- • Startseite
- • Mode
-
•
Die sieben Phasen der Turnschuh-Liebe
1. Die frische Liebe
Die Ränder der Sohlen leuchten weiß, die Schnürsenkel sind noch nicht verdreht, kein Dreck hat den Schuh bislang beschmutzt. Beim Gehen betrachtest du dein Spiegelbild in jedem Schaufenster und putzt in den ersten Tagen abends die ersten schwarzen Streifen weg, weil sich jeder davon noch anfühlt wie eine Fleischwunde.
Deshalb überlegst du auch noch genau, wann du deine neuen Turnschuhe tragen solltest und wann du sie besser behütet zu Hause stehen lässt, um sie vor der bösen Welt da draußen zu schützen. Es könnte regnen, vielleicht gar matschig sein? Lieber nicht. Feiern gehen, in einem Club, wo irgendwann die Biersiffe auf dem Boden steht? Niemals!
2. Der Wendepunkt
Die schwarzen Streifen sind die Windmühlen des Turnschuh-Trägers. Du kannst gegen sie nicht gewinnen und siehst das irgendwann ein. Die ständige Schuh-Wetter-Dreck-Planung nervt ja auch und das Putzen kommt dir nach drei Tagen nervig und arg Sneaker-nerdig vor.
Also beginnst du langsam aber sicher, die Schuhe als das zu sehen, was sie sind: Gebrauchsgegenstände. Vollkommen abgeschlossen ist dieser Prozess aber erst nach einem Abend, in dem du eigentlich nur auf ein Bier in die Kneipe nebenan willst, dann aber spontan doch noch ausgehst und irgendwann auf einer dieser siffigen Tanzflächen shuffelst, die du bislang mit deinen neuen Schuhen akribisch gemieden hast. Irgendwer tritt dir beim Tanzen auf den einen Schuh, auf den anderen tropft auf dem Nachhauseweg Soße aus dem Döner. Ist dir in dem Moment natürlich entweder gar nicht bewusst oder scheißegal. Aber am nächsten Morgen merkst du: Der Bann ist gebrochen. Dein Schuh ist jetzt definitiv nicht mehr neu. Und damit ist der Weg frei für Punkt Drei:
3. Der Niedergang
Der Wendepunkt, den du am Morgen nach dem Döner-Malheur noch bedauerst, ist eigentlich eine Befreiung. Das merkst du nach und nach, weil du nicht mehr überlegen musst, ob dein Schuh zu schade ist für die Welt da draußen.
Damit beginnt der innigste Teil eurer Liebesbeziehung. Ihr seid unzertrennlich, Winter wie Sommer, Tag wie Nacht, Stadt wie Land, deine Sneaker und du, ihr seid eins. Auch die von ihnen ausgehende Geruchsbelästigung hält dich nicht davon ab, deine Lieblings-Sneaker am vierten Tag in Folge wieder anzuziehen. Wie in jeder Liebesbeziehung, die sich festigt, verwachst ihr mehr und mehr miteinander: Ein Liebespaar entwickelt irgendwann eine gemeinsame Sprache, Insider-Witze und Rituale, die Eigenheiten des einen färben auf den anderen ab. Analog dazu schmiegen sich deine Turnschuhe immer perfekter um deine Füße, langsam sieht man ihnen auch die Eigenheiten deines Gangs, deiner Fußform und die Fehlbelastung deines Spreiz-Senk-Plattfußes an.
4. Die Festival-Phase
Ein paar Monate sind ins Land gezogen. Ein objektiver Beobachter würde deine Schuhe inzwischen wahrscheinlich als “ausgelatscht” bezeichnen. Du selbst hast das noch nicht bemerkt, denn Liebe, und das gilt auch für die Liebe zu Turnschuhen, macht blind. Und selbst wenn du die Mängel bemerkt hättest, du hättest sie verdrängt.
Aber irgendwann holt die Realität dich ein: In Form von Blicken deiner Eltern beim Wochenendbesuch, gerne auch in Kombination mit Sätzen wie “Kind, wie du wieder rumläufst!” Das lässt sich vielleicht noch eine Weile als Eltern-Überreaktion wegwischen, aber als auch dein Partner fragt, ob du “die Dinger wirklich noch in die Uni anziehen” willst, wird dir klar: Die Schuhe sind jetzt runtergerockt. Sie haben ihre beste Zeit hinter sich.
Das bedeutet aber noch lange keine Trennung: Nein, die Schuhe werden jetzt deine Feierschuhe. Die Siff-Tanzflächen und Konzerthallen der Stadt sind ihre neue Welt, gemeinsam erlebt ihr dort großartige Nächte. Im Sommer fahrt ihr gemeinsam auf Festivals und trotzt gemeinsam Gewitterschauern und Schlamm.
Die Spuren dieser Phase sind für dich kein Dreck, sondern kleine Erinnerungsstücke an großartige Momente, genau wie die Relikte aus dem Rucksackurlaub, auf den deine Sneaker dich in dieser Phase begleiten durften: Der Sand vom letzten Strandurlaub, das kleine Loch, das entstand, als du bei der Dschungelwanderung im Dornengestrüpp hängen geblieben bist. Beides ist nicht mehr loszuwerden. Und das ist gut so.
5. Die Pantoffel-Phase
Zu dem Dornenloch haben sich weitere gesellt. An der linken Ferse, wo aufgrund deines Gangs die Sohle immer besonders beansprucht wird, dringt bei Regen mittlerweile das Wasser durch. Und du musst zugeben: Selbst bei spärlicher Club-Beleuchtung ist offensichtlich, dass deine Schuhe völlig hinüber sind.
Also bekommen sie Hausarrest. Denn wegwerfen willst du sie noch nicht, euch verbindet einfach noch zu viel. Also einmal in die Waschmaschine damit, und fortan schlurfst du damit durch die Wohnung oder die Treppe runter, den Müll wegbringen, oder auf den Balkon zum Rauchen. Wichtig dabei: Du ziehst du Schuhe nicht mehr ordnungsgemäß an, sondern trägst sie wie Pantoffeln, sodass die Fersenstücke bald ständig nach unten geknickt sind.
6. Die Maler-Phase
Irgendwann fragt ein Kumpel, ob du ihm helfen kannst, die WG zu streichen. Du sagst natürlich zu, merkst aber am Morgen – du bist schon zehn Minuten zu spät – dass du keine Maler-Schuhe besitzt. Deine ehemaligen Lieblingsschuhe sind die fertigsten, die du hast, sie werden dir, beziehungsweise deinem Kumpel, jetzt ihren letzten Dienst erweisen.
Am Abend stellst du deine farbbeklecksten Freunde in die Ecke, waschen lohnt sich jetzt eigentlich auch nicht mehr, demnächst zieht ja eh der Dings noch um.
7. Der Tod
Paul, der Hund deines Nachbarn ist zu Gast. Paul ist eine Bulldogge. Paul scheint an einem Guinness-Weltrekord für Speichelproduktion zu arbeiten und er macht dir Angst, weil er mit irgendwas spielen will und verdächtig-lüsterne Blicke in Richtung Schuhregal wirft. Damit er nicht deine neuen Sneaker ansabbert und -knabbert, die du dir neulich gekauft hast (ihr seid noch mitten in der Frische-Liebe-Phase), müssen deine ehemaligen Lieblingsschuhe dir nach ihrem letzten großen Dienst jetzt noch ihren allerletzten erweisen: Sie werden Pauls Spielzeug.
Einen wirfst du nach Pauls Besuch in die Mülltonne, mit zwei Fingern greifst du an die einzige Stelle ohne Doggenspeichel. Den anderen trägt Paul liebevoll im Maul nach Hause.
Zwei Tage später, kurz bevor wie alle zwei Wochen das Treppenhaus gewischt wird, siehst du noch ein letztes Mal einen kleinen Stofffetzen in der Farbe deiner Lieblingsschuhe im Treppenhaus liegen. Du seufzt leise.