackt, dass sie grotesk wurden. Und damit ihren Schrecken verloren.
Eminem war also immer auch der Wut-Clown der Welt, eine Art reinigendes Druckventil für uns alle, pennälerhaft dumm, nur eben in ziemlich schlau – bis er irgendwann doch ein bisschen ernst wurde und ein bisschen erwachsen, seine Entziehungskuren bejammerte („Relapse“, 2009) und sein verkorkstes Leben („Recovery“, 2010). Alles technisch gut gerappt. Aber eben mit weniger von der herrlichen Wut, die man so mochte.
Und jetzt eben „Campaign Speech“. Eine fast acht Minuten lang herausgespuckte Aneinanderreihung von Ekelhaftigkeiten und Grausamkeiten. Ein Hass-Reigen, nur in der Welt, um zu zeigen: Ich bin wieder da. Ich hasse immer noch alles. Und jeden. Auch dich. Obwohl ich dich nicht kenne, weil ich dafür viel zu groß bin.
Stellvertretend für den ganzen wunderbar irrsinnigen Metaphern-Wahn – und die doch sehr beachtliche Rap-Technik – sollte man also schnell direkt zu Minute fünf hüpfen und mitlesen, wie sowohl die Krankheiten von Ben Stiller (Prostata-Krebs) als auch des verstorbenen Prince missbraucht werden, um möglichst viele Reime auf die Silbe „ill“ hinzubekommen:
„And send Dylan Roof through the windshield of the Benz
Until he spins like a pinwheel and begins feelin'...
Like a windmiller with a thin build while his skin's peelin'
And skids 'til he hits a cement pillar
Swing for the fence like Prince Fielder
Knock it into the upper peninsula
You wanna go against 'zilla? The Rap God
When will I quit? Never been realer
The in-stiller of fear, not even a scintilla of doubt
Whose pens iller than Prince in a chinchilla
Or Ben Stiller in a suspense thriller
Revenge killer, avenge syllable binge
Fill a syringe, 'til I
Draw first blood“
Widerlich ist das alles. Moralisch bestimmt hochgradig fragwürdig. Darin übrigens bestimmt nicht sonderlich zeitgemäß. Aber eben auch: Ein absolut reines Werk des – das vergisst man ja immer wieder – bislang erfolgreichsten (mehr als 170 Millionen verkaufte Alben), und damit nach der Logik Rap-Kultur ja vielleicht doch auch besten Rappers bis heute. Die Freude über „Campaign Speech“ ist also wohl vor allem die Freude darüber, dass Eminem wieder da ist. „The Real Slim Shady“ quasi. Der sich im letzten Satz tatsächlich fragt: „Why am I such a dick?“
Als ob das nicht vollkommen egal wäre. Als ob nicht das Wichtigste wäre, dass es in diesen Zeiten, in denen der Hass und die Widerwärtigkeit längst in der Hochpolitik angekommen sind, einen gibt, der ihn wieder grotesk macht.