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Salwa Houmsi: „‚Haus am See‘ habe ich nachts heimlich mit Kopfhörern gehört“

Foto: Franz Becker; Bearbeitung: jetzt

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In der Mixtape-Kolumne unterhält sich Jan Limpert mit kreativen und musikalischen Köpfen über ihre Lieblingssongs – und packt sie für euch in eine Spotify-Playlist.

Salwa Houmsi ist eine der bekanntesten Musikjournalist*innen Deutschlands. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich mit Deutsch-Rap auskennt wie keine zweite, sondern auch daran, dass sie ein echtes Arbeitstier ist. Ein paar ihrer gefühlt tausend Tätigkeitsfelder sind ihre Arbeit als Moderatorin bei Radio Fritz, dem Debattenformat 13 Fragen vom ZDF und dem Machiavelli Podcast, bei dem Sie Rap und Politik zusammenbringt. An der E-Gitarre hat es leider nicht für eine Rockstar-Karriere gereicht. Dafür hat Sie sich als Salwa Benz einen Namen in der deutschen DJ-Szene gemacht.

Salwas Mixtape:

jetzt: Steile These zu Beginn: Es gibt zwei Arten von DJanes und DJs – diejenigen, die die Hits abfeuern und die anderen, die ihre Lieblingstracks spielen und auch mal Neues empfehlen. Wozu zählst du dich?

Salwa Houmsi: Es hat ja einen Grund, warum man sich dafür entscheidet ein sogenannter Crowd-Pleaser zu sein: Wenn es dein Job ist, den Club nicht leer zu spielen, legst du die Hits auf, damit du wieder gebucht wirst. In meinem Fall wäre es schon komisch, wenn man meine musikjournalistische Arbeit nicht in meinen DJ-Sets wiederfinden würde. Deswegen nehme ich mir die Freiheit, Tracks zu empfehlen, die ich cool finde und die für meinen Sound stehen.

Und wie zur Hölle hast du es geschafft, dass dir „New Rules“ von Dua Lipa nicht auf die Nerven gegangen ist? Der Track ist in deiner Playlist, aber wurde 2017 überall totgespielt.

Ich arbeite ja bei einem dieser Radiosender, der diese Songs totspielt. Mir ist es sehr wichtig, einen Umgang mit Musik zu haben, der nicht verurteilend ist, also der nicht sagt: „Dein Musikgeschmack ist schlechter als meiner, weil du weniger außergewöhnliche Sache hörst.“ Dahinter steckt auch ein musikjournalistische Ansatz: Wer hört was und warum? Was geschieht in den verschiedenen Szenen? Und gerade weil es so ein typischer Popsong ist, ist es spannend zu beobachten, wie sich Dua Lipa als Popfigur weiterentwickelt hat und für welche Dinge sie einsteht.

Wärst du manchmal lieber Popmusikerin?

Es ist ja ein Klischee, dass man Musikjournalist wird, weil man es nicht geschafft hat Musiker, Rapper oder Sänger zu werden. Ich habe immer Musikinstrumente gespielt, aber es stand nie zur Debatte und es war auch nie mein Traum. Durch das Auflegen habe ich einen Zwischenweg gefunden – ich stehe ja dadurch auf der Bühne und das reicht mir auch. In einem vierten Leben wäre ich vielleicht Kreativberaterin im Team von Dua Lipa.

Würdest du einen deiner Lieblingssongs nicht auflegen?

Gute Frage, lass mich überlegen … obwohl ich in meinen DJ-Sets auch immer einen arabischen Song auflege, würde ich „Alf Leila We Leila“ von Umm Kulthum nicht auflegen.

Der Song ist mit 42 Minuten Länge auch nicht für den Club geeignet. Außerdem hört sich „Alf Leila We Leila“ für westlich geprägte Ohren schon etwas ungewohnt an.

Die ganze arabische Kultur ist in der Popkultur leider nicht so präsent wie andere. Zum Beispiel gibt es auch nur sehr wenige Serien, in denen arabische Songs vorkommen.

Ich war sooo ein Indie-Girl

Du bist ja mit arabischer Musik aufgewachsen.

Genau. Meine Eltern haben mir später erzählt, dass ich als Kind nicht schlafen konnte, wenn keine arabische Musik lief. Diese beruhigende Wirkung hat sie immer noch, sie gibt mir ein Gefühl von Geborgenheit. Mein Papa hat früher die ganzen arabischen Songs von Kassette abgespielt und mir Schwachsinn erzählt – wie man das so macht – dass das seine Brüder aus Syrien in der Kassette sind. Dass die quasi im Radio sind und singen. Ich habe das ganz lange geglaubt!

War „Alf Leila We Leila“ der erste arabische Song, den du gehört hast?

Wahrscheinlich! Bei mir zu Hause wurde aber auch viel anderes, gehört, wie Deep Purple, Jimi Hendrix, Janis Joplin und Red Hot Chilli Peppers – aber auch Eminem. Das war die Musik, die beide meiner Eltern mochten. Trotzdem, so ein arabischer Klassiker, wie Alf Leila We Leila, durfte da natürlich auch nicht fehlen.

Viele assoziieren dich mit Hip-Hop. Unter deinen Lieblingstracks ist aber auch „Spanish Sahara“ von Foals – einer Indie-Band. Wie kommt das?

Oh ja, ich war sooo ein Indie-Girl. Klar, viele denken, dass ich mich primär mit Hip-Hop auskenne, aber ich habe mich in meiner Arbeit natürlich auch mit anderen Musikrichtungen auseinandergesetzt. Ich habe auch mal mit Leoniden oder Bilderbuch gesprochen und ich arbeite ja quasi bei einem Mainstream-Pop-Radiosender. Da findet gar kein Hip-Hop statt. Und Foals war einfach sehr lange meine Lieblingsband.

Wie sieht dein aktuelles Verhältnis zu Indie aus? Ist das ein nostalgisches Überbleibsel aus deiner Teenie-Zeit?

Genau! Die Indie-Phase ist bei mir eigentlich abgeschlossen. Ich möchte Indie niemandem kaputt reden – das fände ich nämlich scheiße – aber aus meiner persönlichen Perspektive ist Indie auserzählt. Wenn ich heute neue Indie-Tracks höre, denke ich: das klingt wie das, was ich damals gehört habe. Vielleicht bin ich ein Boomer mit meinen 24 Jahren. Vielleicht bin ich auch nicht mehr genug drinnen und habe keine Ahnung – fair enough! Jetzt ist mir wichtig, dass Musikerinnen und Musiker Figuren sind, die ich interessant finde. Die gibt es aus meiner Sicht im Pop und Hip-Hop viel mehr als im Indie.

,Haus am See´ habe ich nachts heimlich mit Kopfhörern gehört

Wenn du schon Pop und Hip-Hop erwähnst, müssen wir über Peter Fox und „Haus am See“ sprechen – bis heute ist das zugehörige Album „Stadtaffe“ ein Meilenstein.

Peter Fox hat mich zum Deutschrap gebracht. Das Album ist – wie du sagt – eine Art Meilenstein. Peter Fox hat Pop-Deutschrap erfolgreich gemacht, wovon Casper, Cro und meinetwegen auch Prinz Pi total profitiert haben. Den Song assoziiere ich mit meiner Radioseite, weil ich als Kind sehr viel Radio gehört habe. Radio hat mich musikalisch krass sozialisiert.

Dann hast du den Song ganz klassisch übers Radio entdeckt?

„Haus am See“ habe ich nachts heimlich mit Kopfhörern gehört, damit meine Eltern nicht merken, dass ich noch wach bin. Es war mein Hobby durch die Radiosender zu zappen bis ich den Song gefunden habe. Ich weiß noch, wie ich da lag und es nicht fassen konnte wie gut der ist. Damals hat man Tracks nicht sofort gegoogelt und gefunden. Seitdem ist Peter Fox eine große musikalische Liebe von mir.

Eine andere große Liebe von dir sind SXTN mit ihrem Song „Deine Mutter“.

Ich könnte, wenn ich wollte, eine ganze Bachelorarbeit über SXTN schreiben. Ich liebe die so sehr. Ich finde die Vorstellung so witzig, wenn mich mal meine Kinder fragen: Mama, was hast du damals eigentlich so gehört, und ich zeige denen dann den Song „Deine Mutter“ und habe dabei Tränen in den Augen, weil ich so gerührt bin.

Bei diesem Song zu weinen, während einem Lines um die Ohren fliegen, wie „ich f***e deine Mutter ohne Schwanz“, wirkt echt bizarr. Der Song bedeutet für dich offensichtlich mehr als Turnup und Party. Wie kommt das?

Das ist tatsächlich so! Als ich angefangen habe, Deutschrap zu hören, habe ich schon beim Radio gearbeitet – beim offenen Kanal hatte ich eine Deutschrap-Sendung. Ich war noch sehr jung, ca. 16, 17 Jahre alt, weshalb ich ganz naive Fragen hatte, wie zum Beispiel: „Hä? Ich höre ja nur Männer?! Wo sind die Frauen und wo finde ich die?“ Ich habe aber noch nicht kapiert, dass es ein strukturelles Problem ist und es auch nicht so viele Frauen im Deutschrap gibt. Dann habe ich in jeder Sendung eine Frau vorgestellt. Und eines Tages habe ich das Video zu „Deine Mutter“ gesehen und es war mindblowing.

Welche Stellung haben SXTN im Deutschrap aus deiner Sicht?

SXTN waren die ersten Frauen im Deutschrap, die Hallen ausverkauft haben, die mit dem Erfolg von Männern mithalten konnten. Das heißt nicht, dass es vorher keine anderen Frauen gab – die tolle Pionierin Lady Bitch Ray ist zum Beispiel eine große und wichtige Person für mich. Es gab außerdem Schwesta Ewa, Kitty Kat und viele weitere. Zusammen haben Sie viele Begriffe für sich geclaimt, die die Männer Jahre lang benutzt haben, um uns Frauen damit zu beschreiben.

Etwa das Wort F***e. Dass Frauen mit dieser Beleidigung im Rap spielen, war etwas Neues.

Genau. Vor allem Männer haben sich darüber beschwert und SXTN vorgeworfen, das gleiche zu machen, wie männliche Rapper. Ich fand das auch als Jugendliche super empowernd zu sehen, dass SXTN solche Beleidigungen gegen Frauen umdrehen. Sie haben damals schon super viel über Sexismus in verschiedensten Situationen gesprochen: im Club, als Frauen in der Szene und sie haben sogar einen Song über eine Sexarbeiterin gemacht (Anm. der Redaktion: Made 4 Love). Auch wenn Sie sich damals vom Feminismus-Begriff distanziert haben, haben Sie feministische Musik gemacht.

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