- • Startseite
- • Musik
-
•
Deutsche Rockmusik ist wieder derbe und plump. Endlich!
Den besten Satz über Wanda hat die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel leider schon in die SZ geschrieben. Genau genommen meinte der Satz die Hose von Frontmann Marco Wanda, aber auf die Musik der Österreicher passt er schon auch sehr gut: „Ich rieche förmlich den Hodenschweiß, der sich tief ins Gewebe der ranzigen Hose eingefressen hat und mit Bukowski’schen Bierschissresten korrespondiert.“ Die Ästhetik ließe sich da diskutieren. Was sich aber nicht leugnen lässt: Über Revolverheld hätte das niemand geschrieben. Über Silbermond eher auch nicht.
Es ist schon sehr lang sehr langweilig, der Popkultur – und Himmel: noch mehr der Rockkultur – im deutschsprachigen Raum ein strukturelles Problem zu unterstellen. Wenn das aufregendste Rockalbum der vergangenen zehn Jahre von Udo Lindenberg kommt („Stark wie zwei“), muss man nicht diskutieren, ob Deutschrock (allein das Wort . . .!) die drögeste Musik nach Yoga-Untermalung ist. Das wirklich Tolle ist nun aber: Aktuell ist der Vorwurf nicht nur langweilig, sondern sogar falsch. Unter anderem wegen der Bierschissreste von Marco Wanda.
Diese präpotente Kraftmeierei seiner Band! Dieser Mut zur großen Peinlichkeit! Diese mit Hingabe herbeigebrüllten und dann mit gerecktem Mittelfinger wieder weggeschickten existenzialistischen Themen: „Wann’s ned weitergeht mit dir, is a wurscht / I’ verlier sicher ned mei Herz und mei Hirn und a ned mein Durscht“. Wanda traut sich endlich mal wieder Dinge, von denen Rockmusik gelebt hat, bevor die Diskurs-Popper sie zermäkelt haben: großes Pathos, Sturm, Drang, Exzess. Strunzdumm sein manchmal auch.
Die jetzt-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von youtube angereichert
Um deine Daten zu schützen, wurde er nicht ohne deine Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von youtube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit findest du unter www.swmh-datenschutz.de/jetzt.
Dieser externe Inhalt wurde automatisch geladen, weil du dem zugestimmt hast.
Kann man jetzt natürlich sagen: Als Wiener ist das leicht, so zu sein. In Wien musst du immer alles sein, sonst bist du nix. Aber in Köln, wo man auch mit weniger schon was sein kann, brodelt etwas Ähnliches: AnnenMayKantereit haben vor kurzem die EP „Wird schon irgendwie gehen“ veröffentlicht. Und allein der Opener „Jeden Morgen“ ist schon ein Song wie das erste bellende Abhusten nach einer durchzechten Nacht: „Ich will nicht jeden Morgen von Neuem, letzte Nacht bereuen / Ich würd’ viel lieber jeden Morgen von Neuem – von dir träumen.“ Kitschig. Vielleicht ein bisschen plump. Aber Herrgott, eine Haltung hat das – verkatert, derb und räudig: eine wahre Freude!
Damit eine Band glaubwürdig übers Saufen und Rumstreunern singen kann, braucht es immer auch Zuhörer, die ihr das abnehmen
Noch ein Beispiel? Bitte: In Berlin, wo man alles sein kann oder nichts, und mit beidem alles werden oder unbeachtet untergehen kann, hat das Duo Milliarden die EP „Kokain und Himbeereis“ rausgebracht. Eine Art hedonistische Sinnsuche nach dem ganz großen Gefühl: „Ich will ein Banker sein, ich will das Geld. / Will der Bankräuber sein, der im Kugelhagel fällt. / Ich will den Hunger spür’n, ich will das Gold. / Ich will HIV und Armani unverzollt.“ Bietet Angriffsfläche. Aber nach ein paar Whisky Cola zündeln diese Zeilen in der Brust schon ganz schön.
Die jetzt-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von youtube angereichert
Um deine Daten zu schützen, wurde er nicht ohne deine Zustimmung geladen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von youtube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit findest du unter www.swmh-datenschutz.de/jetzt.
Dieser externe Inhalt wurde automatisch geladen, weil du dem zugestimmt hast.
Deutschrock kann also grade wieder im allerschönsten Sinne wild und heruntergekommen sein. Straßenköterig. Sogar etwas verwegen. Ohne dabei peinlich zu werden. Was es dem Hörer endlich mal wieder möglich macht, die Lieder mit der Inbrunst zu blöken, die sie brauchen, um zu wirken. Und dabei ohne blöde Brechung wildere Sehnsüchte auf Musik zu projizieren. Sehnsüchte nach großem, das Hirn zermatschendem Exzess, nach Promiskuität und allem, wofür die Zeit fehlt, wenn man mit 21 das Bachelor-Studium durchhaben will. Authentizität ist schließlich nichts, was im luftleeren Raum funktioniert. Damit eine Band glaubwürdig übers Saufen und Rumstreunern singen kann, braucht es immer auch Zuhörer, die ihr das abnehmen. Und sich selbst drin wiederfinden.
Man hat in den letzten Monaten schon an ein paar Stellen gelesen, dass die Zeit der Ironie vorbei sei. Hier ist ein weiteres Indiz dafür. Es gab immer tausende Bands, für die Rock nicht lustig (oder klug oder reflektiert) war. Aber selten konnte man eine von ihnen gut finden. Am seltensten in Deutschland. Oder Österreich. Dass gleich ein paar davon gerade so erfolgreich sind oder werden, sagt viel aus. Noch mehr über uns als über sie.