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Asaf Avidan über den Wankelmut-Remix und sein neues Album
„One Day Baby we’ll be old, oh Baby we’ll be old.“ Seit acht Jahren läuft der Song von Asaf Avidan, 40, in ganz Europa in Radiosendern und Clubs. Doch die Version, die internationale Bekanntheit erlangte, war nicht von ihm. Noch schlimmer, es war eine Version die er selbst gehasst hat. Wie sieht ein Künstler, der einerseits seine Bekanntheit einem Remix zu verdanken hat, aber andererseits findet, dass seinem Song die Seele geraubt wurde, die immer beliebter werdende Remix Kultur?
jetzt: Asaf, du warst jahrelang vor allen Dingen in Israel bekannt. Das änderte sich 2012 ziemlich plötzlich, als Wankelmut einen Remix deines damals schon vier Jahre alten Reckoning Songs veröffentlichte. Kannst du dich noch erinnern, wann du diesen Remix das erste Mal gehört hast?
Asaf Avidan: Ich habe auf Facebook eine Nachricht von Wankelmut mit einem Youtube-Link bekommen. Er hatte geschrieben, dass er ein Konzert von mir gesehen hatte, meine Musik liebt und deswegen diesen Remix produziert hat. Ich habe den Link angeklickt – und fand es furchtbar.
Wie hast du reagiert?
Er hatte total nett geschrieben, also schrieb ich zurück, dass es mich freut, dass er meine Musik mag, sich mit ihr auseinandergesetzt hat, aber dass die Version nicht wirklich mein Ding ist und dachte mir weiter nichts dabei. Ein paar Wochen später rief mich ein Kumpel aus einem Club in Österreich an und schrie in den Hörer: „Dude, die spielen hier überall deinen Song“ – und im Hintergrund lief dieser Remix. Ich habe sofort diesen Youtube-Link wieder rausgesucht und hab gesehen, dass er Millionen Aufrufe hatte. Ich habe panisch meinen Agenten angerufen, damit er den Song löscht.
Was hat dich daran so sehr gestört?
Ich fand diesen Song furchtbar. Der Remix hat kein bisschen das getroffen, was ich mit dem Song aussagen wollte. Es ist ein trauriges Lied, in dem es um richtig heftigen Schmerz geht. Um zwei Menschen, die sich lieben, aber wissen, dass sie ihre Beziehung trotzdem beenden müssen und es irgendwann sehr bereuen werden. Nicht irgendein Partysong. Ich wollte nicht, dass die Leute mich so kennenlernen und denken, dass ich solche Musik mache. Gerade zu dieser Zeit war meine Idee von Musik sehr minimalistisch. Eine Gitarre und Gesang – so wie Bob Dylan – das war für mich das einzig Wahre.
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„Ich habe inzwischen akzeptiert, dass ich keine Chance habe, so etwas zu kontrollieren“
Jetzt ist genau das passiert: Die meisten Menschen kennen dich vor allen Dingen durch den Wankelmut-Remix. Wie kam es dazu, obwohl Wankelmut den Remix von Youtube löschen musste?
Sobald etwas online ist und es bereits ein gewisses Momentum gibt, ist es unmöglich, es wieder einzufangen. Irgendwann hat mich dann mein damaliges Label Sony überzeugt, zuzustimmen, dass wir den Song auch kommerziell veröffentlichen. Bis dahin lief er nur in irgendwelchen Clubs, aber es brodelte, war dabei aus dem Untergrund rauszukommen. Als dann auch Radiosender den Song spielten, ging er in ganz Europa durch die Decke.
Wie stehst du heute zu dem Remix?
Ich weiß, dass ich ihm viel zu verdanken habe. Ich bin dadurch sehr bekannt geworden, er hat mir ermöglicht viel zu touren und auf Festivals zu spielen. Aber ich finde ihn noch immer schrecklich.
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Im Urlaub habe ich vor Kurzem an einer Strandbar eine Art Chill-House-Remix des Wankelmut-Remixes gehört. Viel vom ursprünglichen Song war nicht mehr übrig.
Oh Mann, das klingt furchtbar.
„Die Vielschichtigkeit der ganzen Welt und der Menschen wird oft nicht mehr erkannt“
Wie viele Versionen gibt es mittlerweile vom Reckoning Song?
Ich habe keine Ahnung. Ich will es auch nicht wissen. Ich habe inzwischen akzeptiert, dass ich keine Chance habe, so etwas zu kontrollieren. Deswegen habe ich meinem Label auch gesagt: „Ihr kümmert euch um so etwas, ich will davon nichts wissen.“
Durch das Internet ist die Remix-Kultur richtig groß geworden. Mittlerweile wird fast alles geremixt, sogar Reden von Martin Luther King. Was hältst du von dieser Entwicklung generell?
Wie du vielleicht schon gemerkt hast: wirklich nicht viel. Die allermeisten Remixes greifen sich irgendeinen Aspekt vom Lied raus, legen einen Beat darüber und fokussieren sich nur auf diesen einen Teil. Aber Kunst muss vielschichtig, muss widersprüchlich sein. Remixes vereinfachen alles, machen es leicht konsumierbar und regen nicht mehr zum Denken an. Sie kommen der gesellschaftlichen Verantwortung, die Kunst hat, einfach nicht nach. Und das merkt man auch in unserem Alltag.
Wie meinst du das?
Die westliche Gesellschaft denkt immer unterkomplexer. Es gibt sehr viel Schubladendenken. Die Vielschichtigkeit der ganzen Welt und der Menschen wird oft nicht mehr erkannt, sondern es wird in einfachen Kategorien gedacht. Das sieht man unter anderem auch an dem Erfolg von Donald Trump, Boris Johnson oder Benjamin Netanyahu in meinem Heimatland. Kunst hat die Aufgabe zu stimulieren oder Gedankengänge anzustoßen, nicht, dass man in einer Strandbar ein Bier trinken kann und im Hintergrund läuft irgendeine Musik, die nicht weiter stört.
„Japp, das werde ich dir definitiv klauen“
Aber Remix-Kultur kann doch auch etwas Neues, durchaus Intelligentes erschaffen. Gerade im Hip-Hop sind Samples ein sehr wichtiger Bestandteil der Kultur.
Absolut. Ich habe gerade in der Vorbereitung auf mein neues Album viel Hip-Hop gehört, besonders aus den 90er Jahren. Aber der Unterschied ist: Bei dieser Art des Samplens benutzen sie alte Lieder und erschaffen etwas Neues daraus, etwas Anderes, geben dem Musikstück ihre Sichtweise mit. Sie verändern es so sehr, dass sie dem Ursprünglichen etwas Neues hinzufügen. Und das finde ich überhaupt nicht verwerflich. Das könnte man zwar auch als stehlen bezeichnen, aber davon lebt die Kunst. Das ist Inspiration. Was ich nicht leiden kann ist, wenn man dem ursprünglichen Werk einfach nur die Seele raubt und es so massentauglich macht.
Hast du denn schon mal von anderen Künstlern gestohlen.
Andauernd. Als ich Kanye Wests Album Jesus is King gehört habe, diese epischen Bässe, dieses Monumentale was er seinen Liedern dadurch verleiht, da dachte ich: ‘Japp, das werde ich dir definitiv klauen.‘ Aber natürlich nicht eins-zu-eins. Ich denke darüber nach, was er damit macht, was ich daraus lernen kann, wie ich dadurch meine Musik verändern könnte und spiele solange in meinem Kopf damit herum, dass seine Idee in mir tausendfach gefiltert wurde und ich etwas Neues erschaffe.
Wie wie war es für dich, während der Corona-Pandemie ein Album aufzunehmen?
Ich hatte mich für die Aufnahmen in ein ziemlich abgeschiedenes Landhaus in Italien zurückgezogen, als plötzlich diese Pandemie losging. Wir mussten dann ziemlich improvisieren, weil mein Produzent nicht nach Italien reisen konnte. Also habe ich im Studio aufgenommen und er konnte mit einem Programm live zuhören.
„Viele Menschen werden es sich wahrscheinlich nicht mehr leisten können, weiter professionell Musik zu machen“
Inwiefern hat diese ungewöhnliche Situation das Album verändert?
Ich glaube, es ist tatsächlich besser geworden. Dadurch, dass wir uns so viel hin- und herschicken mussten, hat alles länger gedauert und somit hatten wir auch länger Zeit, um über die Songs nachzudenken. Ich hoffe, dass es wir alle durch diese seltsame Situation auch etwas positives erfahren: Entschleunigung, intensiver über Dinge nachdenken.
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Du sprichst gerade von den positiven Seiten, die Corona womöglich mit sich gebracht hat. Aber selbst, wenn man sich nur die Musikbranche anschaut, ist diese Pandemie ein Katastrophe. Konzerte waren die Haupteinnahmequelle vieler Künstler, während der vergangenen sechs Monate sind sie quasi komplett weggebrochen.
Das stimmt absolut. Ich persönlich habe das Glück, dass ich in der Vergangenheit gut verdient habe und ein paar Jahre überleben kann, auch ohne Konzerte. Aber es gibt viele, die das nicht können. Nicht nur Musiker. An den Konzerten hängen extrem viele Jobs: Bühnentechniker, Labels, Tänzer, Beleuchter – diese Menschen trifft das deutlich härter als mich.
Wird sich die Musikszene durch die Pandemie verschlechtern?
Ich befürchte ja. Es gibt so viele Independent-Labels und Künstler, die wahnsinnig gute Musik produzieren, aber kommerziell nicht besonders erfolgreich sind. Und jetzt kommt diese Pandemie. Viele Menschen werden es sich wahrscheinlich nicht mehr leisten können, weiter professionell Musik zu machen. Das ist ein sehr schwerer Schlag für die Szene.
„Dieser Wunsch nach Kontrolle, den ich früher hatte, ist in Wahrheit ein Ausdruck von Angst“
Hat sich durch Wankelmut die Art und Weise geändert, wie du den Reckoning Song performst? Gibst du den Erwartungen der Leute nach und spielst ihn ein bisschen poppiger?
Nein, gar nicht. Wenn es mich verändert hat, dann ins Gegenteil. Ich will den Song jetzt zu 1000 Prozent so spielen, wie er ursprünglich gedacht war. Manchmal, wenn ich bei einem Konzert Reckoning Song spiele, erkläre ich erstmal drei Minuten lang, warum ich das Original geschrieben habe und warum es genau so gespielt werden sollte.
Aber deinem neuen Album merkt auf jeden Fall eine große Wandlung an. Es nicht mehr so minimalistisch, wirkt deutlich sauberer, greift auf große Chöre und viele Instrumente zurück. Wie kam es zu dieser Wandlung?
Meine Meinung von Musik hat sich geändert, so wie sich Meinungen generell im Leben ändern. Dinge, die du früher als einzige Wahrheit gesehen hast, sieht man plötzlich nicht mehr so radikal. Mein Album hat den Titel „Anagnorisis“ spielt auch darauf an. Man kann sich selbst nicht beschreiben. Immer wenn man versucht, dieses sich ständig verwandelnde Etwas, das man ist, in eine bestimmte Schublade zu stecken, lügt man. Es gibt eine Vielzahl von „Ichs“. Tausende unterschiedliche Stimmen in mir, die sich teilweise widersprechen, teilweise ergänzen, denen ich endlich zugehört habe.
Hast du Angst, wenn du ein neues Album herausbringst, dass einem Song durch einen Remix dasselbe angetan wird, wie dem Reckoning Song?
Nein, nicht mehr. Tatsächlich freue ich mich ein bisschen auf sowas. Ich bin neugierig, was passiert. Dieser Wunsch nach Kontrolle, den ich früher hatte, ist in Wahrheit ein Ausdruck von Angst. Und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und zum anderen habe ich meinen Platz als Musiker gefunden. Ich habe Menschen, die meine Musik gerne hören und selbst wenn ein zweites One Day passiert, weiß ich, wer ich bin. Und wenn der Welt etwas gefällt, auch wenn es nicht mein Geschmack ist: Wer bin ich, dass ich das Recht habe, zu verhindern, dass es verbreitet wird.