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O Tannenbaum, brauchen wir dich auf einmal?

Illustration: Daniela Rudolf-Lübke

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In dieser Kolumne geht es um Schwangerschaft und Eltern-Sein, um die Hürden, das Glück, die Mythen rund ums Thema Baby. Unsere Autorin ist Mutter einer dreijährigen und einer einjährigen Tochter. Folge fünfzehn: Feste mit Kindern.  

Neulich fragte ich meine dreijährige Tochter, was man ihrer Meinung nach wohl in der Weihnachtszeit macht. Sie musste nicht lange überlegen und antwortete: Kerzen anmachen, Essen vorbereiten, schmücken, helfen und Geburtstag (was wohl als Geschenkebekommen übersetzt werden kann, zumindest grinste sie dabei besonders doll). Und mir wurde schlagartig bewusst, dass dieses Weihnachten ein ganz besonderes für meine Familie wird. 

Denn meine älteste Tochter versteht erstmals, dass Weihnachten ist. Und sie scheint an diese Zeit bereits einige Erwartungen zu knüpfen – Erwartungen, die sie nicht von uns haben kann. Schließlich haben wir im vergangenen Jahr das Weihnachtsfest kurzerhand ganz ausfallen lassen. Wir haben nicht geschmückt, keine Kerzen angezündet, keine Lieder gesungen. Am 24. Dezember legten wir uns nach einem schlichten Abendbrot mit der damals Zweijährigen und ihrer neugeborenen Schwester schlafen. Wie an jedem anderen beliebigen Tag im Jahr.  

Bisher waren unsere beiden Kinder zu klein, um Erwartungen an die Weihnachtszeit zu haben oder auch nur zu bemerken, dass Weihnachten ist. Es gab also keinen Grund, den Dezember anders zu gestalten, als wir es vor den Kindern getan haben. Eigene Weihnachtstraditionen haben wir nicht.

Doch Expert:innen zufolge haben Familientraditionen vielfältige Auswirkungen auf die Entwicklung von Kindern und beeinflussen das kognitive und verhaltensbezogene Wachstum, die Identitätsbildung und die Sozialisierung. Und ich verknüpfe keine Jahreszeit so mit Familientraditionen wie die Weihnachtszeit. Geburtstage, Ostern oder Silvester feierten wir immer mal anders und an unterschiedlichen Orten, irgendwann auch eher mit Freund:innen als mit der Familie oder auch einfach gar nicht mehr. Nicht so Weihnachten.  

Was wir dieses Jahr machen, wird unsere Tochter auch künftig von der Weihnachtszeit erwarten

Seit ich mich erinnern kann, habe ich den 24. Dezember mit meinen Eltern und Geschwistern verbracht. Gemeinsam schmückten wir das ganze Haus schon Ende November mit Lichterketten und Ornamenten, zündeten beim Essen die Adventskerzen an, backten jedes Jahr ein Lebkuchenhaus. Im Fernsehen schauten wir die Klassiker von „Michel aus Lönneberga“ bis „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ und für die Weihnachtsfeiertage gab es ein festgelegtes (und absolut köstliches) Menü. 

Als Kind freute ich mich wie verrückt auf die Weihnachtszeit, die ich nicht nur mit Geschenken und Kommerz, sondern auch mit einem Gefühl des Miteinanders, der Verbundenheit über Grenzen und Kulturen hinweg und einer zelebrierten Vorfreude verknüpfte. Eine dänische Studie will dieses besondere Weihnachtsgefühl sogar im Gehirn gefunden haben, einen Bereich, der bei Menschen, die Weihnachten mit positiven Assoziationen und traditionsreich feiern, deutlich stärker aktiviert war als bei Menschen, die keine Weihnachtstraditionen und neutrale Assoziationen haben. 

In meiner Kindheit war der Dezember eine magische Zeit für mich. Als ich erwachsen wurde, entzauberte sich die Weihnachtszeit jedoch schnell. Heute ist mein Weihnachtsgefühl im Wesentlichen begrenzt auf den Verzehr von Spekulatius und Glühwein und die obligatorische Weihnachtsfeier mit Kolleg:innen. Mein Mann und ich besitzen keine Weihnachtsdekoration, hatten noch nie einen Tannenbaum, backen keine Weihnachtsplätzchen. Das Weihnachten unserer Kindheit (das wir als agnostische Atheist:innen als reines Familienfest begreifen), das gibt es für uns nur bei unseren Eltern.  

Und so hatten wir es bisher auch mit unseren Kindern gehandhabt: Weihnachtsdeko und Weihnachtstraditionen gab es nur bei den Großeltern, nicht bei uns. Und weil wir die Großeltern arbeitsbedingt frühestens kurz vor Heiligabend besuchen, beschränkte sich die Magie des Dezembers eben immer auf die paar Tage zwischen den Jahren.  

Nach dem Gespräch mit meiner Tochter haben mein Mann und ich nun aber gemeinsam darüber nachgedacht, welche Traditionen unsere Tochter künftig mit der Weihnachtszeit verknüpfen soll, welche Erwartungen wir in ihr auch schon für Anfang Dezember wecken möchten. Schmücken wir die Wohnung, haben wir einen Adventskranz, gibt es jedes Jahr einen Schoko-Adventskalender? Oder lernen wir alle ein Orchesterinstrument, damit wir ein Weihnachtskonzert geben können, so wie es in der Familie meines Mannes Tradition war? Ich könnte die Triangel übernehmen. 

Zwar werden Traditionen zunächst von den Erwachsenen vorgegeben und vorgelebt – und so manchmal von Generation zu Generation weitergegeben. Doch auch die Kinder spielen mit ihren Erwartungen eine aktive Rolle bei der Ausgestaltung und Aufrechterhaltung von Ritualen und Erzählungen. Statt nun von 0 auf 100 unsere Wohnung zu einem Christmas-Winter-Wonderland umzugestalten, wollen mein Mann und ich erstmal kleine Räume für erste Weihnachtsaktivitäten schaffen und schauen, was den Kindern gefällt. Quasi Test-Traditionen.  

Einen Bücher-Adventskalender haben wir bereits von den Großeltern bekommen, eine einzelne Kerze könnten wir uns beim Essen auch vorstellen. Allerdings erstmal ohne weitere Deko. Und in den nächsten Tagen werde ich meine Tochter dann fragen, ob sie mit mir Sterne basteln mag, die wir an die Fenster hängen könnten. Außerdem habe ich ein paar Kinderweihnachtslieder auf eine ihrer Tonie-Figuren gespielt. Wie oft sie die hören will, kann sie also selbst steuern. Den 24. Dezember werden wir mit meinen Eltern verbringen, da ist also für weihnachtliche Stimmung gesorgt.  

Eins ist jedenfalls klar: Was wir dieses Jahr zu Weihnachten machen, legt den Grundstein für das, was unsere Tochter auch nächstes Jahr von der Weihnachtszeit erwarten wird. Und ich glaube, daher rührt auch unsere Zögerlichkeit. Denn wenn wir erstmal damit anfangen, einen Weihnachtsbaum in die Wohnung zu stellen, wird es ab da jedes Jahr von uns erwartet. Natürlich wollen wir, dass unsere Kinder eine schöne Zeit haben. Aber wir wollen auch unbedingt den Festtags-Stress, die Christmas-Madness, das Plätzchen-Burnout für uns vermeiden. 

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