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Geheimakte „Frühschwangerschaft“

Drei Monate lang nicht aufzufliegen, war für unsere Autorin gar nicht so leicht.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer fast zweijährigen Tochter. Folge drei: Frühschwangerschaft, ein Geheimnis.

Was ich wirklich nicht gut kann, ist Geheimnisse haben. Besonders dann, wenn es schöne Geheimnisse sind. Damit meine ich nicht, dass ich alles weitererzähle. Was Freund:innen mir anvertrauen, behalte ich für mich. Doch sonst sage ich frei heraus, was ich gerade denke und teile eher zu viel als zu wenig mit, was mich aktuell beschäftigt. Sogar Geschenke übergebe ich oft schon vor dem eigentlichen Geburtstag, weil ich meine Vorfreude einfach nicht gut in die Länge ziehen kann. Ihr könnt euch also vorstellen, wie schwer es für mich war, die Nachricht meiner Schwangerschaft geheim zu halten. 

Schließlich hatten wir aktiv versucht, ein Kind zu bekommen. Dass es geklappt hat, wollten wir eigentlich in die Welt hinausschreien. Außerdem ist so eine Schwangerschaft ja keine Kleinigkeit. Schon in den ersten Monaten macht der Körper eine gewaltige Veränderung durch, mit so manchen Nebenwirkungen. Zudem müssen Schwangere sofort ihre Ernährung umstellen: kein Alkohol mehr, keine Salami, kein Rohmilchkäse. Und auch im Kopf passiert so einiges: man beginnt, sich das Leben als Eltern richtig vorzustellen, will vielleicht schon erste Babysachen kaufen. Im Grunde kann man kaum an etwas anderes denken – und will von nichts anderem reden. 

Es gibt diese ungeschriebene Regel: Kein Wort vor der zwölften Woche

Doch es gibt da diese ungeschriebene Regel, an die auch wir uns gehalten haben: „Kein Wort vor Vollendung der zwölften Schwangerschaftswoche“. Bis zu diesem Stichtag erzählen nur die Wenigsten ihren Familien und Freund:innen von dem erwarteten Nachwuchs, man hütet ein Geheimnis. Warum? Weil das Risiko für eine Fehlgeburt am Anfang der Schwangerschaft statistisch gesehen am größten ist: vier von fünf Aborten passieren im ersten Trimester, dem ersten Schwangerschaftsdrittel. Und zwar nicht, weil die Schwangere etwas falsch macht. Fehlgeburten, so belastend sie körperlich und psychisch für Betroffene sein können, sind aus medizinischer Sicht völlig normal. Studien gehen davon aus, dass bis zu 24 Prozent aller bereits nachgewiesenen Schwangerschaften in einer Fehlgeburt enden, die Dunkelziffer könnte noch mal deutlich höher sein.  

Deswegen entscheiden sich viele dazu, dem Umfeld erst von der Schwangerschaft zu erzählen, wenn man es in statistisch sichereres Fahrwasser geschafft hat: das Ende der zwölften Schwangerschaftswoche. Wohl um zu vermeiden, nach der frohen Botschaft allen eine traurige Botschaft mitteilen zu müssen.

Die Kehrseite: Man hütet in dieser Zeit nicht nur ein Geheimnis, sondern ist auch recht einsam mit der eigenen Freude und dem eigenen Leid, in meinem Fall meiner Schwangerschaftsübelkeit. Ein paar Tage meldete ich mich bei der Arbeit krank, dann blieb ich im Homeoffice und verschwand während Meetings schnell aus dem Bildschirm, wenn ich mich übergeben musste. Besonders der Verzicht auf Alkohol fällt in unserer Gesellschaft schnell auf, und als frisch verheiratete Frau im „gebärfähigen Alter“ steht man im Büro zumindest gefühlt unter besonderer Beobachtung. Bei einer Arbeitsfeier drückte mir jemand ein Sektglas in die Hand, an dem ich mich den halben Abend festhielt, ohne auch nur einmal daran zu nippen. Einem Kollegen fiel das sofort auf, also stammelte ich irgendwas von Sekt auf leeren Magen. Bei einem Geburtstags-Videocall trank ich Wasser aus einer ausgespülten Bierflasche, um beim digitalen Anstoßen nicht weiter aufzufallen. Auch Treffen mit Freund:innen sagte ich immer wieder ab: „zu müde“, „da muss ich leider arbeiten“, „da bekommen wir schon Besuch“. „Hab wohl was Falsches gegessen“ ist eben nur einmal eine unauffällige Ausrede für Übelkeit.  

Der Schwangerschafts-Reveal: Die Grenzen zwischen süß und cringe sind fließend

Zeitgleich schmiedeten mein Mann und ich Pläne, wann wir wem und wie dann endlich von der Schwangerschaft erzählen würden. Im Internet gibt es für diesen besonderen Moment schier unendliche Möglichkeiten und Ideen. Die Grenzen zwischen irgendwie süß und extrem cringe sind fließend: Windeln mit „Du wirst Oma“-Aufdruck, Weinflaschen mit „Das kann ich nicht trinken“-Labels, kreative Instagram-Fotos mit kleinen Schühchen oder auf den Bauch gepinselten Ladebalken. Und natürlich etliche Varianten, um das erste Ultraschallbild in Holz, Papier, Stein, Stoff oder Plastik zu verewigen und an die diversen Familienmitglieder zu verteilen. Auch wir verschenkten handbeschriftete „Oma/Opa/Onkel/Tante“-Emaille Tassen.  

Mein erstes Trimester endete passenderweise kurz vor Weihnachten und meine Geschwister und ich waren zu Besuch bei meinen Eltern. Als ich die eingepackten Tassen herausholte und sagte, ich hätte schon ein kleines Vorweihnachtsgeschenk für alle, war meiner Schwester sofort klar, worum es ging. Ihre Augen wurden groß, sie blickte kurz auf meinen Bauch, strahlte mich an und musste sich sichtlich zurückhalten, das allgemeine Auspacken abzuwarten, bevor sie mich umarmte. Auch meine Eltern waren überglücklich, und ich sehr erleichtert: Das Geheimnis war endlich gelüftet. Endlich konnte ich allen von meiner Schwangerschaft erzählen und mein vielleicht seltsames Verhalten der vergangenen Wochen aufklären.

Im Nachhinein bereue ich die Geheimniskrämerei des ersten Trimesters. Niemand wusste von meiner Übelkeit und hätte uns unterstützen können. Wir waren mit unseren Sorgen wegen einer Fehlgeburt allein. Hätten wir unser Baby tatsächlich verloren, hätten wir das für uns behalten und vor Familie und Freund:innen so getan, als sei nichts gewesen? Ziemlich sicher nicht.  

Fehlgeburten waren und sind noch immer ein Tabuthema, auch, wenn immer mehr Menschen offen mit Freund:innen oder sogar auf Social Media darüber sprechen. Sogar meine Gynäkologin sagte beim ersten Ultraschall in der fünften Schwangerschaftswoche nicht nur „Herzlichen Glückwunsch, da ist ein Herzschlag“, sondern riet mir zudem, noch niemandem davon zu erzählen. Lediglich die lateinamerikanische Helferin schüttelte den Kopf, und raunte mir zu: „Bei uns erzählt man sich sowas sofort, wir freuen uns und leiden gemeinsam.“ Am Ende muss natürlich jede:r für sich entscheiden, wann man dem Umfeld von der Schwangerschaft erzählen möchte. Wir jedenfalls haben für uns die Entscheidung getroffen, bei der nächsten Schwangerschaft früher auf die Menschen zuzugehen, mit denen wir auch den frühen Verlust eines Babys sofort teilen würden. 

Ich war sehr erleichtert, als wir die scheinbar „kritische Phase“ der Frühschwangerschaft gemeistert hatten. Mir war nicht mehr schlecht, alle wussten Bescheid und freuten sich mit uns. Und so begann das zweite Schwangerschaftsdrittel, die „Glow Phase“: Fingernägel brechen nicht mehr ab, Bad-Hair-Days scheinen unmöglich. Und endlich wird der Schwangerschaftsbauch auch richtig sichtbar, vor allem in cuten (und lächerlich überteuerten) Schwangerschaftsoutfits. Zu dieser, für mich wunderbaren Zeit dann mehr in zwei Wochen, wenn die vierte Ausgabe dieser Kolumne erscheint. 

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