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Das ModeABC. Heute: F wie Flohmärkte

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Sechs Uhr in der Früh ist eigentlich eine unmögliche Zeit, um seinen schlaftrunkenen Körper aus der Bettdecke zu schälen und den Tag zu beginnen. Sechs Uhr in der Früh an einem Wochenende, an einem Samstagmorgen ist noch viel unmöglicher. Um diese Uhrzeit stehen für gewöhnlich nur Menschen auf, die unter seniler Bettflucht leiden oder beschissene Jobs haben. Leute unter 30 findet man in der Regel jedenfalls vor ein Uhr mittags nicht auf der Straße. Wieso auch. Wenige Ausnahmen gibt es allerdings, und dazu zählen Flohmärkte. Auf dem Frühlingsflohmarkt auf der Münchner Theresienwiese sieht man zum Beispiel einmal im Jahr noch vor Sonnenaufgang junge Menschen, wie sie sich mit Augenringen durch hunderte Reihen von Radioweckern, Geschirr und anderes Gerümpel kämpfen – und Stunden später mit Siegestrophäen wie abgelatschte Schnürstiefel oder Lederumhängetaschen aus den 70ern von dannen ziehen. Auf dem Sonntagsflohmarkt am Berliner Mauerpark geht es trotz Katervormittag oft so bevölkert zu wie bei einer Suppenausgabe nach dem zweiten Weltkrieg. Wahrscheinlich sieht deshalb auch jedes dritte Mädchen in Berlin-Friedrichshain aus wie ihre Tante in den 80er Jahren. Seit einiger Zeit wird von illustren Gestalten in Moderedaktionen der obskure Trend „Individualismus“ ausgerufen. Ein bisschen seltsam, schließen sich Einzigartigkeit und Massenphänomene doch eigentlich aus. Die uniformierte Individualität – ein Widerspruch an sich. Doch etwas ist dran: Die Zeiten, als vor allem der prominente Schriftzug eines bekannten Labels ein Kleidungsstück zur Designerklamotte adelte, sind vorbei. Heute gibt sich Designerkleidung nicht mehr auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Zum einen, weil sie sowieso sofort von Zara, H&M und Konsorten kopiert wird, zum anderen weil große Logos mittlerweile als prollig gelten – und nicht zuletzt, weil die allermeisten Designer heute nur noch Altbekanntes in neuem Kontext aufwärmen, so dass die Berufsbezeichnung Modeschöpfer eigentlich in Moderemixer umgetauft werden sollte. Marc Jacobs zeigte in den letzten Jahren beispielsweise fast ausschließlich Kollektionen, die aussahen, als seien sie aus Garagenkiste und Kellerfundus zusammengeklaubt worden, und gibt übrigens offen zu, sich von Stücken aus zweiter Hand „inspirieren“ zu lassen. Der Lieblingspulli vom Flohmarkt befindet sich daher zwar am untersten Ende der Preisklasse, hat aber - trotzdem oder gerade eben - genauso viel Wert wie ein teures Designerteil. Schließlich braucht man ein gutes Auge und viel Geduld, um ihn aus einem Haufen Müll herauszufischen, und eine gewisse Vorstellungskraft, um ihn aus der Altkleidersammlung zum Modeobjekt befördern: „Zwei Euro, ist vom Flohmarkt“ sagt man eben auch, um die eigene Stilsicherheit zu unterstreichen, etwas, was man sich nicht in der regulären Konsumwelt zusammenkaufen kann. Stolz darauf zu sein, Dinge zu tragen, denen noch der Mief vergangener Dekaden anhaftet, ist paradoxerweise ein Zeichen von Wohlstand. Supermodel Agyness Deyn und Minimogul Mary-Kate Olsen können sich bestimmt auch anständige Klamotten leisten, rennen aber dennoch oft in vermotteten Oberteilen durch die Gegend. Dass das als cool empfunden wird, ist hauptsächlich jenen vorbehalten, die nicht aus finanziellen Gründen an Kleidung sparen müssen. Ausrangierte Klamotten fremder Leute anzuziehen, nennt sich in vielen anderen Kreisen wohl kaum „Vintage“ oder „Hobo“, sondern schlicht Penner-Style. Naja, angesichts drohender Wirtschaftskrise und bald klammem Geldbeutel wird es möglicherweise in naher Zukunft für alle eine Dringlichkeit sein, samstags früh aufzustehen, um als erster auf dem Flohmarkt zu sein. Aus gegebenem Anlass handelt die nächste Folge des Mode-Alphabets von R wie Recession Style

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl

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