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Das ModeABC. Heute: J wie Jute (-tasche)
Jeden Mittwochnachmittag hatten wir Sportunterricht. Alle Schüler der Klasse 3b trugen an diesem Tag bereits in der ersten Schulstunde stolz ihren Plastik-Turnbeutel mit sich rum, das reflektierende Scout-Zeichen immer wie ein Schutzschild vor der Brust, farblich zum Ranzen-Muster passend. Außer Anne. Anne besaß keinen grellbunten Turnbeutel. Dafür hatte Anne lange, blonde Locken, um die sie alle Mädchen beneideten. Dass Anne ihre Sportleggings und das übergroße T-Shirt statt in einer Polyester-Tasche in einer Stofftüte aus Jute verstaute, war für die eifersüchtigen Drittklässerinnen ein seit der Einschulung verzweifelt gesuchter Grund, Anne fertig zu machen. Schnell wurde aus ihr „Öko-Taschli“ – und damit das unbeliebteste Mädchen der Klasse.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das war vor 18 Jahren. Mittlerweile könnte Anne ihre Jutetasche der Welt mit ähnlich viel Heldenstolz am Arm baumelnd präsentieren, wie wir in der dritten Klasse unsere Scouts vor der Brust trugen. Im Zuge des jungen Mode-Ökotrends ist neben lilafarbenen Birkenstock-Tretern und dem obligatorischen grauen American-Apparel-T-Shirt aus biologisch angebauter Baumwolle nun der Bast-Beutel ein lebensnotwendiges Muss für jeden großstädtischen Hipster. Schon lange liegen die wüstenbraunen Kratzdinger, meist unentdeckt und sich bis zum Magnetband stapelnd, unter der Kasse aller Supermärkte, direkt zwischen Plastik- und Thermotüte. Mittlerweile kriegt man die Öko-It-Bag aber nicht bloß bei „Budnikowsky“ oder „Rewe“, sondern von Jungdesignern und Modegiganten gleichermaßen, in allen Farben, Mustern und Größen, die Klein- und Großkreativen in den Sinn kommen. Hier einige Modellbeispiele:
Stil „Hamburg-Eimsbüttel“ – markenlos, naturbraun, mit Aufschrift „Put the money in the bag“, 5 Euro.
Stil „Berlin-Friedrichshain“ – vom szenebekannten, selbsternannten Mode-Cesaren mit kleinem Atelier an der Ecke, erhältlich in vielen Farben, lustig-heiter beflockt mit „Du Buy“ oder ähnlich ironisch-kosmopolitischen Wortspielen, 20 Euro.
Oder Stil „München-Schwabing“ – royalblau von Adidas Originals, 35 Euro.
Unterschiedliche Designs mit selber Prämisse: Schick ist, was die Umwelt schützt.
Das dachte sich auch Handtaschen-Designerin Anya Hindmarch: Die Londonerin entwarf im vergangenen Jahr für die Umweltorganisation „We Are What We Do“ eine Einkaufstasche aus dem natürlichen Jute-Stoff, inklusive Henkel und selbsterklärendem Slogan: „I am not a plastic bag!“ Bloß nicht, denn Plastik ist böse. Hindmarch zeigte die Jutetasche – bis dahin eher mit Dritte-Welt-Laden oder Reformhaus assoziiert – auf der Londoner Modewoche, schenkte Schauspielerin Keira Knightley eine und Model Lily Cole auch. Wenige Tage später bildeten sich lange Warteschlangen vor ihrer Boutique in Brixton, so dass die vorproduzierten 10.000 Exemplare schnell vergriffen waren. Die Tasche wurde Kult.
Der Jute-Kult ist allerdings schon älter als seine Ersterwähnung in hochklassigen Modemagazinen: Vor über 30 Jahren etablierten die umweltbewussten Post-68er den Ökobeutel unter dem Schlachtruf „Jute statt Plastik“. Produziert in Bangladesh, wurde die damals 40-mal-40-Centimeter-große Tasche zum Symbol gegen die vorherrschende Wegwerf-Mentalität, verkörpert durch die Plastiktüte. Umweltschützer, Künstler und Lehramtsstudenten weigerten sich fortan, im Supermarkt nach Plastik zu greifen. Und so fand die Jutetasche dann den Weg zu Anne, deren Eltern Lehrer waren.
Neulich traf ich Anne in einer Drogerie wieder. Während ich Duschgel, Tampons und eine Haarklammer in meinen Stoffbeutel mit der Aufschrift „I love Vienna“ stopfte, fragte sie an der Kasse gegenüber nach einer Plastiktüte. Lange Locken hat sie immer noch.
Text: julia-finger - Grafik: Katharina Bitzl