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Eichstätt: Studentin gründet DJ-Kollektiv für Frauen Succuba
Verena Brunner hebt die Arme in die Luft, schließt die Augen, wiegt sich von links nach rechts. Die Lampen tauchen sie abwechselnd in grünes, rotes, blaues Licht, während Verena sich bewegt, als wolle sie mit der elektronischen Musik, die durchs Kellergewölbe dröhnt, verschmelzen. Kein Wunder, es ist ihre eigene. Immer wieder verfangen sich ihre dunkelblonden Locken in Streifen Goldfolie, die von der Decke hängen. Sie scheint es gar nicht zu merken, öffnet die Augen wieder, richtet sie aufs DJ-Deck. Ihre Finger drehen an den Reglern, die Musik schmiert von einem Track in den nächsten, die Menge vor Verena jolt.
In Eichstätt hat sich herumgesprochen, dass heute Nacht etwas Neues passieren, etwas anders sein wird. Bei Verenas Veranstaltung „Girls on Deckz“ legen nämlich ausschließlich Frauen auf. Und das wollen Hunderte sehen, die drei Räume der Tartufo Kellerbar sind voll.
Eigentlich sollte eine solche Veranstaltung in Eichstätt keine Besonderheit sein: In der kleinsten Universitätsstadt Europas gibt es viel mehr Studentinnen als Studenten, das Verhältnis liegt bei 70 zu 30. Frauen dominieren zahlenmäßig, Männer in der Realität. Sie gestalten vor allem auch die Nächte. Denn im erzkatholischen Eichstätt gibt es eine richtige DJ-Szene, Dutzende Jungs und Männer legten hier in den vergangenen Jahren auf, neue kommen ständig dazu – aber nie eine einzige Frau.
Die 26-jährige Verena akzeptierte das lange, obwohl sie eigentlich schon längst zur Clique gehörte. Sie studierte jahrelang in Eichstätt, war und ist befreundet mit den DJs, half immer wieder beim Aufbau von Raves, tanzte ekstatisch in der ersten Reihe. Als sie das Auflegen endlich selbst ausprobiert, ist ihr Masterstudium in Psychologie schon fast beendet.
„Ich habe Glück: Mich hat beim Auflegen noch nie ein Mann belästigt”
„Eigentlich halte ich es für keine große Sache, dass ich als Frau auflege“, sagt Verena vor ihrem Set, als sie vor der Bar noch eben Luft holt. „Aber wenn ich mir die Reaktionen darauf anschaue, ist es wohl doch eine? Sowohl Jungs als auch Mädels, waren überrascht, als ich im Sommer zum ersten Mal aufgelegt habe – und meinten dann, das müsste es viel öfter geben, dass auch Frauen auflegen.“ So kam Verena schließlich darauf, „Succuba“ zu gründen, ein Kollektiv für weibliche DJs in Eichstätt.
Nicht nur in deutschen Kleinstädten wie Eichstätt haben Frauen nur selten Erfolg beim Auflegen. Dabei gibt es DJane-Kollektive wie Succuba schon längst in größeren Städten Deutschlands und Österreichs, aber auch in anderen Ländern. Sie sollen Frauen im DJ-Business vernetzen und sichtbarer machen. Daneben gibt es auch die internationale Datenbank female:pressure, die weibliche DJs, Vjs, Produzenten, Booker im Bereich der elektronischen Musik listet. Den Angaben des Netzwerks zufolge wird bisher nämlich nicht einmal jeder zehnte Gig von einer Frau gespielt, auch im Hintergrund seien Frauen ähnlich stark in der Unterzahl. Größen wie Nina Kraviz, Charlotte de Witte oder Amelie Lens gibt es zwar, sie sind aber letztlich immer noch Ausnahmen.
Leicht wird Frauen der Erfolg im Nachtleben schließlich auch nicht gemacht. Viele DJs berichten (auch Medien gegenüber) davon, wegen ihrer Weiblichkeit nicht ernst genommen zu werden. Oder schlimmer noch: ständig sexuell belästigt zu werden. Der Arbeitsplatz ist prädestiniert dafür: In Clubs stolpern schließlich oft genug betrunkene Männer herum, die im Rausch jeglichen Anstand vergessen. Dass sich blöde Sprüche oder sogar sexuelle Belästigung dann oft auch gegen weibliche DJs richten, wird vermutlich noch dadurch befördert, dass Gäste bei einigen Veranstaltungen wohl tatsächlich mehr von weiblichen DJ erwarten als nur gute Musik. Viele Frauen sind als „Topless DJane“ für sexy Shows buchbar. Bei solchen Auftritten zählt die Musik dann oft weniger als das Aussehen der Frau an den Decks.
„Netzwerk ist hier alles, wenn du auflegen willst”
Für Verena ist das nichts, ihr geht es rein ums Musikalische. „Und ich habe Glück. Mich hat beim Auflegen noch nie ein Mann belästigt”, sagt sie. „Aber ich weiß natürlich, dass das besonders in Großstädten oft ein Problem ist, mit dem DJs fertig werden müssen. Davon liest und hört man ja überall.”
Dafür merkt sie an sich selbst, dass es noch andere Hürden für Frauen in der Musik gibt. Zum Beispiel überhaupt einen guten Geschmack zugetraut zu bekommen. „Mir ist echt oft passiert, dass ich als Frau in Gesprächen über Musik ausgeschlossen war, während Männer unter sich redeten. Bis ich mich dann mal bewusst eingemischt habe. Damit, dass ich zum Beispiel einen bestimmten Künstler kenne, habe ich schon viele überrascht.”
Trotzdem, so vermutet Verena, hatte sie es leichter mit ihren DJ-Ambitionen als die meisten anderen Frauen in Eichstätt. Denn Raves, Konzerte, Partys wurden bisher immer wieder von den gleichen Männern, ihren Freunden, organisiert. Und die fragen dann Kumpel, ob die nicht auch mal Lust hätten. Verena erklärt das so: „Netzwerk ist hier alles, wenn du auflegen willst. Ich hab Glück, dass ich die Kontakte habe. Ich weiß nicht, wie oder ob ich die Veranstaltung sonst auf die Beine gestellt hätte.”
„Das könnte ich ja nie!“
Als Verena für ihre Party auf Suche nach weiblichen DJs ging, nutzte sie das gleiche Verfahren: Sie fragte innerhalb ihres Freundeskreises herum, wer noch Lust hätte, dort aufzulegen. „Frauen zu finden, die mitmachen, war ziemlich schwierig”, erzählt Verena. „Dabei habe ich auch Freundinnen gefragt, die privat auflegen. Letztlich hatten die meisten dann aber Angst vor dem Publikum.“ Am Ende konnte sie nur zwei andere Frauen überzeugen, mitzumachen. Denn viele Frauen, so sagt sie, trauen sich Auftritte wie diesen einfach nicht zu.
Das merkt man auch beim Vortrinken für die Party, nur einige Meter entfernt von der Kellerbar. Hier sitzen ein Dutzend Frauen im wahrscheinlich größten WG-Zimmer der Stadt und glühen vor. Eine findet gerade erst heraus, dass bei der Party heute nur Frauen auflegen. „Das könnte ich ja nie“, sagt sie, reißt die Augen auf, schüttelt den Kopf und wedelt abwehrend mit dem Händen. „Ganz schön mutig von denen, sich da vor alle hinzustellen.“ Ihre Freundinnen nicken zustimmend mit den Köpfen.
Dann rätseln sie darüber, wer heute genau Musik machen wird. Denn man kennt sich hier zwar. Aber das Line-up nennt ja nicht Kommilitonin Verena, sondern „Euphobia”. Nicht Rebecca, die Café-Besitzerin, sondern „Bax“. Nicht Svenja, die Dozentin, sondern nur andeutungsweise „Lecturess“. Die Auflösung, die sich dann aus dem Teilwissen der Frauen ergibt, führt zu einem Sturm aus „Ach, echt”s.
„Ich glaube, es bringt musikalisch weiter, wenn Frauen sich einmischen“
Wenn ein Mann zum ersten Mal auflegt, sorgt das in Eichstätt kaum für Verwunderung. Denn es passiert ja ständig. Der eine probiert sich alleine auf einer Hausparty aus, die anderen gründen zum Spaß ein DJ-Trio und machen Musik, wo und wann immer sie können. Die bekannteste Formierung aus DJs hieß in Eichstätt lange stadl.gold, benannt nach dem „Stadl“, in dem gewohnt und Musik gemacht wurde. Sie bestand, Überraschung, nur aus Männern. Und auch das Nachfolger-Kollektiv „Konstrukt” hat derzeit noch ausschließlich Männer unter sich. Verena findet das auch deshalb schade, weil sie glaubt: „Frauen spüren oft besser, was die Leute gerade wollen, was zur Stimmung passt. Ich glaube, es bringt musikalisch weiter, wenn Frauen sich einmischen.“
Heute Abend tanzen viele Jungs, die sonst auflegen, in den ersten Reihen vor dem DJ-Pult. Wer sich in Eichstätt auskennt, merkt bei ihrem Anblick: Da ist was verdreht. Blöd finden die Männer das selbst nicht, das sagen sie an diesem Abend immer wieder. Sie haben stattdessen mit angepackt, Verena und den anderen DJs beim Aufbau der Technik geholfen, die Kellerbar dekoriert wie die eigenen Raves, aber mit neuem Detail: Von der Kellerdecke hängt neben vielen alten Lampen auch ein langer, geblümter Rock. Sexisten, die Frauen den musikalischen Erfolg verwehren wollten, sind die Jungs hier sicher nicht.
Verenas Set läuft allmählich aus. Sie hebt noch einmal die Hände in die Höhe, strahlt die Menge an, dann ist Schluss mit ihrem Auftritt. Die Leute klatschen und rufen, mehr als eine Minute lang. Verena fällt ihren Freundinnen hinter dem Pult in die Arme, drückt sie ganz lange, ganz fest, während Svenja, die Dozentin, übernimmt. Dass ein Freund ihr ab und an aus der Menge heraus unterstützend ins Deck greift und an Reglern dreht, scheint sie nicht zu bemerken. Vielleicht will sie es aber auch nicht merken. Wozu auch? Nicht verunsichern lassen, weitermachen.