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Komm, ich erklär dir unser Baby

Die Autorin erwischt sich manchmal dabei, wie sie ihren Partner im Umgang mit den Kindern korrigieren will. Einfach nur, weil er Dinge anders macht als sie.
Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer dreijährigen und einer neunmonatigen Tochter. Folge zwölf: Momsplaining. 

Vor kurzem ist es mir wieder passiert. Mein Mann wickelte gerade unsere kleine Tochter und war dabei, ihr einen frischen Body anzuziehen, als ich ins Kinderzimmer kam. „Nicht über den Kopf ziehen, immer von unten!“, sagte ich und war kurz davor, ihn vom Wickeltisch zu verdrängen, um selbst zu übernehmen. Das wäre aus vielerlei Hinsicht Quatsch gewesen. Unter anderem, weil unsere Tochter schon lange in einem Alter ist, in dem man ihr den Body über den Kopf stülpen kann. Nur bei Neugeborenen sollte man beim Anziehen darauf achten, den Kopf möglichst nicht zu heben, um die Wirbelsäule zu schonen. Außerdem hat mein Mann vermutlich schon mehr Windeln gewechselt als ich. Er weiß, was er tut.

Momsplaining nenne ich es, wenn mich dennoch dieses gewisse Gefühl überkommt und ich meinem Mann unser Baby erkläre. Es sind Situationen, in denen ich zufällig sehe, dass er eine Routine anders macht als ich. Wenn er sie anders füttert als ich, wenn er die Lehne beim Kinderwagen anders einstellt als ich, wenn er sie anders wickelt. Das Stichwort hier ist „anders”. Anders heißt nämlich nicht, dass er es falsch macht und ich richtig. Trotzdem: Manchmal habe ich den Impuls, ihn zu korrigieren, ihm zu sagen, wie ich es machen würde.

Loszulassen und einem anderem Menschen ein Neugeborenes anzuvertrauen, ist nicht leicht. Sogar, wenn dieser andere Mensch der Vater ist. Monatelang ist das Baby in mir gewachsen, war ein Teil von mir, den ich beschützt habe. Unter größtmöglicher Anstrengung habe ich es auf die Welt gebracht und mit meinem Körper ernährt. Wie viele Mütter habe ich in den ersten Tagen nach der Geburt den größten Part der Babypflege übernommen. Weil mein Partner nicht mit auf der Wochenstation bleiben konnte, weil er den gesamten Haushalt geschmissen hat, weil er nicht stillen kann, weil wir uns eben erstmal so aufgeteilt haben.

Ich wurde dadurch schnell zur Expertin für unser Kind, hatte mehr Routine. Durch die viele Übung beim Stillen konnte ich das Baby auf beiden Seiten gleich sicher halten, während mein Mann es anfangs nur im linken Arm gut halten konnte. Nach drei Tagen auf der Wochenbettstation hatte ich mehr Windeln als er gewechselt. Nachts wachte ich schon bei der ersten Bewegung des Babys auf, er bei den ersten lauten Geräuschen. Besonders am Anfang, wenn die Kleine schrie, reagierte ich generell alarmierter als er, und ich empfinde auch heute noch einige Situationen als potenziell gefährlicher. Kürzlich hat mein Mann die Kleine allein mit unserer Dreijährigen eine steile Rutsche runterrutschen lassen. Auf die Idee würde ich nicht kommen, dafür finde ich sie noch zu klein (und ihre Beule gibt mir irgendwie auch ein bisschen recht).

Nun bin ich nicht panisch überbehütend und mein Mann nicht riskierend unachtsam. Es sind Nuancen, die den Unterschied beim Umgang mit den Kindern machen. Aber das reicht, um vor allem in der Zeit, in der das neue Leben so zerbrechlich wirkt, den Weg für Parentsplaining (die genderneutrale Version) zu ebnen. Denn die Sorge, dem Kind könnte etwas zustoßen, ist besonders groß, während es in der Obhut von jemand anderem ist. Damit das nicht passiert, wird vielleicht ein bisschen mehr erklärt oder kontrolliert als nötig.

Ungefragtes Korrigieren hat immer etwas Unangenehmes

Parentsplaining ist aber auch, wenn Bekannte oder Fremde – meistens andere Eltern – ungefragt Ratschläge zur Erziehung oder dem richtigen Umgang mit den Kindern geben. Von nett gemeinten Tipps bis hin zu judgy Kommentaren kann alles dabei sein. Ungefragtes Korrigieren hat immer etwas Unangenehmes. Denn egal wie gut etwas gemeint ist: Es kommt schnell rüber wie ein „Du machst es falsch, ich weiß es besser“. Wer geparentsplaint wird, kann sich angegriffen oder stark verunsichert fühlen. Je mehr Zuhörer es gibt, desto schlimmer, denn dann kommt potenziell das Gefühl dazu, bloßgestellt worden zu sein. Klar, wenn da gerade jemand etwas macht, das dem Kind wirklich schaden könnte, wäre Schweigen keine gute Option. Statt ungefragt zurechtzuweisen, könnte man aber auch ein Gespräch auf Augenhöhe zu dem Thema beginnen. Vielleicht kommt die Frage nach einem Ratschlag dann von selbst, oder man findet heraus, dass das Gegenüber etwas aus wohlüberlegten Gründen so macht.

Bei der Wickeltischsituation hätte ich meinen Mann zum Beispiel wertfrei fragen können, warum er den Body nicht über die Füße anzieht. Dann hätte er mir nämlich geantwortet, dass die Kleine ihren Kopf ja schon gut halten kann und ohnehin mit den Füßen zu wild rumzappelt beim Anziehen. Daraufhin hätte ich wohl gesagt: „Guter Punkt, da hast du vollkommen recht.” Stattdessen habe ich ihn gemomsplaint, was mir nur noch passiert, wenn ich gestresst oder genervt bin. Eigentlich fällt mir das auch auf und ich entschuldige mich. Dann besprechen wir in Ruhe unsere Argumente und Gedanken. Abhängig vom Ton, der aktuellen Frequenz und dem allgemeinen Stresslevel kann Parentsplaining ansonsten zu Konflikten führen. Denn wer ständig geparentsplaint wird, fühlt sich nicht als gleichberechtigt kompetenter Elternteil wertgeschätzt.

Maternal Gatekeeping: wenn Mütter alles selbst machen wollen

Hätte ich meinen Mann in der Wickeltischsituation sogar verdrängt, dann wäre es nicht nur bei Momsplaining geblieben. Maternal Gatekeeping hat die Forschung es getauft, wenn Mütter alles selbst machen wollen. Vermutlich zum ersten Mal tauchte dieser Begriff in einem wissenschaftlichen Beitrag 1998 auf, später gab es auch eine deutsche Langzeitstudie dazu. In dieser heißt es, dass etwa jede fünfte Frau in einer Hetero-Beziehung das väterliche Engagement im Familienleben blockiert. Laut den Forschenden geht es diesen 20 Prozent Frauen nicht um die beste Fürsorge für das Kind, sondern lediglich um die Abwehr des Vaters, um die alleinige Entscheidungsmacht im Kinderzimmer. Eine Bindungsstörung stecke dahinter, den Vätern würde keine Chance gelassen.

20 Prozent aller Mütter, das kommt mir extrem viel vor. So krasse Fälle von Maternal Gatekeeping kenne ich nicht, weder von mir noch von meinem Umfeld. Was ich durchaus kenne, sind unterschiedliche Toleranzgrenzen, die Schwierigkeit, loslassen zu können und Kommunikationsprobleme.  

Wichtig ist, dem anderen Elternteil zu erklären, warum man etwas auf eine bestimmte Weise machen möchte und auch deren Sichtweise und Argumente ernst zu nehmen. Dann kann man gemeinsam entscheiden, ob man sich auf ein bestimmtes Vorgehen einigt (beispielsweise das Baby keine steilen Rutschen ohne Erwachsenen runterrutschen lassen), oder ob es total okay ist, wenn es jeder für sich ein wenig anders macht.  

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