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Das ModeABC. Heute: B wie Brillenschlange
Es ist gemein, dass Brillenträger ständig als Repräsentanten für Verklemmtheit, biederes Strebertum und generelle Ungeilheit herhalten müssen. Besonders in Highschool-Movies und Telenovelas - dort sollen eigentlich immer bildhübsche Aktricen glaubwürdig ein hässliches Entlein mimen, in dem sie sich ein Monstermodell von einer Brille ins Gesicht klemmen: Der Rahmen ist klobig-eckig und das zentimeterdicke Glas macht aus den Augen der Trägerin grenzdebile Glubschmurmeln. Es ist halt so ne richtig fiese Spekuliermaschine. Die in Film und Fernsehen beliebte Gedankenfigur „Brille = Mauerblümchen“ tut dabei nicht nur dem Sehschwachen als solchen unrecht, sondern ist modisch gesehen sogar ziemlich kurzsichtig. Um das mal klar zustellen: „Verliebt in Berlin“-Maus Lisa Plenske, die in der Serie in einem Modeunternehmen Karriere macht, hätte korrekterweise auch als schöner Schwan ihre dicke Brille anbehalten können.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Früher „voll schwul“, jetzt plötzlich cool – der Imagewandel von Brillenschlangen lässt sich an niemandem besser als an Erlend Øye, dem amtierenden King of Hornbrille des Indiepop, festmachen. Irgendwie möchte man beim Anblick seines blassen Streberkonterfeis meinen, dass ihm früher nur sein Pausenbrot auf dem Schulhof Gesellschaft leistete. Nun hüpft er aber als erfolgreicher Popstar und DJ von Clubbühne zu Clubbühne – immer bebrillt, immer von einer Mädchentraube umringt. Bei linsenscharfer Betrachtung haben Brillenträger in der Tat diverse Vorteile auf ihrer Seite. Erstens können sie die Wirklichkeit in zweifacher Ausführung wahrnehmen: zum einen mit Sehhilfe und glasklarem Blick. Und wenn’s doof wird, ohne. Schon ist die Welt ausgeblendet und nur noch ein nebliges, diffuses Egal. Zweitens geht bei ihnen nichts ins Auge: Das Nasenfahrrad ist beim Radeln ein wirksames Schutzschild vor Fliegen und Staubkörnern. Der wichtigste Punkt ist allerdings: Brillen erhöhen fast automatisch die von der Außenwelt wahrgenommene Intelligenz. Geist ist geil: dessen war sich etwa auch der gute Sartre bewusst. Zwar von Natur aus dioptrinschwach und zeitlos hässlich, brachte er es aufgrund seines Intellektes trotzdem zu einem hohen Frauenverschleiß. Und der legendäre Jarvis Cocker erst, 90er-Sexsymbol aller selbsternannten Schöngeistmädchen: Was für’n Typ! Weitere prominente Argumente: Buddy Holly, Yves Saint Laurent und Woody Allen. Letzterer sagte in typisch neurotischer Woody-Selbsteinschätzungsmanier, dass alle Welt ihn für einen Intellektuellen halte, „nur weil ich diese Brille trage.“
Nun wandeln seit einigen Saisons nicht mehr nur kluge Schriftsteller und alternde Regisseure als Blindschleiche durchs Leben, sondern auch Hollywoods Jungschauspielerinnen wie Chloé Sevigny und Scarlett Johansson oder Topmannequins wie Ikeliene Stange und Julia Dunstall. Selbst der Schöngeistigkeit bislang unverdächtige Menschen wie Lindsay Lohan gehen jetzt zum Optiker. Sie nennen ihr Marc Jacobs-Gestell natürlich nicht Kassenbrille, sondern im Styler-Jargon Geek Glasses, zu Deutsch: die Nerd-Brille. Gleichzeitig werden neuerdings anderen Kleidungsstücken die Tragbarkeit bescheinigt, denen noch vor wenigen Jahren das Konservative und Stubenhockerhafte anhaftete: karierte Pullunder, Budapester-Schnürschuhe, Cardigans und Omas geblümte Bluse. Sogar das Brillengestell an sich wird zum Modemotiv - als Druck auf T-Shirts oder als Kettenanhänger. Modemagazine taufen das Nerd-Chic, will heißen: IQ-Punkte zum Anziehen inklusive ulkigem Trottel-Charme. Kontaktlinsen sind ja auch ziemlich Year 2k.
Als reine Sehhilfe haben Brillen jedenfalls ausgedient. Die neuen Deko-Brillen haben nichts mehr mit Augenheilkunde zu tun, sie kommen ohne Brillenpass, aber dafür mit Fensterglas daher. Manch einer nimmt zum Beispiel die getönten Gläser aus seiner Wayfarer-Sonnenbrille raus und ersetzt sie durch Gläser ohne Sehstärke. Ehrlicher sind da die so genannten Shutter Shades à la Kanye West. Diese Modelle wollen erst gar nicht so tun, als seien sie echte Brillen: Sie sind groß, bunt und dort, wo normalerweise die Gläser sind, ist ein Gitter aus Plastik. Setzt man sie auf, ist das Sehfeeling in etwa so, als hätte man sich Rollläden direkt vors Gesicht montiert. Wie viel jemand noch blickt, der diese Dinger trägt, kann man nur munkeln.
Nächste Woche: C wie Commes des Garcons
Text: xifan-yang - Illustration: Peter Wagner